Kürzungspläne des Bezirks

Betroffene laufen Sturm: Fahrdienste für Behinderte sollen eingeschränkt werden

2.10.2021, 05:58 Uhr
Betroffene laufen Sturm: Fahrdienste für Behinderte sollen eingeschränkt werden

© Michael Kasperowitsch

Es ist ein bisschen der Fluch der guten Tat. In keinem anderen der sieben bayerischen Bezirke wird mit rund zwölf Millionen Euro pro Jahr mehr Geld ausgegeben für den Fahrdienst für Menschen mit Behinderung wie in Mittelfranken. Es geht dabei nicht um verzichtbare Spazierfahrten sondern um die Erfüllung des Rechtsanspruchs auf Teilhabe.

Die Pläne sind Folge eines eindringlichen Auftrags des Bezirkstags an die Verwaltung, den Haushalt nach Einsparmöglichkeiten abzuklopfen. Sie standen auf der jüngsten Sitzung des mittelfränkischen Sozialausschusses in Weidenbach (Kreis Ansbach) zur Debatte.

"Fast doppelt soviel wie alle anderen Bezirke zusammen"

Vor dem Gebäude demonstrierte eine stattliche Gruppe gegen das Vorhaben. Fritz Weispfenning, Leiter des Finanzreferats beim Bezirk, meldete sich während der Sitzung mehrfach mahnend zu Wort, um die Dringlichkeit von Kürzungen zu belegen. "Wir geben fast doppelt so viel Geld für den Fahrdienst aus wie alle anderen Bezirke zusammen", sagte der Bezirkskämmerer, "und im Vergleich zu einzelnen Bezirken ist es etwa das Zehnfache."


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Diese Angaben haben anwesende Zuhörer mit leisen "Pfui"-Rufen quittiert. Nach Berechnungen der Bezirksverwaltung könnten durch eine Änderung der bisherigen Praxis je nach Lösung bis zu rund zweieinhalb Millionen Euro gespart werden. Das seien aber optimistische Schätzungen.

Der Mittelfränkischen Behindertenrat (MBR) war von Anfang an mit an der Diskussion beteiligt. Nach Angaben von Axel Wisgalla, dem stellvertretenden MBR-Vorsitzenden, nutzen in Mittelfranken gut 4000 Menschen – insgesamt etwa 23.000 haben allein in Mittelfranken Anspruch auf Eingliederungshilfe – den Fahrdienst, den er in einem Gespräch mit unserer Redaktion als bisher "gut ausgebaut" bezeichnete.

Maximal 6000 Kilometer

Bisher gibt es zwei Möglichkeiten, diese Leistung in Anspruch zu nehmen. Bei der sogenannten Fahrtfeldvariante stehen pro Jahr 120 Fahrten zur Verfügung, wobei Hin- und Rückweg einzeln zählen. Maximal dürfen 6000 Kilometer zusammenkommen.
Bisweilen werden Betroffene, die das ausschöpfen, mit vorwurfsvollen Unterton als "Power-Nutzer" oder "Vielfahrer" bezeichnet. Für Wisgalla sind das aber einfach "aktive Menschen", die ihr Leben in die Hand nehmen und so gestalten, dass sie am gesellschaftlichen Leben so teilnehmen können, wie sie es sich wünschen.

Die zweite Möglichkeit ist eine einheitliche Kilometervariante. Stadtbewohnern mit einer Behinderung stehen hier bisher 1500 Kilometer pro Jahr zur Verfügung, der Landbevölkerung 2400 Kilometer.


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Der Behindertenrat zeigte sich von Anfang an kompromissbereit. Sollte die Fahrtfeld-Möglichkeit ganz gestrichen werden, forderte er allerdings schon vor der Sitzung des Sozialausschusses, die Kilometerkontingente dann um 20 Prozent anzuheben. Zusätzlich solle allen Leistungsberechtigten künftig "aktiv" ein Gesamtplanverfahren angeboten werden, sollte sich herausstellen, dass die zur Verfügung stehenden Kilometer nicht ausreichen.

Die Mehrheit der Sozialausschussmitglieder folgte diesem Weg nicht. Sie beschloss, die Fahrtfeldvariante ganz zu streichen, und für alle Menschen mit Behinderung, die dafür in Frage kommen, einheitlich die Kilometervariante zur Verfügung zu stellen - ohne Erhöhung des jeweiligen Kontingents. Wie hoch die dadurch erzielten Einsparungen sind, ist noch völlig offen. Die Änderungen, die noch weiter in den Bezirksgremien beraten werden, sollen im Januar 2022 in Kraft treten.

Abgelehnt haben die Bezirksräte allerdings weitere Einschränkungen, die zunächst im Raum standen. So sollten die Kilometer-Kontingente kurzerhand grundsätzlich halbiert werden, wenn im Haushalt, in dem eine behinderte Person lebt, ein geeignetes Auto zur Verfügung steht, ebenso bei denjenigen, die in einer Alten- oder Pflegeeinrichtung betreut werden.


Mobil auch mit Handicap


Man ging davon aus, dass dort ebenfalls Fahrzeuge zur Verfügung stehen.
Unter den Demonstranten vor dem Sitzungsgebäude in Weidenbach waren Marion Meier aus Selingstadt und Helmut Netter aus Liebenstadt (beide Kreis Roth), die erwachsene behinderte Kinder haben. "Meine Tochter ist 33 Jahre alt und will längst nicht mehr vor allem mit Mami und Papi unterwegs sein", sagte Netter, "jeder hat doch sein eigenes Leben".

"Mal abends ausgehen"

Sie wolle die knapp 50 Kilometer nach Nürnberg allein fahren. Oft habe seine Frau solche Fahrten übernommen, die sich dann stundenlang die Zeit irgendwie vertreiben müsse, bis die Tochter ihre selbständige Unternehmung beendet habe.

Marion Meier fügte hinzu: "Für den Weg zur Arbeit oder zur Therapie übernehmen wir als Eltern schon viele Fahrten mit unserem Kind. Aber das Leben besteht doch auch für behinderte Menschen aus mehr, mal abends ausgehen oder ein Café besuchen." Und Karin Niklas, die in einer Behinderteneinrichtung lebt, macht sich Sorgen, ob sie in Zukunft ihren Bruder noch so oft besuchen kann wie bisher.

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