Bomben auf Treuchtlingen: Zeitzeugen erinnern sich
23.2.2020, 06:04 UhrAngelika Burkhart besucht morgen die Kriegsgräberstätte am Nagelberg. Hier, in einem der zahllosen Soldatengräber, liegt ihr Vater Friedrich Geudrisch. Die heute 74-Jährige hat ihn nie kennengelernt. Sein Schicksal ist eines der traurigsten rund um den Bombenangriff vom 23. Februar 1945.
Geudrisch ist als Feldwebel der Luftwaffe auf dem Lechfeld stationiert. Dort verliebt er sich in Burkharts Mutter, die schwanger wird. Um zu heiraten, bekommt Geudrisch zwei Wochen Urlaub. Am 14. Februar 1945 geben sich die zwei das Ja-Wort. Auf dem Weg zurück an die Front hält sein Zug neun Tage später im Treuchtlinger Bahnhof. Er wird ihn nicht mehr verlassen.
Erst Ende September 1946 erhält die junge Witwe die Todesmeldung. Da ist Angelika Burkhart schon ein Jahr alt: Das Töchterchen kommt am 11. April 1945 zur Welt – dem Tag des zweiten großen Angriffs auf die Altmühlstadt.
Werner Huber lebt 1945 als Halbwaise mit seiner Mutter Lina im "Papagei-Viertel" (benannt nach den bunten Häusern) in der Gstadter Straße. Als die Bomber kommen, überredet sie ein Bekannter, mit in den Bunker am Gaswerk zu gehen. Noch am Morgen wollte der neunjährige Werner ebenfalls dorthin, weil er und ein Freund dort "öfter mal reinschauten, wegen der Soldaten". Doch er soll zuhause Holz machen.
Kurz darauf ist von Gaswerk und Bunker nichts mehr übrig. Tagelang hofft der Bub auf die Rückkehr der Mutter: "Keiner hat gefragt, wie es mir geht." Später wächst er bei seinem Onkel auf, dem SPD-Kreisrat Ludwig Huber.
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Auch im Papagei-Viertel gibt es Tote, darunter vier Kinder. Oft reicht es nicht einmal für ein Kreuz. "Ich sehe noch den Mann vor mir, der weinend sagte: Jetzt gehe ich zum Bürgermeister, und wenn der kein Kreuz aufs Grab macht, wisst Ihr, was ich mit dem tue", erinnert sich Huber. Er selbst besorgt später Grabsteine für die Nachbarn – bis heute weiß er deren Maße.
Dietrich Gundel hat Glück. Er wohnt nahe der Schule und sieht am Fenster "zuerst schwarze Punkte am Himmel und dann die Explosionen". Als er und die Mutter später in die Stadt gehen, klafft vor der Bäckerei Pfeifer in der Fischergasse "ein riesiger Krater, von dessen Rand man in den ersten Stock schauen konnte". Das Haus der Tante ist nur noch "ein Haufen", vor dem Bahnhof liegen Reihen von Toten. "Das brennt sich ein", so Gundel.
Tragisch ist das Schicksal der Schwiegertochter der Tante: Weil es ihr sicherer erschien, war sie mit den Kindern aus München nach Treuchtlingen gekommen. Ein Trugschluss. "In den Tagen danach war die Stadt leer", erinnert sich Gundel. "Die Leute gingen in den Wald und kamen nur nachts in ihre Häuser."
Hans Brendel kommt 1944 von Nürnberg nach Treuchtlingen – ebenfalls wegen der Luftangriffe. Die Mutter arbeitet für die Autobahnverwaltung und wird nach Greding geschickt, der Sohn zu den Großeltern in die Luitpoldstraße. Der Opa ist Stellwerksmeister. "Einige haben damals englisches Radio abgehört. Da ging schon das Gerücht, dass Treuchtlingen bombardiert werden sollte", blickt Brendel zurück.
Am 23. Februar läuft sein Vater, der gerade Fronturlaub hat, zur Post, um die Mutter telefonisch zu warnen. Als die ersten Bomben einschlagen, steigen Hans und seine Großmutter in den stillgelegten Brunnen des Hauses. Den Vater treffen sie später in den Bahnhofstraße am selben Bombentrichter, den auch Dietrich Gundel beschreibt. Er hatte sich in einen Keller geflüchtet. Die Mutter kommt am Abend mit dem Fahrrad aus Greding.
Nach dem Angriff muss der Zehnjährige miterleben, "wie tagelang Tote aus der Stadt gekarrt und von Zwangsarbeitern begraben wurden". Die Pferdewagen hätten stets "eine Spur aus Blut und Verwesung hinter sich hergezogen".
Auch die Frau von Dr. Friedebert Becker, dem ehemaligen Chefredakteur des Kicker, erlebt die Bombardierung Treuchtlingens mit. Sie wurde aus Nürnberg evakuiert und wohnt bei einer Tante Brendels in der Lessingstraße. Das Haus wird getroffen und stürzt ein, die Familie gräbt die Verschütteten aber aus. Für Beckers achtjährigen Sohn kommt die Hilfe jedoch zu spät: "Äußerlich war er unverletzt, aber tot – wohl durch den Druck, oder erstickt", erinnert sich Brendel. Dennoch seien die Beckers so dankbar gewesen, "dass wir jahrelang Weihnachtspakete und kostenlos den Kicker bekommen haben".
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Anna Baum, Mutter des heutigen Bürgermeisters, hat ihre Erlebnisse an diesem 23. Februar fünf Jahre später in einem Schulaufsatz festgehalten. Als die vom Treuchtlinger Ehrenbürger und SPD-Urgestein Johann Ott in den 1920er Jahren in der Grüntäleinstraße gebauten Häuser getroffen werden, laufen sie, ihre Mutter und ihre Schwester in den Keller. "Wir konnten hinausschauen und sahen, dass zwei Doppelhäuser neben uns weg waren", schreibt Baum.
Die drei flüchten weiter in den Wald: "Der Boden hat gebebt, die schweren Puffer der Bahnwagen sind bis zu uns auf den Patrich geflogen." Als sie zurückkommen, hängt der Nachbar hoch oben auf der Treppe, die als einziges Teil des Hauses noch steht, und schreit um Hilfe. Seine Frau und sein Enkel sind verschüttet.
"Das kleine Kind, das so eineinhalb Jahre alt war, sah aus, als ob es noch lebte. Nur die Nase hatte es ein bisschen voll Blut", schildert die damals 14-Jährige in ihrem Aufsatz. "Frau Roth haben wir bis heute nicht gefunden. Nur einmal haben wir Kopfhaut mit ihren Haaren gefunden, einen Arm und ein paar Finger."
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