Merkel-Schalte: Bayerns Kommunalpolitiker demonstrieren Geschlossenheit

19.2.2021, 18:06 Uhr

Das war ein ziemliches Kontrastprogramm für Angela Merkel. Vor dem G7-Gipfel mit US-Präsident Joe Biden konferiert die Bundeskanzlerin stundenlang mit insgesamt 96 Kommunalpolitikern aus dem Freistaat. Wer dabei auf eine Lockerungswelle gehofft hatte, der wird jedoch schnell enttäuscht. Ministerpräsident Markus Söder tritt zwar nach der Videoschalte vor die Kameras und lobt das Gespräch als sehr konstruktiv und sehr positiv. Doch Neues hat er nicht im Gepäck. Und so steht vorerst weiter im Raum, was Söder in seiner Rede am politischen Aschermittwoch angekündigt hat.


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Im März werden die Gärtnereien wieder öffnen, sich mehr Menschen als bisher privat treffen dürfen. Alles weitere aber belässt Söder im Ungefähren. Es habe, sagt er nach dem Treffen, auch niemand aus der Runde der Kommunalpolïtiker darauf gedrängt, dass Geschäfte oder Gaststätten sofort wieder öffnen sollten. Oder, wie Söder das formuliert: Es sei "beeindruckend" gewesen, dass "da überhaupt keine überstürzte Forderung" gekommen sei.

Söder lobt die Runde als besonnen und vernünftig; er betont, alle lägen auf einer Linie. Offensichtlich hatte er mit anderem gerechnet. Das bestätigen auch andere Teilnehmer. Niemand habe konkrete Öffnungsschritte oder gar Termine gefordert, berichten sie.

Hochsensible Phase

Manche hätten an da Schicksal der Stadt Flensburg erinnert. Die lag bis vor wenigen Tagen noch auf einem guten Kurs und ist praktisch über Nacht zum Corona-Hotspot geworden. Nach Söders Worten kann das auch Bayern oder jedenfalls einzelnen Regionen im Freistaat drohen. Das Land sei "in einer hochsensiblen Phase", sagt er, der Kurs "eine Gratwanderung". Der bayerische Ministerpräsident erinnert daran, wie schnell sich die Corona-Mutanten verbreiten. Er sagt, es gehe "sehr schnell nach oben und nur langsam nach unten".

Bayern liegt derzeit bei einer Sieben-Tage-Inzidenz von 54. Weitreichende Lockerungen stellt Söder erst bei einer Inzidenz von 35 in Aussicht. Für ihn bleiben nur zwei Werte ausschlaggebend: Neben der Inzidenz ist das die Zahl der bereits Geimpften. Wenn sich am 3. März die Ministerpräsidenten wieder mit der Kanzlerin treffen und den weiteren Kurs festlegen, will Söder deshalb eine "intelligente Öffnungsmatrix" entwickeln. Einen festen Stufenplan lehnt er weiterhin ab.

Schule zuerst

Oberste Priorität habe für alle Teilnehmer der Gesprächsrunde weiter die Schule. "Wo die Inzidenz niedrig ist, können wir mehr in den Präsenzunterricht nehmen", sagt Söder. Später lasse sich auch über geöffnete Geschäfte reden, danach über die Gastronomie und die Hotellerie. "Es wird Konzepte geben, die das klug steuern und regional ausrichten", sagt der CSU-Politiker. Dazu zählt für ihn auch, dass Schwankungen um den Wert 35 herum nicht automatisch wieder zum Schließen führen. Den Wert 35, fügt er an, habe im übrigen niemand in Zweifel gezogen.

Das sei ihm wichtig: "Was wir jetzt tun, soll für Monate gelten und halten. Wir wollen nicht, dass wir drei Wochen später wieder umkehren und alles schließen müssen." Auch deshalb warnt er davor, jetzt schnelle Schritte zu verlangen. Wer das tue, der gefährde den Erfolg, sagt er an die Adresse seines Wirtschaftsministers Hubert Aiwanger von den Freien Wählern, der dies immer wieder fordert, zuletzt beim politischen Aschermittwoch.


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Es sei eine Illusion zu glauben, damit ließe sich der Handel aus dem Internet wieder zurück in die Geschäfte locken, sagt Söder. "Aus dem Internet kommt nichts zurück, auch nicht, wenn wir jetzt alles öffnen." Es sei nun an den Städten, dass sie Konzepte entwickelten, wie sich die Innenstädte zukunftssicher gestalten lassen, auch nach Corona.

Fällt Ostern aus?

Anders als viele Politiker sieht Söder noch nicht, dass der Osterurlaub ins Wasser fallen könnte. Von solchen Ansagen halte er gar nichts, betont der 54-Jährige. "Die nächsten drei Wochen werden entscheiden, was an Ostern möglich sein wird." Bei einem vernünftigen Kurs sei auch ein Urlaub durchaus denkbar, glaubt der bayerische Ministerpräsident.


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Unter anderem Nürnbergs Oberbürgermeister Marcus König treibt die Sorge um die Innenstädte um. "Sonst ist Nürnberg ein Einkaufsmagnet für die Bewohner aus der Metropolregion, nun sind auch Museen, Konzerthäuser und Veranstaltungshallen geschlossen. Der Tourismus und das Messe- und Kongressgeschäft liegen am Boden", sagt er.

Die Existenzsorgen von Geschäften, Gastronomie und Hoteliers habe er auch in dem Gespräch mit der Bundeskanzlerin angesprochen. Der von ihm geforderte "Marshall-Plan" könne helfen, die Wirtschaftsstruktur in den kommunalen Zentren in der Zeit nach Corona wieder aufzubauen. Es seien allerdings Milliarden-Beträge notwendig, wenn die Maßnahmen wirklich nachhaltig sein sollen.

Bund soll erneut Gewerbesteuer-Ausfälle übernehmen

Zusätzlich fordert König, dass der Bund die Ausfälle bei den Gewerbesteuern in diesem und dem nächsten Jahr noch einmal übernehmen solle wie bereits 2020. "Ich bin fest davon überzeugt, dass Nürnberg am Ende gestärkt aus der Pandemie herauskommt."

Der Fürther OB Thomas Jung (SPD) hatte sich zwar hatte wie fast alle der rund 100 Teilnehmenden gemeldet, um der Kanzlerin von den hiesigen Sorgen und Nöten in der Corona-Pandemie zu berichten, am Ende kamen aber nur etwa 15 Kommunalpolitiker zu Wort. Am häufigsten sprachen sie Jung zufolge über Schwierigkeiten bei den Impfungen, Lockerungen der Corona-Maßnahmen, Ausfälle bei der Gewerbesteuer und ausstehende Wirtschaftshilfen.

"In puncto Wirtschaftshilfen hat man Beschleunigung zugesagt", so der Fürther OB nach dem Gespräch. In Sachen Gewerbesteuer habe es dagegen keine Zusagen gegeben. "Was die Lockerungen angeht, war die Kanzlerin schon sehr zurückhaltend." Sie habe betont: Auch wenn man bereits Zugeständnisse an Kitas und Schulen gemacht habe, stünden sie weiterhin ganz oben auf ihrer Prioritätenliste.

"Keine sensationell neuen Versprechungen"

"Es war klar, dass keine sensationell neuen Versprechungen zu erwarten waren", resümiert der Fürther Rathauschef nach knapp zweieinhalb Stunden Videokonferenz. Wie ausgewählt wurde, wer vorsprechen durfte und wer nicht, weiß Jung nicht. Möglicherweise per Zufall, vielleicht auch nach dem Prinzip "Wer zuerst kommt, mahlt zuerst". Hätte Jung seine Chance bekommen, hätte er sich unter anderem für klare Perspektiven für die Menschen ausgesprochen.

Matthias Dießl (CSU), Landrat des Landkreises Fürth, hatte diesbezüglich, wie er es nannte, "mehr Glück". Nach den sich an Kanzlerin und Co. anschließenden Statements des Präsidenten des Bayerischen Landkreistags, Christian Bernreiter, und des Vorsitzenden des Bayerischen Städtetags, Straubings OB Markus Pannermayr, kam der Fürther Landrat zu Wort.


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In Abstimmung mit seinen mittelfränkischen Landratskollegen, so Dießl, habe er sich dabei auf den Punkt konzentriert, "wie wir beim Impfen gut vorankommen können". Und zwar dann, "wenn der Impfstoff keine Mangelware mehr ist" und es möglich sei, in die Breite zu gehen. Sprich: Wenn die Bürgerinnen und Bürger den aktiven Schutz gegen Corona nicht mehr nur in den Impfzentren, sondern auch in den Hausarztpraxen erhalten können. Die von Jens Spahn avisierten höheren Impfstofflieferungen machen ihm da Hoffnung.

Respekt für Merkels Detailkenntnisse

Und welchen Eindruck hinterließ die Regierungschefin? Er habe Angela Merkel bereits bei einem Termin im Kanzleramt kennengelernt, sagt Dießl. Während der gesamten Videoschalte sei sie nicht nur "sehr präsent" gewesen, findet der Fürther Landrat. Auch die "Detailkenntnisse" der Regierungschefin nötigen ihm Respekt ab. Merkel habe nicht nur zugehört, sondern auch nachgefragt. Die "Informationen vor Ort waren ihr wichtig", so Dießls Eindruck – vor allem mit Blick auf das nächste Treffen mit den Ministerpräsidenten.

Alexander Tritthart (CSU), Landrat des Kreises Erlangen-Höchstadt, war von der Corona-Konferenz mit Merkel sogar begeistert. Das Treffen habe länger gedauert als es vereinbart war, berichtet er im Anschluss. "Wenn eine Veranstaltung mit der Bundeskanzlerin 20 Minuten länger ist als angesetzt, dann ist das schon bedeutend", sagt er.

Auch dass Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), dessen bayerischer Kollege Klaus Holetschek (CSU) und alle eingeladenen bayerischen Kommunen präsent waren, findet er gut: "Das ist ein Zeichen an die Politik, dass die Kommunen zusammenstehen und alle Anregungen gemeinsam nach vorne tragen".

"Es hat sich niemand im Wort vergriffen"

Tritthart selbst hatte im Vorfeld ja einiges Kritisches für Kanzlerin und Co. im Gepäck: etwa die schleppende Impfstoff-Beschaffung, die fehlenden Erkenntnisse über die Covid-Ansteckungsorte sowie die Sonderstellung von Profi-Fußballern. Das alles sei in der Runde auch angesprochen worden, wenn auch nicht von ihm. "Es war wirklich ein intensiver Austausch, sachlich-kritisch, es hat sich niemand im Wort vergriffen".


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Für Tritthart war vor allem Merkels Aussage wichtig, wonach unter einer Sieben-Tage-Inzidenz von 35 (in seinem Landkreis ist das seit mehreren Tagen so) Öffnungsschritte diskutiert und ermöglicht werden müssten, natürlich immer mit Blick auf das aktuelle Infektionsgeschehen.

Manuel Westphal (CSU), Landrat des Landkreises Weißenburg-Gunzenhausen, war dankbar, dass überhaupt die Chance geboten wurde, in einen Dialog zu treten. "Letztendlich sind es die Vertreter der Kommunen, die mit vielen anderen, beispielsweise den Mitarbeitern in Krankenhäusern, dem Pflegepersonal oder den Ärzten, die Pandemie vor Ort managen müssen und unsere Erfahrungen mit einbringen können", so Westphal.

Bereits im Vorfeld der Konferenz hatte Westphal erklärt, dass er sich, wie auch bei der Bekämpfung der Pandemie insgesamt, mehr Entscheidungsfreiheit vor Ort wünsche. "Die Inzidenzwerte in Bayern reichen aktuell vom niedrigen zweistelligen Bereich bis zu über 319 in Tirschenreuth. Die Infektionsschutzmaßnahmenverordnung, die nur geringe Spielräume gewährt, gilt jedoch bayernweit und somit verbindlich in jeder Kommune. Es ist zu begrüßen, dass die Bundesregierung in diesem Bereich nachsteuern und regionale Besonderheiten stärker berücksichtigen will."

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© Annegret Hilse

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