Neues Herzunterstützungssystem

Chance auf ein längeres Leben: Erlanger Oberarzt hilft Herzkranken

20.8.2021, 10:11 Uhr
Chance auf ein längeres Leben: Erlanger Oberarzt hilft Herzkranken

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Rund 120.000 Menschen in Deutschland leben mit einer schweren Funktionsstörung des Herzens. Eine Herztransplantation ist für viele von ihnen die einzige Chance auf ein weitgehend normales Leben, über 700 Patientinnen und Patienten standen im vergangenen Jahr auf der Warteliste, aber nur 339 Spenderherzen konnten transplantiert werden. Um die Zeit bis zur lebensrettenden Operation zu überbrücken, sind die Betroffenen auf Herzunterstützungssysteme angewiesen. Doch das kann dauern.

Chance auf ein längeres Leben: Erlanger Oberarzt hilft Herzkranken

© Michael Rabenstein/Uni-Klinikum Erlangen

"Die Wartezeit für ein Spenderherz liegt im Schnitt bei ein bis zwei Jahren, manchmal auch viel länger. Teilweise können die Patientinnen und Patienten mit Hilfe der Herzunterstützungssysteme mehrere Jahre überleben. Aber früher oder später stirbt jeder an diesen Geräten. Erst letztens haben wir einen zweijährigen Jungen verloren", erzählt Muhannad Alkassar, Oberarzt am Universitätsklinikum in Erlangen. Da es nur so wenige Spenderherzen gibt, haben die Betroffenen derzeit keine realistische Behandlungschance. Diese Zahlen hat Alkassar ständig im Kopf, wenn er die schwerkranken Kinder und Jugendlichen behandelt.


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Herkömmliche Herzunterstützungssysteme funktionieren über eine externe Pumpe. Diese entnimmt dem Herzen Blut, beschleunigt es und führt es wieder in den Kreislauf zurück. Laut Alkassar "ein Riesenproblem. Das führt dazu, dass man immer direkten Blutkontakt hat, und das kann zu Thrombosen, Infektionen oder Blutungen führen. Der Zweijährige hat beispielsweise einen Hirninfarkt erlitten und ist daran verstorben", erklärt er.

Diese Gefahr will der Kardiologe minimieren. Seit fünf Jahren arbeitet er an der herzchirurgischen Klinik des Uniklinikums (Direktor Prof. Michael Weyand) an der Realisierung eines innovativen Unterstützungssystems, das den geschwächten Herzmuskel entlasten und seinen Leistungsabfall ausgleichen soll. "Es handelt sich dabei um einen künstlichen Muskel, der analog zum Herzmuskel arbeitet", erläutert Alkassar. Eine Membran wird um das Herz herum gespannt, bildlich vorzustellen wie ein Stück Plastikfolie. Diese Membran kann elektrisch aktiviert und deaktiviert werden.

Unter elektrischer Einwirkung dehnt sich die Membran aus und unterstützt das kranke Herz bei seiner Ausdehnung. Gleichermaßen drückt es während der Herzkontraktion von außen an die Herzwand und trägt zu einer Verbesserung der Pumpkraft des Herzens bei. "Diese Pumpe arbeitet also wie ein zweiter Herzmuskel, der sich von außen an den natürlichen Herzmuskel schmiegt", so Alkassar. Das alles passiert also, anders als bei den bekannten Herzunterstützungssystemen, ohne einen Motor von außen und Blutkontakt - gefährliche Komplikationen können so minimiert werden.


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Das System sei extrem energiesparend, erklärt er. "Die Membran arbeitet von selbst, da die elektrische Energie direkt in mechanische umgewandelt wird. Wie ein Stück elastische Folie. Wenn sie mit Strom in Kontakt kommt, dehnt sie sich aus, wenn der Strom weggenommen wird, zieht sie sich wieder zusammen." Das System sei simpel im Aufbau und gut skalierbar. "Wir können die Membran individuell um das Herz herumlegen. Dadurch ist es gut implantierbar und hoffentlich auch lange wirksam", sagt Alkassar.

Bis das System am Menschen getestet werden kann, ist es ein langer Prozess. Dank der Vielzahl an Computer-Simulationen am Lehrstuhl für Technische Dynamik sind in den vergangenen Jahren viele Tierversuche erspart geblieben. Dennoch muss das System im lebenden Organismus erforscht werden, bevor es am Menschen zum Einsatz kommen kann. "Wir überprüfen jetzt an Tiermodellen, was wir in den Simulationen gesehen haben. Die Ergebnisse sind jetzt schon vielversprechend", so der Kardiologe.


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Für seine Arbeit wurde er nun mit dem Medical Valley Award des bayerischen Wirtschaftsministeriums ausgezeichnet. In den kommenden zwei Jahren wird das Projekt mit einer Förderung in Höhe von 250.000 Euro unterstützt. "Unsere Vision ist es, dass wir schwer herzkranken Menschen dieses System, ähnlich wie ein Herzschrittmacher, eines Tages implantieren können und sie dann wieder am Leben teilnehmen können", sagt Alkassar. Natürlich könne sich ein krankes Herz nach mehreren Infarkten nicht mehr komplett regenerieren, doch es könnte zumindest entlastet werden - und somit eine Chance auf ein besseres Leben sein.

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