Schrebergärten boomen in Nürnberg

Das Glück im Grünen: Schrebergärten-Boom in Nürnberg

2.6.2021, 06:00 Uhr
Das Glück im Grünen: Schrebergärten-Boom in Nürnberg

© Foto: Fredrik von Erichsen/dpa

Mit mehr als 900.000 Kleingärten ist Deutschland einsamer Rekordhalter in Europa. Nirgendwo graben, pflanzen, säen, rechen und gärtnern die Menschen mehr. Die Schrebergärten sind zweites Zuhause, Urlaubsrefugium um die Ecke und Nahrungslieferant. "Ein Schrebergarten ist ein Lebensgefühl" sagt Jochen Obermeier, Vorsitzender vom Stadtverband Nürnberg der Kleingärtner.

Dieses Lebensgefühl der Freiheit gerade in Coronazeiten möchten immer mehr Menschen teilen. So wie Marco Pitzel. Nach langen Jahren auf der Warteliste haben er und sein Lebensgefährte endlich den ersehnten Garten "Beim Königshof" bekommen. In seinem Job, dem Friseurhandwerk, ist Pitzel Meister.

Facebook hilft

Neuling in der Kleingartenkolonie: Marco Pitzel.

Neuling in der Kleingartenkolonie: Marco Pitzel. © Foto: Birgit Ruf

Hier, zwischen Tomatenstauden, Kartoffelbeeten, Marillenbäumchen und Flieder ein Lehrling, wie er selbst sagt. Aber einer mit Wissbegierde, Ehrgeiz und Motivation. "Was ich nicht weiß, gebe ich bei Google ein oder ich stelle Fragen in meinen Facebook-Gruppen", sagt der 47-Jährige, während er Labradorhündin Greta tätschelt.

Viele seiner Pflänzchen zieht Pitzel selber: "Das hat etwas Meditatives." Aufzuchtstationen sind Arbeitszimmer, Küche und Balkon in der eine Viertelstunde entfernten Wohnung. Nein, "megagrün" sei er nicht, aber er denke nachhaltig, möchte zurück zum Ursprung, zur Natur, zu einem natürlichen Kreislauf.

Mit all dem hat Ulrich Forster tagein, tagaus beruflich zu tun. Er bildet die Garten- und Landschaftsbauer bei der Stadt Nürnberg aus. Und kurz vor der Abschlussprüfung nimmt er die jungen Leute dann regelmäßig mit in seinen Schrebergarten, den er seit 2006 am Marienberg hat.


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Thema Küchenkräuter zum Beispiel: " Die kennen die Azubis nur aus Lehrbüchern. Hier kriegen sie sie live", sagt der Ausbilder, der seit 37 Jahren als Garten- und Landschaftsbauer arbeitet und den Aufenthalt in seinem Garten regelmäßig "wie Urlaub" empfindet. Er liebt seinen Beruf – und seine Parzelle, in der es an heißen Sommerabenden drei bis vier Grad kühler sei als in der Stadt.

Nichts betonisieren!

Durch "jeden Quadratmeter" hat er sich darin gewühlt. Professionalität verpflichtet. Und spornt an. "Es macht unglaublich Spaß zu improvisieren", sagt Forster. Denn in der Schrebergartenkolonie mit ihren strengen Regeln ("da darf nichts betoniert werden") muss er im Vergleich zu seinen sonstigen Aufträgen tricksen beim Anlegen von Beeten und beim Bauen von Terrassen.

Wer in eine Kolonie einzieht, muss sich an die Ordnung halten. Ein Pool ist verboten und die Nutzung der Fläche vorgeschrieben: ein Drittel für Obst, Gemüse, Kompost, ein Drittel für Gräser und Zierpflanzen – der Rest kann für die Laube, Sitzplätze und andere Bauten genutzt werden.

Ulrich Forster ist echter Profi und mag das Improvisieren.

Ulrich Forster ist echter Profi und mag das Improvisieren. © Foto: Birgit Ruf

"Die Regeln haben sich aber aufgeweicht, früher wurden die strenger überwacht", meint Hilde Jasper, die seit über 30 Jahren ihren "Abschaltort" in Finkenbrunn hat. Immer mehr Trampoline sieht sie und immer mehr Radfahrer, die durch die Gänge radeln. Und: "Die Kolonie ist nicht mehr typisch deutsch." Multi-Kulti ist in der Schrebergartensiedlung eingezogen. Das, sagt Jasper, sei "schön" und eine ganz wunderbare Entwicklung im doch an sich deutschesten aller Milieus.

"Wir bilden den Querschnitt der Bevölkerung ab – ethnisch, finanziell und politisch", bestätigt Jochen Obermeier. Als Vorsitzender der Stadtverbandes ist er für mehr als 6000 von rund 8500 Kleingärten in Nürnberg zuständig (die anderen werden von der Bahn-Landwirtschaft verwaltet).

Bis vier Jahre warten

Ob politisch links oder rechts, ob Deutscher oder Mitbürger mit Migrationshintergrund, ob Rentnerin oder junge Familie, Handwerker oder Doktor: Im Schrebergarten leben sie Apfelbaum an Apfelbaum. Und es interessieren sich immer mehr Familien für eine Parzelle, die ihrem Nachwuchs zeigen wollen, wie eine Möhre wächst oder wo der Salat herkommt, den es zu essen gibt.

Hilde Jasper liebt den schattigen Platz unterm Apfelbaum.

Hilde Jasper liebt den schattigen Platz unterm Apfelbaum. © Foto: Birgit Ruf

Corona hat die Lust am Häuschen im Grünen noch einmal verstärkt. Der Trend war aber schon vorher da. Die Wartelisten sind lang: "Drei bis vier Jahre muss man rechnen", sagt Obermeier. Apropos rechnen: Der Pachtpreis liegt bei 71 Cent pro Quadratmeter im Jahr. Dazu kommt für die meist rund 300 Quadratmeter der Vereinsbeitrag, Versicherungen, Wasser und eventuell Strom (den haben nicht alle Anlagen).

Je nach Größe kommt man auf Kosten von 350 bis 800 Euro im Jahr. "Dafür gibt es dann aber auch ohne Kunstdünger etwas Gutes zu essen", so Obermeier. Rechnen tut sich das natürlich dennoch nicht, wenn man die Arbeitszeit bedenkt. Aber die empfinden die Pächter als Lust, nicht als Zwang. "Ein Schrebergarten hält Körper und Geist gesund", meint Obermeier.

Andere Welt

Marco Pitzel erlebt das genauso. Wenn er seinen Garten betritt, fühlt er sich wie in einer anderen Welt, ruhig, friedvoll. Nirgendwo sonst kann er so gut Energie tanken. Beruflich hat ihm Corona "den Arsch aufgerissen", wie er es nachvollziehbar drastisch formuliert: Seinen Friseursalon muss er aufgeben, hat sich jetzt bei einer Kollegin eingemietet.

Er nimmt es mit Gleichmut und als Wink des Schicksals: "Wenn eine Türe zugeht, geht eine andere auf. Jetzt habe ich mehr Zeit für unseren Garten." Noch ist der weitgehend Baustelle. So ist das bei Neulingen. "Als wir ihn im Oktober 2019 übernommen haben, war er nackig. Nur Rasen." Inzwischen stehen dort Hochbeete, ein Pflanzstein und – für Pitzel eine besondere Freude – das Blaumeisenhäuschen an der neuen Terrasse ist bezogen.


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Aufgegeben werden im Nürnberger Stadtverband laut Obermeier 300 bis 400 Gärten im Jahr. "Früher hauptsächlich wegen Alter und Krankheit, heute hat das die unterschiedlichsten Gründe: Die Leute bauen sich ein eigenes Haus mit Garten, ziehen weg oder werden arbeitslos", erklärt er. Die Vergabe der begehrten Objekte geschieht streng in der Reihenfolge der Anmeldung.

Im Städtebau wichtig

Kleingärten tun nicht nur ihren Pächtern gut, sie spielen auch unter städtebaulichen, ökologischen und sozialen Aspekten eine wichtige Rolle in Städten. Natürlich lässt die Wohnungsnot und Nachverdichtung dort die Verantwortlichen begierige Blicke auf die Kolonien als Bauplätze für Siedlungen werfen. In Berlin ist der Bestandsschutz von Kleingärten zu einem Wahlkampfthema geworden, auch Hamburg erlebt das Problem derzeit massiv. "Hier in Nürnberg steht die Politik hinter uns", lobt Obermeier.

Zum 100-jährigen Geburtstag des Stadtverbandes gab es im Vorjahr 100 neue Kleingärten als Geschenk von der Stadt. Wer so einen nagelneuen Garten pachtet, müsse aber bis zu 20 000 Euro reinstecken, sagt der Vereinsvorstand. Für gebrauchte Gärten sei mit bis zu 5000 Euro Ablöse zu rechnen. Aber für die meisten ist das eine langfristige und damit lohnende Investition. Sie kommen, um zu bleiben, auf ihrer kleinen gepachteten Glücks-Scholle im Grünen.

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