Was von der Ampel-Koalition zu erwarten ist

"Bürgergeld" statt Hartz IV: Diese fünf Dinge kommen jetzt auf Betroffene zu

29.10.2021, 05:55 Uhr
Sanktionen bleiben, Hinzuverdienstregeln werden verbessert: FDP-Chef Christian Lindner (re.), hier mit SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz, hat in den Sondierungen einiges durchgesetzt.

© Kay Nietfeld, dpa Sanktionen bleiben, Hinzuverdienstregeln werden verbessert: FDP-Chef Christian Lindner (re.), hier mit SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz, hat in den Sondierungen einiges durchgesetzt.

Zwei Monate sind es noch bis Weihnachten, doch Detlef Scheele hat seinen Wunschzettel bereits abgegeben. Es sei naheliegend gewesen, dass sich die Verhandlungsführer der künftigen Ampel-Koalition auch bei der Bundesagentur für Arbeit erkundigt hätten, was die denn zu den Reformplänen bei Hartz IV meint, sagt der Chef der Behörde. Doch was genau auf seinem Wunschzettel an die Ampel steht, will Scheele nicht verraten. Aus dem Sondierungspapier und den jüngsten Äußerungen von SPD, Grünen und FDP lässt sich aber bereits absehen, welche Maßnahmen bald auf den Weg gebracht werden könnten.

1. Menschen müssen künftig weniger von ihrem Vermögen aufbrauchen, bevor sie Hartz IV erhalten

Derzeit gelten wegen der Corona-Pandemie übergangsweise großzügigere Regeln bei der Frage des sogenannten Schonvermögens. "Wir prüfen, welche dieser Regeln wir fortsetzen wollen", heißt es im Sondierungspapier der Ampel-Parteien. Zurück geht das auf entsprechende Wünsche von SPD und FDP. Im Moment gilt: Wer bis Ende 2021 einen Antrag auf Grundsicherung stellt, bei dem verzichten die Jobcenter auf eine Vermögensprüfung.

Normalerweise erhält nur Hartz IV, wer über kein "erhebliches Vermögen" verfügt. Als erhebliches Vermögen gilt „sofort verwertbares“ Vermögen wie Bargeld, Sparbücher, Schmuck und Aktien ab 60.000 Euro für das erste Haushaltsmitglied und 30.000 für jedes weitere. Diese Sätze dürften in Zukunft angehoben werden, um die Lebensleistung von Menschen besser zu würdigen.

2. Weniger Menschen als bisher werden umziehen müssen, wenn sie in Hartz IV fallen

Ebenfalls prüfen wollen die drei Ampel-Parteien laut Sondierungspapier die Regeln zur Frage, über wie viel Wohnraum Grundsicherungsbezieher verfügen dürfen. Trotz Unterschieden von Kommune zu Kommune gilt üblicherweise, dass eine Person in Mietwohnungen maximal 45 bis 50 Quadratmeter zur Verfügung haben darf. Bei zwei Personen sind es 60 Quadratmeter, für jede weitere Person kommen 15 Quadratmeter hinzu.

Etwas mehr Wohnraum wird Menschen zugebilligt, die in der eigenen Immobilie wohnen: Eine bis zwei Personen dürfen 80 (Wohnung) bzw. 90 Quadratmeter (Haus) bewohnen, drei Personen 100/110 Quadratmeter und vier 120/130 Quadratmeter. Wer mehr hat, muss seine Immobilie (unter)vermieten oder verkaufen. Auch diese Regeln werden derzeit coronabedingt für einen Zeitraum von sechs Monaten nicht vollzogen, weil den Betroffenen in Pandemie-Zeiten kein Umzug zugemutet werden soll. Künftig könnten die Quadratmeter-Grenzen angehoben werden.

3. Wer sich etwas hinzuverdient, muss bald weniger abgeben

Bessere Zuverdienstmöglichkeiten war ein Anliegen der FDP, das es nun ins Sondierungspapier geschafft hat. Bislang gelten strenge Grenzen: Nur 100 Euro dürfen sich Grundsicherungsbezieher dazuverdienen, ohne dass dies auf Hartz IV angerechnet wird - diese 100 Euro landen also komplett in der Tasche der Betroffenen. Bei einem Einkommen zwischen 100 und 1000 Euro sind dagegen nur noch 20 Prozent anrechnungsfrei, bei zwischen 1000 und 1200 Euro dann 10 Prozent. Die künftige Ampel-Koalition wird die Regeln attraktiver gestalten, um den Anreiz zu erhöhen, Arbeit aufzunehmen - als möglichen ersten Schritt einer "trittfesten Leiter" (FDP-Wahlprogramm) heraus aus Hartz IV.

4. Die Sanktionen bleiben, werden aber wohl abgeschwächt

"An Mitwirkungspflichten halten wir fest", heißt es recht deutlich im Sondierungspapier, wenngleich mit dem Zusatz, man prüfe, "wie wir hier entbürokratisieren". Zu den Mitwirkungspflichten zählt zum Beispiel, dass Hartz-IV-Bezieher Krankheit per Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nachweisen, Kontoauszüge auf Nachfrage vorlegen und Termine beim Jobcenter wahrnehmen müssen - sonst drohen Sanktionen wie die Kürzung des Hartz-IV-Satzes. Die Grünen forderten die Abschaffung sämtlicher Sanktionen, konnten sich in den Sondierungen aber nicht durchsetzen. Eine Abschwächung dürfte aber aus einem ganz anderen Grund kommen: Das Bundesverfassungsgericht hatte 2019 entschieden, dass die Kürzung von Hartz IV um 60 oder gar 100 Prozent verfassungswidrig ist. Die neue Koalition dürfte das in einer Neuregelung nun auch gesetzlich festhalten.

5. Es gibt vielleicht doch mehr Geld für Betroffene

Kein Wort ist im Sondierungspapier zu der Frage enthalten, ob der Hartz-IV-Regelsatz erhöht wird, wie es Sozialverbände seit langem fordern. Im Moment erhalten alleinstehende Erwachsene 446 Euro im Monat - 2022 werden es drei Euro mehr. Miete und Heizkosten übernimmt das Jobcenter. In den vergangenen Tagen hat die Diskussion unter den künftigen Koalitionspartnern aber an Fahrt aufgenommen. SPD-Chefin Saskia Esken sagte der taz, das "Bürgergeld" müsse „auskömmlich“ sein und neu berechnet werden. Die Grünen hatten ohnehin 50 Euro mehr gefordert. Eine Chance, dass die FDP einer Erhöhung zustimmt, gibt es tatsächlich - wegen der vereinbarten Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro. Ein höheres Existenzminimum wäre damit möglich, ohne dass das sogenannte Lohnabstandsgebot verletzt würde. Anders formuliert: Die Sorge der FDP, dass sich Arbeit nicht mehr lohnt, bliebe unbegründet.

Verwandte Themen