Kolumne

Impfkampagne: Spahn hinterlässt ein Land der Trotzköpfe

26.11.2021, 09:42 Uhr
"Nein, meine Spritze mag ich nicht": Jens Spahn verzweifelte letztlich an den Impfgegnern. Und das lag auch an seiner Krisenkommunikation. 

© Michael Kappeler/dpa; Grafik: Ralph Meidl; Montage: Sabine Schmid "Nein, meine Spritze mag ich nicht": Jens Spahn verzweifelte letztlich an den Impfgegnern. Und das lag auch an seiner Krisenkommunikation. 

Lieber Jens Spahn,

nur noch ein dutzend Mal schlafen, dann ist Weihnachten. Zumindest für Sie. Dann übernimmt die Ampel, dann kann sich ein Sozialdemokrat mit dem vermaledeiten Virus rumschlagen. Wahrscheinlich sind Sie als Gesundheitsminister das einzige Mitglied des alten Kabinetts, das seinen Posten lächelnd räumt – außer Angela Merkel natürlich.

Ich will Ihnen nicht nachrufen, was Sie als Corona-Verweser alles verbockt haben. Maskenbeschaffung, Impfstrategie, vorlaute Ankündigungen - dieser ganze von Alphamännchen zelebrierte föderale Murks, an dem Sie freilich nicht allein schuld sind, wird längst ausführlich kommentiert. Irgendwann wird es noch exaktere Abhandlungen geben, Fernsehdokus und sogar Kinofilme. Mir gefielen Komödien, weil ich den Irrsinn so besser ertragen kann, „Und täglich grüßt der Lauterbach“, oder „Das Leben des Jens“.

Bei Monty Python folgen die Menschen übrigens einem Messias, der keiner sein will. Sie dagegen hätten bestimmt gerne den Erlöser gegeben. Die Frage ist: Warum vertrauten so viele Bürger in der Pandemie weder Ihnen noch auf den Segen einer Impfung? Wie konnte eine wissenschaftliche Gewissheit im 21. Jahrhundert derart zur Glaubensfrage werden?

Ich habe dazu seit kurzem eine eigene Theorie. Wissen Sie, wer mich darauf gebracht hat: der fränkische Moralethiker Lothar Matthäus. Der sprang kürzlich als bekennender Impf-Befürworter dem ungeimpften und frisch corona-infizierten Fußballnationalspieler Joshua Kimmich zur Seite. Man solle Kimmich in Ruhe lassen, meint Matthäus. Zu viel Druck bewirke nur das Gegenteil.

Aha. Es geht also gar nicht um die Angst vor Impfschäden oder davor, dass einem ein Biontech-Fass auf den Alu-Hut fällt, es geht um: Trotz. Darum, dass zig Millionen Erwachsene mit einem Bein aufstampfen und schreien: „Nein, meine Spritze mag ich nicht!“ Aus Prinzip.

Im Matthäus-Evangelium findet sich zur Causa Kimmich eine weitere erhellende Stelle. „Auch ich musste früher tagelang den Kopf hinhalten, wenn meine Mannschaft verloren hatte, und alle anderen konnten sich dahinter verstecken.“ Da ist er also, der aufrechte Streiter, der standhält, wenn der Rest kneift: Joshua, der Corona-Rebell, das Gesicht des Widerstands. Und je länger die Belagerung dauert, desto mehr verbarrikadieren sich unsere Helden hinter ihrem Trotz.

Wenn Kinder bocken, helfen mitunter Bonbons. Bei erwachsenen Revolutionären hat man es bereits mit Bratwürsten versucht. Vielleicht, Herr Spahn, sollten Sie als letzte Amtshandlung dafür sorgen, dass in Impfzentren Che-Guevara-Shirts verteilt werden, von mir aus auch Ritterkreuze oder Kimmich-Autogrammkarten. Hauptsache, Ihr Nachfolger kommt nicht irgendwann mit der fünften Welle um die Ecke.