"Nicht gefährlicher als Grippe"

Entkräftet: Die Gruselthesen der Corona-Leugner Schiffmann & Co.

14.11.2021, 05:59 Uhr

In vielen seiner massenhaft geteilten Videos schaut er so grimmig: der inzwischen aus Deutschland ausgewanderte HNO-Arzt Bodo Schiffmann.   © imago images/teamwork

Sie erreichen offenbar nur noch ihre treuen Anhänger. Sonst ist nicht mehr viel zu vernehmen von den Männern, die im ersten Jahr der Pandemie mit kühnen Thesen und Prognosen für Aufmerksamkeit sorgten.

Bodo Schiffmann zum Beispiel sagte dies voraus: Am 31. Oktober 2020 würden die Masken-Pflicht und alle anderen Corona-Maßnahmen beendet, Angela Merkel werde abgesetzt. Er glaube, dass kurz vor dem Stichtag "etwas Großes passiert". Seinen Anhängern sagte er: "Ich habe euch den 31.10. vorgegeben... Ich könnte mir gut vorstellen, dass Donald Trump eine Rolle spielt bis 31.10. und dass es die eine oder andere überraschende Verhaftung geben könnte." Passiert ist: nichts.

Befreiungen von der Maskenpflicht

Werbung
Werbung

Der HNO-Arzt Schiffmann war Betreiber der "Schwindelambulanz" in Sinsheim, er stellte zu Beginn der Pandemie per Post Befreiungen von der Maskenpflicht aus. Zunächst hatte er übrigens gefordert, die Regierung müsse allen Bürgern kostenlos einen Mund-Nasen-Schutz zur Verfügung stellen.

Für Aufsehen sorgte Schiffmann, als er von mehreren Kindern berichtete, die angeblich wegen des Tragens von Masken gestorben sein sollten. Keinen einzigen Fall konnte er belegen – aber im Netz löste er Ängste und jede Menge Resonanz aus.

Seine Praxis wurde ihm gekündigt, die Behörden ermittelten gegen ihn. Im Frühjahr 2021 entzog sich Schiffmann allen Untersuchungen: Er wanderte mit seiner Familie nach Tansania aus – um sich zu schützen, wie er sagt. Sein Leben finanziert er seitdem weitgehend über Spenden von Anhängern.

In die Schlagzeilen kam der 53-Jährige nach der Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen: Er sammelte für die Opfer Spenden, bekam diese aber nicht los. Denn er knüpfte das Geld an krasse Bedingungen: Es fließe nur an Gemeinden oder Firmen, die massiv für die Querdenker und deren Kundgebungen werben – darauf ließ sich niemand ein.

Sammelklagen auf Schadenersatz

Geld spielt auch bei Reiner Fuellmich eine Rolle. Der 63-Jährige ist Anwalt und trat als selbst ernannter Kanzlerkandidat für die Corona-skeptische Partei "Die Basis" an – beide scheiterten krachend. Fuellmich hatte zuvor mit der Ankündigung von Sammelklagen auf Schadenersatz vor Gerichten in den USA und Kanada gegen Lothar Wieler, den Chef des Robert-Koch-Instituts, und gegen den Virologen Christian Drosten für Aufsehen gesorgt. Damit wollte er angeblich die deutsche Corona-Politik stoppen.

Dabei zogen etliche von der Politik enttäuschte Bürger mit; sie unterstützten Fuellmichs geplante Sammelklage mit Zahlungen von je 800 Euro an den Anwalt. Es gibt Schätzungen, wonach Fuellmich so rund eine Million Euro eingesammelt haben soll. Doch bisher hat er in den USA noch keine Sammelklage eingereicht, mit einigen kleineren Verfahren scheiterte er. Und die Klage-Beteiligten fragen sich zusehends, was aus dem Vorhaben wird – und aus ihrem Geld.

"Stiftung Corona-Ausschuss"

Auch Fuellmich ist ein Mann der gewagten Prognosen: Im Februar hatte er prophezeit, die Corona-Impfungen würden 25 Prozent aller Deutschen töten und bei weiteren 36 Prozent potenziell tödliche Nebenwirkungen auslösen. Von der Regierung werde eine "Massentötung" geplant, so der Anwalt.

Er gehört zu den Akteuren der selbst ernannten "Stiftung Corona-Ausschuss", die manche Bürger für eine Art amtliches Kontrollgremium halten – eben weil es den parlamentarisch klingenden Namen "Ausschuss" trägt und auch noch den Titel "Stiftung" enthält. Der kleine Ausschuss tagt in der Regel einmal pro Woche – meistens um die fünf Stunden lang, mit Anhörungen und Befragungen von Corona-Skeptikern, die allesamt die Thesen der Ausschuss-Gründer bestätigen.

"Lebendige Kraken" im Impfstoff

Mit dabei ist neben Fuellmich auch dessen Vertraute, die Berliner Anwältin Viviane Fischer. Sie war in der Mode-Szene der Hauptstadt vor der Pandemie als erfolgreiche Hutmacherin Rike Feurstein aktiv. In den Sitzungen des Corona-Ausschusses befragt auch sie die eingeladenen Gäste. Die behaupten dann zum Beispiel, im Impfstoff befände sich "so etwas wie lebendige Kraken". Oder: Israels Regierung führe mit den Impfungen gerade einen Holocaust an der eigenen Bevölkerung durch.

Stichwort Israel: Latent bis offen antisemitische Töne sind nicht selten bei den "Querdenkern". Prominentes Beispiel: der emeritierte Medizin-Professor Sucharit Bhakdi, der mit "Corona Fehlalarm" zusammen mit seiner Frau Karina Reiß einen von Experten heftig kritisierten Bestseller der Szene schrieb.

Antisemitische Töne

Bhakdi sagte im April 2021 in einem Interview über Israel: "Das Volk, das geflüchtet ist aus diesem Land, aus diesem Land, wo das Erzböse war, und haben ihr Land gefunden, haben ihr eigenes Land in etwas verwandelt, was noch schlimmer ist als Deutschland war... Das ist das Schlimme an den Juden: Sie lernen gut. Es gibt kein Volk, das besser lernt als sie. Aber sie haben das Böse jetzt gelernt – und umgesetzt. Deshalb ist Israel jetzt living hell – die lebende Hölle". Wohlgemerkt: Bhakdi kritisierte da die durchaus erfolgreiche Impf-Politik des Landes.

Auch Bhakdi kandidierte bei der Bundestagswahl für "Die Basis". Auch er fiel schon öfter durch heftige Fehlprognosen auf – die er nicht korrigierte: Es brauche keine Maßnahmen und keine Masken gegen Corona, da es maximal 30 Tote pro Tag geben werde – auf dem Höhepunkt der dritten Welle waren es Anfang des Jahres 2021 teils über tausend Tote pro Tag.

Sars-CoV-2-Virus nicht gefährlicher als Grippe

Und noch ein Mediziner gehört in diese Reihe der vermeintlichen Experten: Wolfgang Wodarg, ehemaliger SPD-Bundestagsabgeordneter und Internist. Der 74-Jährige gehört ebenfalls zu den Stammgästen im "Corona-Ausschuss". Auch er veröffentlichte ein Buch, in dem er gegen die Corona-Politik austeilt. "Falsche Pandemien" heißt sein Bestseller. Und: Auch Wodarg kandidierte bei der Bundestagswahl für "Die Basis".

Seine Fehleinschätzungen wurden und werden von zahlreichen Medizinern scharf kritisiert – seine Anhänger lassen sich dadurch nicht beirren. Das Sars-CoV-2-Virus sei nicht gefährlicher als eine Grippe, behauptet Wodarg, der natürlich ebenfalls gegen das Tragen von Masken ist. Im Juli 2020 sagte er voraus, es werde keine zweite Welle geben. "Alle Beobachtungen, alle Evidenz, die wir haben, zeigt das."

In einer der Sitzungen des Corona-Ausschusses schwadronierte kürzlich ein Gast, die Impfstoffe seien zweifellos mörderisch. Die Regierung setze sie ein, um die Bevölkerung zu dezimieren. Damit das nicht gleich entdeckt werde, bekämen zunächst nur manche Impfwillige das Gift, die anderen dagegen Placebos. Die tödliche Dosis solle dann erst später verabreicht werden, bei Auffrischungsimpfungen.

Dafür gab es Lob in der Runde, die nach wie vor auf Youtube verfolgt werden kann. Und Wodarg sagte zum Gast: "Der hat es durchschaut."

Das also sind die Experten, auf die sich Corona-Kritiker nach wie vor berufen.


Einblick zum Artikel von Alexander Jungkunz, NN-Chefredakteur: Es gibt ein paar Leserinnen und Leser unserer Zeitung, die mich mit Mails eindecken. Fünf bis zehn schicken da manche am Tag. Der Inhalt: Links zu dubiosen Artikeln oder Videos im Internet mit Verschwörungstheorien in Sachen Corona – die leicht zu widerlegen sind. Aber: Das interessiert die Thesen-Verbreiter leider nicht...