Experte: Darum macht die Coronakrise auch glücklicher

26.6.2020, 06:00 Uhr
Experte: Darum macht die Coronakrise auch glücklicher

NZ: Die Welt hatte sich darauf eingestellt, dass es irgendwann zu einer Pandemie kommen wird. Die Glücksforschung auch?

Karlheinz Ruckriegel: Bei der Glücksforschung steht als zentraler Indikator das "Subjektive Wohlbefinden" im Mittelpunkt. Es geht dabei zum einen um das Verhältnis zwischen positiven und negativen Gefühlen im Tagesdurchschnitt und zum anderen um den Grad der Zufriedenheit mit dem Leben, also um die Frage, wie ich mein Leben vor dem Hintergrund meiner Ziele bewerte. Hier kommt es darauf an, dass unsere Ziele realistisch und sinnhaft sind. Für unser Wohlbefinden und damit für unsere Lebensqualität sind unsere Glücksfaktoren zentral und an denen ändert eine Pandemie nichts.

NZ: Was macht denn glücklich?

Ruckriegel: Gelingende soziale Beziehungen, Gesundheit, Engagement und eine befriedigende Tätigkeit. Die Möglichkeit, dass man selbst Einfluss hat auf sein Leben. Die persönliche Einstellung: Bin ich optimistisch? Bin ich dankbar? Und natürlich ein gewisses Maß an Einkommen, um die materiellen Grundbedürfnisse abdecken zu können.

 

 

NZ: Die Glücksfaktoren haben sich nicht geändert, die Faktoren außenrum schon. Laufen denn aktuelle Untersuchungen, wie sich die Leute während der Coronakrise fühlen?

Experte: Darum macht die Coronakrise auch glücklicher

© Foto: Westend61/Leander Baerenz/dpa

Ruckriegel: Bestimmt, aber das geht nicht von heute auf morgen. Ich vermute aber, dass in der jetzigen Situation sowohl die Gefühlsbilanz, also das Verhältnis von positiven zu negativen Gefühlen, als auch die Zufriedenheit im Durchschnitt schlechter sind. Allerdings sind die Menschen unterschiedlich stark von der Krise betroffen. Bei denjenigen, die selbst besonders hart von den Auswirkungen betroffen sind – etwa durch Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit oder wenn Sie sich als Unternehmer fragen müssen, wie es weitergeht – wird das Wohlbefinden natürlich stärker beeinträchtigt.

In dem Zusammenhang ist es sehr, sehr wichtig, zu sehen, dass wir in Deutschland bisher ganz gut gefahren sind mit den Maßnahmen, die die Politik ergriffen hat. Über Details kann man sicher streiten, aber im Prinzip haben sie dazu beigetragen, die Lage zu stabilisieren. Daher haben sie auch glücksmäßig positiv gewirkt. In den USA gab es innerhalb kürzester Zeit 30, 40 Millionen Arbeitslose – das ist ein enormer Schock. Wir können mit dem, was wir in Deutschland gemacht und erreicht haben, also schon sehr zufrieden sein.

NZ: Wie wirken sich die Hygieneregeln wie der Mindestabstand auf das Glücksempfinden aus?

Ruckriegel: Am Anfang waren die Regeln relativ strikt, jetzt kann man sich ja wieder gegenseitig besuchen. Wenn man die Leute fragt, was ihnen fehlt, ist es schon so, dass es die Nähe ist. Aber man muss auch sehen, dass es ja nur für eine gewisse Zeit ist, da kann man das schon akzeptieren. Und die sozialen Beziehungen waren ja nicht ganz weg, denken Sie an die digitalen Möglichkeiten, die haben ein Gegengewicht geschaffen. Man ist nicht ganz auf sich allein zurückgefallen. Das war eine physische Distanz, nicht unbedingt eine soziale Distanz.

NZ: Aber bei einem Skype-Termin geht doch viel verloren?

Ruckriegel: Da gebe ich Ihnen schon recht, die Altenheime und auch die Krankenhäuser zum Beispiel waren besonders betroffen. Aber man muss eben abwägen.

NZ: Insolvenzangst, Verschwörungstheoretiker, ein Riesenschuldenberg – wird die Coronakrise in den Medien korrekt dargestellt?

Ruckriegel: Das grundsätzliche Problem bei Medien ist, ganz unabhängig von Corona: Wenn Nachrichten kommen, sind meist von zehn Informationen neun negativ. Das wirkt tendenziell verzerrend, und zwar im Hinblick auf das Negative. Die Konzentration auf das Negative bildet aber nicht die Realität ab. Es gibt Ansätze in der Glücksforschung, die den Journalismus verändern wollen. Nicht dahingehend, dass man etwas verheimlichen soll, aber die Berichterstattung sollte ausgewogener sein und die gesamte Realität widerspiegeln, nicht nur das Negative. Es sollte ein realistisches Bild gezeichnet werden.

NZ: In der Glücksforschung geht man davon aus, dass Zeit die knappste Ressource sei. Jetzt aber haben viele Menschen doch Zeit im Überfluss.

Ruckriegel: Vor der Corona-Pandemie haben viele Deutsche viel Zeit mit Arbeit, Einkommenserzielung und Konsum verbracht. Wir waren in einem Hamsterrad. Das hat sich von heute auf morgen durch die staatlichen Beschränkungen abrupt geändert. Für viele war dies aber auch ein Anlass, grundsätzlich übers Leben nachzudenken. Nach dem Neurobiologen Gerald Hüther wird das Nachdenken darüber, worauf es wirklich im Leben ankommt und in der Konsequenz, wie wir künftig mit unserer Zeit umgehen wollen, auch bei vielen zu Verhaltensänderungen führen. Ich denke dies auch. Laut Hüther sind ein Drittel der Menschen in Deutschland am Überlegen, ob es noch so weitergehen soll wie bisher. Ein gelingendes, zufriedenes und glückliches Leben hat eine hohe Lebensqualität. Dafür entscheidend sind gelingende soziale Beziehungen. Und die entscheidende Währung, die man dafür braucht, ist Zeit, die man investieren muss. Das ist der langfristige Effekt der Coronakrise: dass man sich grundsätzlich fragt, wie man in Zukunft das Leben weiterführen will.

NZ: Was hat die Glücksforschung mit der Wirtschaftslehre zu tun?

Ruckriegel: Insbesondere die Volkswirtschaftslehre beschäftigt sich damit, wie man mit den knappen Ressourcen so umgeht, dass man die Ziele, die man erreichen will, am Besten erreicht. Wie gehe ich mit meiner Zeit so um, dass ich am Schluss sage: Ja, das Leben gelingt! Das ist eine urökonomische Frage.

Die Glücksforschung ist interdisziplinär. Erkenntnisse aus der Medizin und Neurobiologie zeigen, dass Menschen, die ein hohes subjektives Wohlbefinden haben, auch gesünder sind und deutlich länger leben. Das hängt damit zusammen, dass ihr Immunsystem nicht ständig auf Hochtouren läuft.

Wenn man sich wohl fühlt, ist man resilienter. Man kommt mit Herausforderungen besser zurecht und erholt sich schneller.

NZ: Was kann man tun, um resilienter zu werden?

Ruckriegel: Indem man zum Beispiel ein Dankbarkeitstagebuch führt. So stärkt man die positiven Gefühle. Zwei-, dreimal die Woche kann man reinschreiben, welche positiven Dinge sich ereignet haben und wofür man dankbar ist. Wenn man das so zwei, drei Monate macht, ändert man die Sichtweise auf das Leben. Das heißt, das Leben wird realistischer wahrgenommen.

NZ: Realität sind aber auch der Stau oder der Konflikt in der Familie, das bildet man sich doch nicht ein.

Ruckriegel: Das ist die andere Seite, unsere negativen Gefühle. Man sollte sehr sorgsam mit ihnen umgehen. Das nennt man Emotionsmanagement, daran kann man arbeiten. Sich etwa über den Stau aufzuregen, macht keinen Sinn, daran kann man nichts ändern. Diese Erkenntnisse der Psychologie haben mittlerweile mit dem Programm "Gut mit sich umgehen" auch Eingang in Maßnahmen zur Gesundheitsvorsorge der AOK Bayern gefunden.

NZ: Was bedeutet die Coronakrise also für das Glück?

Ruckriegel: Mittel- bis langfristig wird es durch das Nachdenken zu Änderungen kommen, die dazu führen, dass das Glücksempfinden im Durchschnitt über die Werte steigt, die wir bisher hatten. Vorausgesetzt, wir kriegen das mit der Wirtschaft wieder einigermaßen hin.

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