Stiftung "Deutschland im Plus" klärt Schüler auf

Wenig Ahnung von Geld: Sind wir finanzielle Analphabeten?

4.7.2021, 05:55 Uhr

Andrea Brinkmann (39) ist Diplom-Pädagogin. Sie hat zwei Kinder im Grundschulalter. Stehen größere Anschaffungen an, wird auch mit den Kindern im "Familieninvestitionsrat" diskutiert. © Thomas Beyerlein

Frau Brinkmann, erinnern Sie sich, wofür Sie selbst das erste Mal viel Geld ausgegeben haben?

Andrea Brinkmann: Ich war 13 Jahre, als ich für 160 Mark einen Gameboy haben wollte - mein Vater und meine Mutter haben mit mir damals ausführlich über meinen Wunsch geredet. Ich sollte 80 Mark sparen, die andere Hälfte haben meine Eltern bezahlt. Sie schenkten mir damit nicht nur 80 Mark, sondern auch praktische Erfahrung in finanzieller Bildung und sie hatten Ansprüche: Mein Eigenkapital, besagte 80 Mark, sollte ich in einem befristeten Zeitraum ansparen.

Sie leiten die Unternehmenskommunikation der Team-Bank und engagieren sich in der Stiftung "Deutschland im Plus". Ist das ein Widerspruch? Zum Geschäft der Banken gehören freilich auch Verbraucherkredite - Ziel der Stiftung ist, die Bevölkerung für einen risikobewussten Umgang mit Geld und Kredit zu sensibilisieren...

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Andrea Brinkmann: Das ist ganz und gar kein Widerspruch. Sein Geld auch zu verwenden, ist per se ja nichts Schlechtes. Vielmehr geht es doch darum, zu wissen, wann ich mir etwas leisten kann und wann es eng wird, um ein selbstbestimmtes Leben führen zu können. Die Stiftung wurde im Jahr 2007 von der Team-Bank als langfristiges Engagement und bewusst unabhängige Stiftung aus der sozialen Idee heraus gegründet, um den verantwortungsbewussten Umgang mit den eigenen Finanzen zu stärken.

So sieht Überschuldung in Deutschland aus.  © h, NNZ

Eine Rechnung richtig lesen, Kredite vergleichen - sollte Finanzwissen zum Schulfach werden?

Andrea Brinkmann: Einige Bundesländer machen dies schon vor - und auch aus unserer Sicht ist es essentiell, dass der richtige Umgang mit dem lieben Geld im Stundenplan gestärkt wird. Bei nahezu jedem zehnten Jugendlichen ist mangelnde finanzielle Bildung Grund für eine Überschuldung. Ich erinnere an den Tweet der damals 17 Jahre alten Schülerin namens Naina. Sie sorgte im Jahr 2015 mit ihrer Schulkritik für viel Aufmerksamkeit. Sie schrieb, sie habe keine Ahnung von Steuern, Miete oder Versicherungen. Aber sie könne eine Gedichtanalyse in vier Sprachen schreiben. Unsere Referentinnen und Referenten erleben im Unterricht bis heute zu diesem Tweet viele Emotionen und Zustimmung. Wir müssen dem Thema Finanzen sein Tabu nehmen und lernen, es in unserem Alltag ganz selbstverständlich einzubringen. Dabei können die Themen vielfältig, so auch im Rahmen von Projektarbeit, vermittelt werden. So wäre es in der berufsvorbereitenden Ausbildung denkbar, die Finanzierung der ersten eigenen Wohnung einmal durchzurechnen. Praktisches Lernen ist auch den jungen Leuten selbst wichtig.

Die Arbeit der Stiftung setzt bei Jugendlichen in der Schule an...

Andrea Brinkmann: Unsere Referentinnen und Referenten gehen in Schulen, sie diskutieren mit Jugendlichen und Lehrkräften über selbstbestimmtes Verbraucherverhalten. Und alles so nah wie möglich an den Schülern. Die Referenten sprechen etwa über den Songtext des Rappers Cro "Einmal um die Welt" und interpretieren den Text mit den Schülern, um sich in Selbstreflexion zu üben und darüber nachzudenken, was sie bewegt. Die Shell-Jugendstudie belegt seit Jahren immer wieder, dass sich 95 bis 98 Prozent der Schülerinnen und Schüler mehr finanzielle Bildung im Unterricht wünschen. Sie selbst würden ihr eigenes Wissen in Finanzdingen - in Schuldnoten gesprochen - übrigens mit 3 bis 4 bewerten. Die Nachfrage nach unseren Workshops ist übrigens hoch.

Interessieren auch wir Erwachsene uns zu wenig für Finanzwissen? Wer Geld hat, legt seine Geschäfte in die Hände von Anlageberatern und Steuerberatern...

Andrea Brinkmann: Es ist in jedem Alter empfehlenswert, sich mit dem Thema Finanzen zu beschäftigen. Im Idealfall mit gleichaltrigen Erwachsenen, finde ich - etwa von Mutter zu Mutter. Ob es um Vorsorge geht oder darum, Altersarmut zu vermeiden, die eigene Absicherung ist in jedem Alter und in jedem sozialen Milieu wichtig. Seit sich das Rollenbild gewandelt hat, gibt es sehr viele Beratungsangebote auch speziell für Frauen. Die Grundidee der Stiftung ist, sehr früh anzusetzen, um ein selbstbestimmtes Verbraucherverhalten zu entwickeln. Und weil dies auch die Grundlage einer gelungenen Integration bildet, hat "Deutschland im Plus" auch für die Geflüchteten in Deutschland ein eigenes Bildungsangebot entwickelt. Wir haben unterschiedliche Referentinnen und Referenten aus den unterschiedlichsten Herkunftsländern ausgebildet - heute bieten sie Workshops für jugendliche Migranten an.

Die Stiftung finanziert auch den "Überschuldungsreport". 6,85 Millionen Menschen in Deutschland sind überschuldet. Die geänderte Insolvenzordnung ermöglicht nun Verbrauchern einen Schuldenschnitt nach drei, statt nach sechs Jahren. Eine Aufforderung, Schulden zu machen?

Andrea Brinkmann: Ich sehe eher die Chance, wieder auf die Beine zu kommen. Der Überschuldungsreport 2021, den die Stiftung fördert, stellt aufgrund vieler Gespräche mit Schuldnerberatern fest, dass die Betroffenen ein Leben auf absoluter Sparflamme führen. Auch in der nun kürzeren Wohlverhaltensphase werden die Schuldner stark in die Pflicht genommen. Schenkungen - oder sollte der unwahrscheinliche Fall eines Lottogewinns eintreten - müssen abgegeben werden. Hinter jeder Zahl steckt ein Mensch und wir wissen: Die drei häufigsten Überschuldungsgründe sind nicht unmittelbar beeinflussbar, sondern Krisen geschuldet, die Jeden und Jede treffen können. Wir erleben in dieser Corona-Krise sehr oft und sehr deutlich die Folgen von Arbeitslosigkeit, Krankheit und Armut. Ein langes Insolvenzverfahren verändert Menschen. Doch je früher jemand aus einer Krise und auf die Beine kommen kann, desto eher wird er auch wieder zum Steuerzahler.

Beratungshotline

Die "Stiftung Deutschland im Plus" bietet Besuche in Schulen an und betreibt eine Beratungshotline.

Montag bis Freitag, von 10 bis 13 Uhr und zusätzlich Dienstag und Donnerstag von 15 bis 18 Uhr sind die Mitarbeiter erreichbar.

0800/5035851