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Rohstoffmangel: Darum warten die Franken monatelang auf ihre Fenster

13.5.2021, 05:58 Uhr
Dass die Häuslebauer in Franken derzeit monatelang auf ihre Fenster und Garagentore warten, ist nicht ungewöhnlich.

© Oliver Berg, dpa Dass die Häuslebauer in Franken derzeit monatelang auf ihre Fenster und Garagentore warten, ist nicht ungewöhnlich.

Eigentlich sind es Entwicklungen, die Jörg Eichhorn positiv stimmen sollten. Denn nach coronabedingter wochenlanger Flaute am Auftragshimmel trudeln nun wieder die Bestellungen in seiner Firma Zanuso im Gewerbegebiet Feucht ein. Eichhorn und seine Mitarbeiter handeln mit Kugellagern, die sie zum Beispiel an Werkstätten oder Firmen, die Maschinen bauen, verkaufen.

Die Nachfrage am Markt ist groß, denn nachdem viele Firmen während der Lockdowns in Europa ihre Produktion stilllegen mussten, fährt die Wirtschaft nun langsam wieder hoch. "Auch wir haben zur Zeit zahlreiche Aufträge", sagt Eichhorn. Doch er steht vor einem großen Problem: Die Nachfrage ist da, doch die Produkte sind es nicht.

"Es fehlen die Rohstoffe", bemängelt der Firmenleiter. Vor allem den Mangel an Stahl bekommt er in seinem Bereich zu spüren. "Das zieht alles einen Rattenschwanz hinter sich her", wie er erläutert. Zunächst konnten während der Lockdowns keine Kugellager produziert werden, weil viele Firmen zum Schutz ihrer Mitarbeiter und auch durch die Vorgaben der Regierung zeitweise schließen mussten. Nach und nach kamen dann die ersten Erfolge im Kampf gegen die Pandemie, die Impfkampagnen auf der ganzen Welt liefen an.

"China und die USA haben das Virus schneller wieder in den Griff bekommen als Europa", erklärt Eichhorn. "Und das rächt sich jetzt: Während bei uns weitere Lockdowns verhängt wurden, begannen die Chinesen und Amerikaner, ihre Wirtschaft wieder anzukurbeln. Produktionen wurden im großen Stil wieder aufgenommen, jeder wollte die entstandenen Verluste schnellstmöglich ausbügeln."


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Die unweigerliche Folge: Mehr Rohstoffe wurden benötigt. Und diese kauften die ausländischen Firmen auch in Europa ein. Der Boom in den USA und China führte sogar so weit, dass in manch europäischem Lager nun gähnende Leere herrscht. "Wir müssen teilweise ein halbes Jahr auf ihre Kugellager warten, weil sie derzeit nicht hergestellt werden können", resümiert Eichhorn.

"Das führt dazu, dass unsere Abnehmer warten, und das wiederum dazu, dass deren Kunden warten. Es hängt alles zusammen." Das merken dann auch die Verbraucher: An Waschmaschinen von Miele zum Beispiel kommt man derzeit nur schwer, auch viele Möbel oder sanitäre Anlagen lassen monatelang auf ihre Lieferung und Installation warten. "Meine Kunden und Geschäftspartner stehen alle vor demselben Problem, egal, aus welcher Branche sie kommen."

Mit Baby in ein Haus ohne Türen

Belastet wird durch den Rohstoffmangel auch das Bauwesen: Holz zählt derzeit zur Mangelware. Andere Länder sind bereit, höhere Preise als Firmen hier vor Ort zu bezahlen und auch Schadholz aufzukaufen. Für die Deutschen bleibt da wenig: Die Großsägeindustrie verkauft das Holz in der Regel an den Meistbietenden, die Amerikaner. Etwas mehr für das eigene Land zurückzuhalten, ist dabei schwer. "Wir leben in einer von Freihandel geprägten Europäischen Union. Da können wir kaum dirigistisch eingreifen", betont Martin Zierhut vom bayerischen Forstministerium.

Zunächst konnten während der Lockdowns keine Kugellager produziert werden, weil viele Firmen zum Schutz ihrer Mitarbeiter und auch durch die Vorgaben der Regierung zeitweise schließen mussten. 

Zunächst konnten während der Lockdowns keine Kugellager produziert werden, weil viele Firmen zum Schutz ihrer Mitarbeiter und auch durch die Vorgaben der Regierung zeitweise schließen mussten.  © pixabay

Vor allem an Fenstern und Türen fehlt es derzeit. Davon kann auch Daniela K. ein Liedchen singen. Die Leserin von nordbayern.de renoviert derzeit eine neu erworbene Eigentumswohnung. Doch immer wieder müssen die Bauarbeiter sie vertrösten, können nicht weiterarbeiten, weil sie auf Materialien warten. "Das müssen Sie sich mal vorstellen: Die Leute bauen Häuser und können da nicht einziehen, weil sie drei Monate auf Fenster warten!", beschwert sich K.


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"Wir müssen zum 1. Juli aus unserer alten Mietwohnung raus. Soll ich mit Baby und Kleinkind dann etwa in einer Immobilie ohne Fenster und Türen hausen?" Dieselben Probleme haben Häuslebauer, die auf eine neue Küche warten oder Möbel wie Sofas und Schreibtische bestellt haben. "Und nicht mal unser Gartentor bekommen wir rechtzeitig – es besteht aus Stahl und ist derzeit nicht lieferbar. Blöd, weil es sich um eine Maßanfertigung handelt", klagt K.

Dies bestätigt auch der Verband der Deutschen Bauindustrie. Teilweise beenden Händler sogar laufende Verträge, weil sie das bestellte Material nicht liefern können. Auch verspätete oder reduzierte Lieferungen sowie unerwartete Preisanstiege bereiten den Bauunternehmern zusätzliche Probleme.

"Diese Entwicklung war in diesem Ausmaß nicht vorhersehbar", gibt der Verband bekannt. Aufträge seien für die Firmen ja da, doch können sie nicht mehr wie gewünscht abarbeiten und erfüllen. "Die Probleme sind für die Bauindustrie aus eigener Kraft nicht mehr lösbar", heißt es. Inzwischen wird jeder vierte Bau behindert und verzögert.

Doch wie konnte es so weit kommen? "Das haben die Europäer genauso verpennt wie die Bestellung und Bereitstellung von Impfstoffen", mutmaßt Kugellager-Händler Eichhorn von Zanuso. "Anstatt wie die Chinesen und Amerikaner Teile der Rohstoffe für den Bedarf im eigenen Land aufzuheben, haben wir alles verschickt, was wir verschicken konnten. Und jetzt tragen wir die Konsequenzen – die Lage entspannt sich, das öffentliche Leben wird wieder gelockert und die Wirtschaft muss und möchte hochfahren. Nur kann sie das nicht, wenn die Rohstoffe für die Produktion fehlen."

Auch der Bauindustrie drohen dem Verband der Deutschen Bauindustrie zufolge negative Auswirkungen auf die Geschäftstätigkeit und Ertragslage von Bauunternehmen, wenn nicht sogar Insolvenzen.

Bis der Rohstoffmangel ausgeglichen ist, könnte eine lange Zeitspanne vergehen. Das hat nicht nur für die europäische Wirtschaft drastische Folgen. "Auch die Verbraucher werden das merken – an den deutlichen Preiserhöhungen und den teils immensen Wartezeiten für diverse Produkte", prophezeit Eichhorn.

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