Rat von Experten

Schlechter Schlaf? So können Sie gegensteuern!

16.1.2022, 05:53 Uhr
Eine Schlafbrille kann helfen, die Melatoninproduktion des Körpers zu unterstützen und einen gesunden Schlafrhythmus zu gewährleisten.  

© imago images/Westend61 Eine Schlafbrille kann helfen, die Melatoninproduktion des Körpers zu unterstützen und einen gesunden Schlafrhythmus zu gewährleisten.  

Sie ist müde. Eigentlich sehr müde. Aber kaum liegt sie im Bett, ist an Schlaf nicht mehr zu denken. Denn plötzlich ist ihr Kopf voll mit Problemen: Da war der Streit mit dem Partner heute – hätte sie sich anders verhalten sollen? Gerade fällt ihr ein, dass sie vergessen hat, das Mittagessen für ihr Kind im Kindergarten zu bestellen – das muss sie dringend nachholen. Und, ach, morgen steht doch dieses unangenehme Gespräch mit dem Chef an – was der wohl wieder zu meckern hat?

Die Frau, die hier gerade nicht einschlafen kann, ist erfunden. Aber in Deutschland geht es jährlich Tausenden Menschen ganz ähnlich. 100.000 wurden 2019 wegen Schlafstörungen in deutschen Krankenhäusern behandelt, berichtet das Statistische Bundesamt.

Schlechter Schlaf? So können Sie gegensteuern!

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Die Schlafmedizinerin Prof. Dr. Kneginja Richter leitet als Oberärztin die Schlafambulanz des Klinikums Nürnberg und weiß, dass das Gedankenkarussell der "größte Feind des guten Schlafs" ist. Wer kurzzeitig leichte Schlafprobleme hat, sollte recht bald mit pflanzlichen Mitteln auf Basis von Baldrian oder Passionsblume gegensteuern. Denn wer dauerhaft zu wenig oder schlecht schläft, riskiert sowohl die körperliche als auch die seelische Gesundheit. Oder umgekehrt: Erholsamer Schlaf ist die Grundlage eines gesunden Organismus.

Ist der Schlaf über Monate durch Stress, Krankheiten, Medikamente, Alkohol oder andere Einflüsse gestört, verschlechtern sich nicht nur Reaktionszeit, Konzentrationsfähigkeit und Gedächtnisleistung. Betroffene sind häufig gereizt, aggressiv oder chronisch schlecht gelaunt – all das hat Auswirkungen auf Lebenszufriedenheit und Leistungsfähigkeit.

Das Langzeitrisiko für Depressionen steigt, genauso wie jenes für Gewichtszunahme, Diabetes und Infarkte. Schlafstörungen können auch Alzheimer und Demenz negativ beeinflussen, womöglich sogar auslösen. "80 bis 90 Prozent aller psychischen Störungen gehen mit Schlafstörungen einher, die zuvor meist bereits mehr als drei Monate anhielten", sagt Richter, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie am Nürnberger Klinikum und Privatdozentin. Daher sei es wichtig, die sogenannte Insomnie rechtzeitig zu behandeln.

Dauerbelastung von Herz und Gefäßen

Psychologe Werner Cassel vom Schlafmedizinischen Zentrum am Klinikum der Philipps-Universität in Marburg erklärt: "Während bei gesunden Menschen der Blutdruck nachts um etwa zehn Prozent abfällt, schüttet der Organismus bei massiven Schlafstörungen weiterhin Stresshormone wie Cortisol und Adrenalin aus und belastet das Herz-Kreislaufsystem – das kann bis zum Herzinfarkt oder Schlaganfall führen."

Auf die Einschlafphase folgen im Normalfall mehrere unterschiedlich tiefe Schlafzustände, unterbrochen durch häufiges kurzes Aufwachen: Leicht-, Tief- und Traumschlafphase. "Der Mensch braucht diesen natürlichen 90-minütigen Rhythmus zur geistigen und körperlichen Erholung", betont Oberarzt Thomas Schneider, der Pneumologe ist und das Schlaflabor am Klinikum Fürth leitet. "Wer schlecht schläft, dessen Immunsystem ist häufig infektanfälliger."

Laufen die Schlafzyklen aber normal ab, sei die Zubettgehzeit nicht so entscheidend. "Es heißt zwar, der Schlaf vor Mitternacht sei der gesündeste, aber wer regelmäßig um zwei Uhr ins Bett geht und dann acht Stunden gut schläft, macht nicht unbedingt etwas falsch", sagt Schneider. Bei den meisten führt so spätes Einschlafen aber zu Problemen, weil sie früh wieder aufstehen müssen und so wichtige Schlafphasen fehlen.

Aus der Chronobiologie ist inzwischen bekannt, wie weitreichend der Einfluss des Hormons Melatonin auf diesen Ablauf und auf unsere "innere Uhr" ist. Daher gilt eine ärztliche Therapie mit retardiertem Melatonin als vielversprechendes Therapeutikum.

Gebildet wird das "Schlafhormon" mit Einsetzen der Dämmerung in der Zirbeldrüse des Zwischenhirns aus dem Nervenbotenstoff Serotonin; geringe Anteile werden auch in der Netzhaut des Auges und im Darm gebildet. Etwa nach zwei Stunden setzt das Müdigkeitsgefühl ein. Sein Maximum erreicht der Melatoninspiegel zwischen drei und vier Uhr. Gegen Ende der zweiten Nachthälfte sinkt er wieder ab, das Aufwachen beginnt.

Möglichst dunkel schlafen

"Es ist sinnvoll, nachts möglichst dunkel zu schlafen, da dann umso mehr Melatonin ausgeschüttet wird", sagt Schneider. Kollegin Richter rät zur Schlafbrille, sollte es nicht möglich sein, das Zimmer ausreichend abzudunkeln.

Fällt Tageslicht auf die Netzhaut des Auges, wird die Melatoninbildung gehemmt; das Einschlafen fällt schwer. Diesen Effekt kann man sich aber zunutze machen, um morgens leichter aus dem Bett zu kommen. "Ich empfehle eine Lichtdusche mit einer Stärke von 3000, besser 10 000 Lux", sagt Richter. Solche Lampen mit hohem Blaulichtanteil können Lichtmangelerscheinungen und Antriebslosigkeit entgegenwirken.

Im Alter oder etwa bei Stress nimmt die körpereigene Produktion von Melatonin automatisch ab, was den optimalen Schlafprozess negativ beeinflusst.

Ein Melatoninprodukt ist erst "ab einer Dosierung von einem Milligramm therapeutisch wirksam", sagt Richter. In vielen frei verkäuflichen Kapseln oder Sprays ist die Wirkstoffmenge jedoch geringer. Hochdosiert mit zwei Milligramm pro Kapsel ist Melatonin in Deutschland verschreibungspflichtig und zugelassen bei Patienten über 55 Jahren mit primärer Insomnie – für die also keine organische oder psychiatrische Ursache gefunden wird.

Schwangeren und Stillenden wird ganz von Melatonin-Tabletten abgeraten. Andere Patienten sollten Melatonin, dessen rhythmisierender Effekt sich nach etwa zwei Wochen komplett entfaltet, laut Richter wegen fehlender Langzeitstudien nicht länger als sechs Monate einnehmen. Sinnvoll sei es, das Hormon in den Herbst- und Wintermonaten zu nutzen und in der Sommerzeit zu pausieren.

Klassische Schlafmittel können in schweren Fällen nur eine vorübergehende Lösung für maximal vier Wochen sein – "sonst haben Sie bald das nächste Problem", sagt Schneider mit Blick auf das Suchtpotenzial.

Stattdessen raten Experten zu einer sechswöchigen ambulanten Therapie in einer Schlafambulanz, wie sie die großen Kliniken in der Region anbieten. Auch eine Online-Schlafberatung kann helfen. Richter ermutigt Betroffene, sich an einem Modellprojekt zu beteiligen, das die Technische Hochschule Nürnberg in Kooperation mit der Schlafambulanz des Klinikums Nürnberg durchführt. Ursprünglich wurde es für Beschäftigte im Schichtdienst entwickelt, darf aber nun die nächsten drei Monate von allen Interessierten genutzt werden, die an Schlafstörungen leiden.

Mehr Informationen unter: www.onlineschlafberatung.de.