Gleichberechtigung und Corona: Frauen als Verlierer der Krise?

2.12.2020, 06:00 Uhr
Sind Frauen die Verlierer in der Corona-Krise? Über die Folgen für Gleichberechtigung in der Pandemie ist in der Wissenschaft eine Debatte entbrannt.

© imago images/Westend61/Josep Rovirosa Sind Frauen die Verlierer in der Corona-Krise? Über die Folgen für Gleichberechtigung in der Pandemie ist in der Wissenschaft eine Debatte entbrannt.

Eine "entsetzliche Retraditionalisierung der Geschlechterverordnung, die uns um drei Jahrzehnte zurückwirft", sieht etwa Jutta Allmendinger, die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, und geriet damit im Mai in die Schlagzeilen. Die Menschen verfielen in alte Gewohnheiten. Das wiederum gehe einher mit dem "Verlust der Würde von Frauen, von Respekt, von Rechten".


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Zu einem ähnlich pessimistischem Ergebnis kommt eine Befragung im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung vom August: "Wenn Eltern in Zeiten geschlossener Kitas und Schulen einspringen müssen, tragen die Mütter die Hauptlast", heißt es da. 27 Prozent von ihnen haben demnach ihre Arbeitszeit reduziert, um die Kinderbetreuung zu gewährleisten. Bei den Männern waren es 16 Prozent. Das bringt Abhängigkeiten sowie negative Folgen für Karriere und Altersvorsorge mit sich. Somit drohen laut den Forschern auf längere Sicht drastische Folgen vor allem für Frauen. Die Lohnlücke zwischen den Geschlechtern könnte sich also noch weiter verschärfen.

Eine neue Befragung des IAB (Institut für Arbeits- und Berufsforschung) mit Sitz in Nürnberg dürfte in Sachen Gleichberechtigung dagegen Hoffnung machen. Claudia Globisch und Christoph Osiander widmen sich in ihrer Arbeit "Leben und Erwerbstätigkeit in Zeiten von Corona" den Veränderungen in der Sorgearbeit durch Corona. Die wissenschaftlichen Mitarbeiter des IAB fragten sich im Juni 2020: Verschärft die Pandemie die Ungleichheit der Geschlechter wirklich?

Ihre Antwort: nein. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass die Krise die traditionellen Geschlechterrollen durchaus aufbricht. Klar, Frauen tragen nach wie vor die Hauptlast bei Kinderbetreuung und Hausarbeit. Allerdings nehmen Männer ihnen dabei nun mehr Aufgaben ab. Der Anteil der Männer, die sich an der Kindererziehung beteiligen, ist laut dieser Erhebung gestiegen.

Eine Erklärung dafür könnte sein, dass sich in der Krise insbesondere bei Männern die Arbeitszeit reduzierte. Während diese vor Corona bei durchschnittlich 39,7 Stunden in der Woche lag, arbeiteten sie während der Pandemie nur noch 36,3. Bei Frauen sank die Arbeitszeit im Schnitt von 32,6 Wochenstunden (vor Corona) auf 30,9. Männer haben ihre Arbeit also prozentual stärker reduziert als Frauen. Da bleibt dann auch mehr Zeit für das Kind, was wiederum gegen eine Retraditionalisierung spricht.

Diese Erkenntnis deckt sich auch mit den vielbeachteten Aussagen Walter Scheidels. Der österreichische Stanford-Historiker kam in seinen historischen Forschungen 2017 zu dem Schluss, dass Katastrophen wie Kriege oder Epidemien in der Geschichte zu mehr Gleichheit geführt haben. Nein, vielmehr lautet seine These, dass sich gesellschaftliche Ungleichheit nur durch Chaos, Seuche oder Krieg reduzieren lässt.


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Eine Frage bleibt in der neuen IAB-Studie jedoch offen: Haben die Befragten ihre Arbeitszeit freiwillig und bewusst reduziert, um mehr Sorgearbeit leisten zu können? Oder ist dieser Umstand der aufgedrückten Kurzarbeit geschuldet? Christoph Osiander erklärt, dass zu Beginn der Pandemie vor allem die Männer von Kurzarbeit betroffen waren, der Umfang der ausgefallenen Arbeitszeit bei den Frauen aber dennoch höher war. Doch es sei schwierig, diese Daten "empirisch in einen kausalen Zusammenhang mit der Kinderbetreuung zu bringen". Und wieso kommen die Nürnberger Wissenschaftler eigentlich zu einem anderen Ergebnis als die vorherigen Forschungen? Das liege wahrscheinlich an den unterschiedlichen Fragestellungen und den daraus gezogenen Interpretationen, vermutet Osiander. So habe die Hans-Böckler-Stiftung in ihrer Befragung zwar ähnliche Fragen gestellt, die Ergebnisse aber deutlich negativer ausgelegt.

Ob sich diese für Entwicklung auch nach der Krise fortsetzen wird? Osiander weiß, was es dazu braucht: "Unabhängig von der Corona-Krise wäre eine gut ausgestattete Betreuungsinfrastruktur hilfreich." Denn die Studie habe außerdem aufgezeigt, dass "Familien mit kleinen Kindern durch die Krise erheblich belastet waren - und sind". Sie brauchen besondere Unterstützung von der Politik, appelliert der wissenschaftliche Mitarbeiter. Alleinerziehende und Selbstständige, die die Pandemie ebenfalls besonders hart trifft, wurden hier übrigens nicht berücksichtigt.

Claudia Globisch sieht außerdem die Arbeitgeber in der Pflicht. Sie fordert, dass Unternehmen Männern und auch auf Führungsebene mehr Teilzeit ermöglichen sollten. Das würde einer "gleicheren Verteilung der Sorgearbeit entgegenkommen". Und "wenn beide 60 Prozent Erwerbsarbeit übernehmen, bleibt beiden mehr Zeit für geteilte Sorgearbeit."

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