Armut im Alter: Wenn die Grundsicherung jede Rentenerhöhung auffrisst

27.12.2020, 05:48 Uhr
Ab kommendem Jahr bekommen 1,3 Millionen Rentner durch die Grundrente mehr Geld. 

© Marijan Murat, dpa Ab kommendem Jahr bekommen 1,3 Millionen Rentner durch die Grundrente mehr Geld. 

Aus Roland Webers früherem Arbeitsleben ist nichts mehr übrig. Nicht sein Unternehmen, nicht das eigene Haus und vor allem nicht das sorglose Leben. "Mit der Insolvenz habe ich alles verloren." Mittlerweile sind er und seine Frau in Rente, sogar "weit über 70", sagt er. Sein genaues Alter will er nicht verraten, er kommt lieber gleich zum Punkt: Etwa 1000 Euro Rente plus 200 Euro Grundsicherung haben er und seine Frau im Monat zur Verfügung. Davon müssen sie Miete, Strom, Heizung und natürlich Lebensmittel, Hygieneartikel und mögliche Freizeitaktivitäten bezahlen. Große Sprünge sind nicht drin.

Gerne spricht Weber nicht darüber, er will auch nicht, dass jeder weiß, wer er ist. Er heißt also in Wirklichkeit anders. Aber warum wendet er sich dann an die Zeitung? "Ich freue mich, dass es die Grundsicherung in unserem Staat gibt und habe auch volles Verständnis dafür, wenn sie bescheiden ausfällt", erklärt er am Telefon. Sein Punkt ist ein anderer: "Immer zur Jahresmitte, wenn die Renten erhöht werden, kommt der neue Bescheid vom Sozialamt. Die Rentenerhöhung wird auf den Cent genau mit dem Regelsatz verrechnet. Am Ende kommt bei uns nichts an, obwohl ansonsten alles teurer wird."

Etwa 80.000 Rentner erhielten im Freistaat, Stand Ende 2019, zusätzlich zu ihrer Rente Grundsicherung. Das klingt nach einer überschaubaren Zahl, doch erst ein Blick auf die Langzeitstatistik zeigt: Es werden immer mehr. Ein Beispiel: Die Zahl der Rentner, die in Nürnberg Grundsicherung bekommt, lag 2019 bei 6,63 Prozent. 2006 waren es noch 4,1 Prozent.


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Doch wem steht das Geld zu? Die staatliche Hilfe fließt, wenn das eigene Einkommen und Vermögen nicht zum Überleben reicht. Ab welchem Betrag das der Fall ist, leg die jeweilige Kommune fest - denn je nach Mietkosten gibt es große Unterschiede. So liegt der Satz in Nürnberg für Alleinstehende bei 901 Euro, in München bei über 1100 Euro. Paare erhalten deutlich weniger. Die Rente wird als Einkommen von dem Betrag abgezogen, die Differenz wird ausbezahlt. "Steigt also die Rente um drei Prozent, würden wir eigentlich 1030 Euro bekommen, aber das wird dann von der Grundsicherung abgezogen. Wir stehen also ewig auf dem gleichen Level", rechnet Weber vor.

Grundrente kommt

Webers Vorwurf stimmt nur teilweise. Jegliches Einkommen wird zwar verrechnet, doch der Regelsatz steigt jährlich. Zum 1. Januar wird sie für Alleinstehende um 14 Euro, für Paare um 12 Euro erhöht. "Das ist natürlich eine Verbesserung. Betrachtet man aber, wie sehr die Kosten für einen Haushalt und auch für die Mieten jährlich steigen, besteht immer noch eine enorme Diskrepanz", sagt Weber.

Die Erhöhung der Grundsicherung ist nicht die einzige Änderung, die Senioren mit niedriger Rente finanziell besser stellen soll. Nach langem Ringen konnte sich die Koalition im Sommer schlussendlich auf eine Grundrente einigen, die nun ab Januar in Kraft tritt. Rund 1,3 Millionen Rentner sollen davon profitieren. Der Zuschlag steht allen zu, die mindestens 33 Jahre lang gearbeitet und währenddessen in die Rentenversicherung eingezahlt haben.


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Weber gehört nicht dazu. Er kommt nur auf 26 Beitragsjahre. "Wenn man es vernünftig anstellt, verdient man als Selbstständiger ganz gut. Deswegen habe ich mir damals ausgerechnet, was ich an gesetzlicher Rente überhaupt bekommen würde. Das war kaum etwas." Weber entschied sich aus der gesetzlichen Rentenversicherung auszutreten. "Ich hatte nicht damit gerechnet, dass etwas schief geht. Das war mein Fehler." Die Konsequenz: "Meine Rente fällt jetzt natürlich niedrig aus." Fälle, wie der von Weber, sind aber eher Ausnahmen. Viele von denen, die im Alter Grundsicherung beantragen, haben andere Gründe dafür: Lange Krankheiten, Schicksale, Arbeitslosigkeit, Alleinerziehend - es gibt einige, die es nicht auf 33 Erwerbsjahre schaffen. Entsprechend gering sind ihre Rentenansprüche.

Der Gang zum Sozialamt fällt vielen schwer. Laut einer Studie des Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, die Ende 2019 veröffentlicht wurde, nimmt mehr als die Hälfte der Senioren, denen Grundsicherung zustehen würde, diese nicht in Anspruch. Um das Problem weiß man auch in Nürnberg. "Es handelt sich vermutlich häufig um Personen, die aufgrund von vorhandenem Einkommen, eine relativ geringe Anspruchshöhe hätten; aber auch Informationsdefizite oder Stigmatisierungsängste sind mögliche Gründe", so Volker Wolfrum, Leiter des Sozialamtes Nürnberg. Die Bedürftigkeit muss zudem jährlich mit Kontoauszügen nachgewiesen werden. "Für uns ist das demütigend", beschreibt es Weber. Vom Sozialamt heißt es: "Das ist sicherlich nicht einfach, aber wir müssen natürlich überprüfen, wem Leistungen zustehen."

Wer in Nürnberg Grundsicherung oder eine andere Sozialleistung bekommt, den schreibt das Amt zudem regelmäßig an, um über Angebote der Stadt wie den Nürnberg Pass zu informieren. Beantragt man den, muss man für Museen, Schwimmbäder oder den Tiergarten weniger Eintritt zahlen. Rund 6500 Rentner in Nürnberg nutzen das Angebot. Ab Januar 2021 wird zudem das VAG-Ticket für Nürnberg Pass-Inhaber statt wie bislang 32,40 Euro, nur 15 Euro monatlich kosten. Um die Angebote zu finanzieren, hat die Stadt im Haushalt für das kommende Jahr 13,75 Millionen eingeplant.

Weber weiß um die vielen Angebote "und ich bin da natürlich auch froh drum. Aber eine gewisse Ausgrenzung aus dem öffentlichen Leben, findet dennoch statt". Und eine weite Sorge spricht er an: "Wir können praktisch nach Abzug aller Kosten nichts zurücklegen. Das ist ein Problem. Wenn zum Beispiel die Waschmaschine kaputt geht, ich wüsste nicht, wie wir das bezahlen sollen."

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