Shutdown für die Gleichstellung: Corona trifft Frauen härter

Ute Möller

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9.5.2020, 21:07 Uhr
Telefonkonferenz, Hausaufgabenbetreuung, Spielzeug reparieren, nebenbei das Mittagessen vorbereiten: Mütter im Homeoffice sind am Anschlag. Viele haben keine Energie mehr, um gegen die Zustände zu protestieren.

© Boris Roessler/dpa Telefonkonferenz, Hausaufgabenbetreuung, Spielzeug reparieren, nebenbei das Mittagessen vorbereiten: Mütter im Homeoffice sind am Anschlag. Viele haben keine Energie mehr, um gegen die Zustände zu protestieren.

Seit 15 Jahren setzt sich die Nürnbergerin Daniela Jäkel-Wurzer als Coachin für das Thema Gleichstellung ein. Sie berät Frauen, die einen Familienbetrieb übernehmen. Allesamt taffe Unternehmerinnen, die sich in sozialen Netzwerken für mehr Parität in Führungsgremien und eine gerechte Verteilung der Familienarbeit stark machen. "In der Coronakrise sind die Frauen plötzlich sehr still geworden", wundert sich die 39-Jährige, die sich im Verband Deutscher Unternehmerinnen (VDU) engagiert. Dabei sei es gerade jetzt an der Zeit, laut zu werden. Fühle sich die Krise doch an wie ein Shutdown für die Gleichstellung.


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Frauen haben schon vor der Krise daheim mehr Sorgearbeit geleistet als ihre Partner. Eine aktuelle Studie der Hans-Böckler-Stiftung belegt, dass jetzt Kinderbetreuung und Hausarbeit noch mehr als zuvor an den Frauen hängen bleiben. Nur 62 Prozent der befragten Paare, die sich bislang die Aufgaben daheim geteilt haben, machen das auch im Shutdown. 24 Prozent der Frauen haben ihre Arbeitszeit reduziert, um Homeschooling und Haushalt zu wuppen. Bei den Männern sind es 16 Prozent.

Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums für Sozialforschung in Berlin, blickt mit Sorge auf den Rückfall in alte Rollen und auf das, was Frauen gerade widerfahre. Der Trend gehe zurück zum "Heimmütterchen". Frauen, die Stunden reduzieren, damit zu Hause der Laden läuft, bezahlten das mit Karriereknick und Rentenverlusten. Die Politik ignoriere diese Themen bislang.

Wenig Energie am Ende des Tages

"Wir sollten jetzt laut werden", sagt Daniela Jäkel-Wurzer. Doch die Selbständige ist auch Mutter. "Und mit zwei kleinen Kindern, Homeschooling, geschlossenen Kitas und einer freiberuflichen Tätigkeit bleibt am Ende des Tages wenig Energie, um die eigenen Gedanken in die Welt zu bringen." Der Kopf schreie "Sag es", die Kraft sage "Morgen vielleicht". So gehe es gerade vielen Frauen.

 

 

Häufig verdiene der Mann mehr, also habe dessen Berufstätigkeit Vorrang. "Auch mein Mann ist fest angestellt und sein Einkommen ist jetzt verlässlicher als meines, weil ich viele Präsenzveranstaltungen absagen musste", sagt die Coachin. Sie habe mit ihrem Mann immer Gleichstellung gelebt, "es ist traurig, dass wir jetzt in die Ungleichverteilung der Rollen gehen müssen." Die Krise sei für alle gleich, treffe Männer und Frauen aber unterschiedlich.

Unter dem Hashtag #coronaeltern stellen Frauen und auch Männer ihren geballten Unmut ins Netz. Sie fühlen sich von Arbeitgebern und der Politik im Stich gelassen.

Es ist ein Protest gegen Überlastung und Rollenklischees, von denen auch viele Männer nichts mehr wissen wollen.

Keine Frauen mehr in Gremien

Die Krise spitze die ökonomische Abhängigkeit von Frauen zu, klagt eine Werbetexterin aus dem Regensburger Umland. "Mütter, die für die Familie bereits früher zurückgesteckt haben, treten im Berufsleben jetzt noch weiter in den Hintergrund." Sie findet es erschreckend, wie bereitwillig manche Frauen jetzt wieder die Rolle der Kümmerin einnehmen. Julia Jäkel, Vorsitzende der Geschäftsführung des Verlags Gruner + Jahr, stellt in einem Artikel in der Wochenzeitung Die Zeit die These auf, dass wir in Sachen Gleichstellung noch nicht so weit sind wie wir gedacht haben. Die Coronakrise zeige, wer in Deutschland tatsächlich entscheide – sie erlebe aktuell in Entscheidungsgremien jedenfalls fast keine Frauen mehr.

Die sitzen im Homeoffice und sagen die x-te Telefonkonferenz ab, weil sie wegen ihrer aktuellen Mehrfachbelastung einfach mal die Reißleine ziehen müssen, meint die Bamberger Unternehmensberaterin Manuela Weinand. "Aber wenn die Frauen nicht Hier schreien, werden sie im Job nach wie vor nicht gesehen." Die Strukturen seien nach wie vor patriarchalisch. "Wir haben uns da vielleicht in der Vergangenheit etwas vorgemacht."

Doch nicht nur viele Eltern, auch Verbände wollen gegensteuern. Der VDU etwa fordert ein geschlechtergerechtes Konjunkturprogramm. Und die evangelische Arbeitsgemeinschaft Familie in Berlin dringt auf eine Corona-Familienarbeitszeit, mit einem Anspruch auf Stundenreduzierung und finanziellen Ausgleich. "Die Probleme sind erkannt, jetzt geht es darum, sie anzupacken und nicht zuzulassen, dass die Krise in einen dauerhaften Rückfall in Rollenklischees mündet", sagt Daniela Jäkel-Wurzer.


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