Virologe im Interview: So hat Corona sich bei uns eingenistet

2.4.2020, 05:57 Uhr
Der Ursprung des neuen Coronavirus liegt zwar bei Fledermäusen. Doch auf den Menschen wurde es erst über einen Zwischenwirt übertragen. Pangoline, auch Schuppentiere genannt, könnten diese entscheidende Rolle gespielt haben.

© Foto: Universität Würzburg Der Ursprung des neuen Coronavirus liegt zwar bei Fledermäusen. Doch auf den Menschen wurde es erst über einen Zwischenwirt übertragen. Pangoline, auch Schuppentiere genannt, könnten diese entscheidende Rolle gespielt haben.

NZ: Das neue Coronavirus ist von Tieren auf den Menschen übertragen worden. Welche Rolle spielt das für die Ausbreitung und Bekämpfung?

Lars Dölken: Viren kommen bei allen Lebewesen in großer Vielfalt vor. Nur in ganz wenigen Einzelfällen werden diese ganzen Viren für den Menschen zum Problem. So war das aktuell grassierende Sars-CoV-2 nicht das erste Coronavirus, das von einem Tier auf den Menschen übergesprungen ist. Das Mers-Coronavirus ist etwa in großen Kamelherden in Saudi-Arabien weit verbreitet. Da sind viele Kamele chronische Virusträger. Die Tiere selbst haben keine oder nur geringe Symptome. Chronische Virusinfektionen dürften auch bei den Fledermäusen in China vorliegen, bei denen man den Ursprung des neuen Coronavirus vermutet. Die Viren sind auf diese Tiere adaptiert: Sie schaden ihrem Wirt kaum, denn wenn sie ihre Wirte regelmäßig umbringen würden, hätten sie sich im Laufe der Evolution bald selbst eliminiert. Wenn solche Viren aber auf andere Tierarten oder den Menschen übertragen werden, kann die Situation außer Kontrolle geraten.

Über gefangene Wildtiere wie Pangoline könnte das Coronavirus in China auf den Menschen übertragen worden sein. Der Würzburger Virologe Lars Dölken rechnet in kurzer Zeit mit wirksamen Medikamenten.

Über gefangene Wildtiere wie Pangoline könnte das Coronavirus in China auf den Menschen übertragen worden sein. Der Würzburger Virologe Lars Dölken rechnet in kurzer Zeit mit wirksamen Medikamenten. © Foto: Universität Würzburg

Man vermutet, dass das neue Coronavirus von der Fledermaus über ein weiteres Tier wie dem Schuppentier zum Menschen kam. Könnten über den Menschen nun heimische Haus- oder Nutztiere infiziert werden?

Dölken: Niemand muss sich größere Sorgen machen, dass sein Hund oder seine Katze an Corona verstirbt oder zu einer über lange Zeit gefährlichen Infektionsquelle wird. Es gab zwar kürzlich offenbar den ersten Fall einer Infektion einer Katze mit Sars-CoV-2. Diese Katze wird aber wie die meisten Menschen die Infektion innerhalb von zwei bis drei Wochen ausheilen. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass sich diese Katze zum chronischen Virusträger entwickelt und andere Menschen ansteckt. Bei Ebola war es auch nicht so, dass in den Verbreitungsgebieten Haus- oder Nutztiere zu Überträgern wurden. Haustiere werden auch jetzt bei der Sars-CoV-2-Pandemie keine relevante Rolle als Infektionsquelle spielen. Das müsste man natürlich mal genauer untersuchen, um es zu hundert Prozent auszuschließen. Wenn man es hundertmal oder tausendmal gezielt darauf anlegt, dann wird es vielleicht einmal vorkommen. Von wirklicher Bedeutung wäre das aber nur, wenn der Hund oder die Katze dann eine über Monate bestehende Infektion etablieren würden, so dass sie über lange Zeiträume hinweg infektiös wären. Damit ist nicht zu rechnen.

Wie konnte sich das Coronavirus bei den Fledermäusen dauerhaft festsetzen?

Dölken: Die Fledermäuse infizieren sich in den großen Kolonien zumeist schon kurz nach der Geburt mit Corona. Wenn sie älter wären, hätte ihr Immunsystem das Virus vermutlich platt gemacht. Auch das menschliche Immunsystem hat viele Möglichkeiten, mit fremden Viren fertigzuwerden. Meist hat daher so ein "Tier-Virus" bei uns gar keine Chance, jetzt aber erleben wir das Gegenteil. Sars-CoV-2 ist für den Menschen deutlich gefährlicher als Influenzaviren, aber viel weniger gefährlich als das ursprüngliche Sars-CoV-1. Da waren die Todesraten viel höher, aber das Virus war bei weitem nicht so infektiös wie das neue Coronavirus: Die Leute wurden bei Sars-CoV-1 erst krank und dann infektiös, man konnte die Infektion mit einfachen Fiebermessungen erkennen. Das half extrem bei der Eindämmung. Jetzt aber wird man bei Infektionen mit Sars-CoV-2 zuerst infektiös und bekommt dann Symptome. Daher war bei dieser Epidemie recht schnell klar, dass sie nicht aufzuhalten ist.

Werden wir das Virus wieder aus der Welt kriegen?

Dölken: Wenn wir einen wirksamen Impfstoff entwickeln und damit ein Großteil Weltbevölkerung geimpft wird, könnten wir dieses Virus auch wieder eliminieren. Ohne eine Impfkampagne wie früher bei den Pocken werden wir aber Sars-CoV-2 wohl nicht so einfach wieder los. Dabei ist das neue Coronavirus eigentlich kein ungewöhnliches Virus. Die jetzige Lage basiert auf der Kombination von mehreren ungünstigen Faktoren: Das Virus ist ganz neu, es gab zu Beginn der Pandemie überhaupt keine Immunitäten in der Bevölkerung. Zudem wird es sehr leicht übertragen und kann schwer krank machen. Diese Kombination ist extrem ungünstig für uns. Es wird wohl auch künftig immer mal wieder zu kleineren Ausbrüchen kommen. Die aber aller Voraussicht nach nie wieder ein solches Ausmaß annehmen. Die Infektionen treffen dann nämlich auf eine immunologisch trainierte Bevölkerung. Es werden hauptsächlich kleine Gruppen von nicht-immunen Personen erkranken. Ausbrüche werden sich dann mittels Impfungen abriegeln lassen. Wir können also unter den Menschen in hohem Maße Immunität aufbauen, durch Infektion oder durch Impfung. Damit ist die Gefahr natürlich nicht gebannt, da dieses oder ähnliche Coronaviren erneut von einem Tier auf den Menschen überspringen. Wenn andere Viren wie das Mers-Coronavirus dem Menschen sehr nahe kommen, wie bei den Kamelen in Saudi-Arabien, kommt es immer wieder zu Infektionen. Da muss es uns gelingen, die großen Kamelherden vom Virus zu befreien. Bei wildlebenden Tieren wie Fledermäusen und Schuppentieren geht das natürlich nicht.

Die Wirtstiere kommen mit dem Coronavirus besser zurecht als der Mensch. Kann man sich von ihnen etwas abschauen, um ein Medikament zu entwickeln?

Dölken: Leider nicht wirklich. Wir wissen aber schon sehr viel über diesen Virustyp und sind auch schon recht weit bei der Suche nach Medikamenten. So handelt es sich bei Coronaviren wie auch beim Ebola-Virus um RNA-Viren. Sie alle haben ein Enzym gemeinsam. Dieses Enzym verwendet vier bestimmte RNA-Bausteine, um das Virus zu vermehren. Das macht es angreifbar für von uns veränderte Bausteine, die so ähnlich aussehen. Damit lässt sich die Vermehrung komplett unterbinden. Nach wenigen Tagen ist die Erkrankung weitestgehend überstanden. Diese veränderten Bausteine können wir prinzipiell auch bei anderen RNA-Viren einsetzen. Die Laborversuche mit Ebola-Medikamenten beim neuen Coronavirus sehen sehr gut aus, aber es gibt noch keine Untersuchungen mit großen Patientengruppen.


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Für lebensbedrohliche Notfälle liegen am Nürnberger Klinikum schon Ebola-Medikamente bereit. Wann wird es ein offizielles Corona-Medikament geben?

Dölken: Es gibt drei oder vier Medikamenten-Kombinationen, von denen man sich eine Wirkung verspricht, das Ebola-Medikament ist eines davon. Die ersten Studien laufen schon, das wird jetzt relativ schnell gehen. In den nächsten zwei Wochen werden noch eine Menge Patienten für die nötigen wissenschaftlichen Studien rekrutiert werden, und dann wird es etwa zwei weitere Wochen dauern, bis feststeht, ob die ersten Patienten erfolgreich behandelt wurden oder nicht. Insgesamt müssen wir wohl mit etwa vier bis sechs Wochen rechnen. Die ersten Studienergebnisse, die schon rauskamen, haben vielleicht noch nicht die gleichen Qualitätsstandards, weil sie sehr schnell gemacht wurden, aber sie geben Hoffnung.

Wie beurteilen Sie die Aussichten auf einen Impfstoff?

Dölken: Das normale Prozedere ist, dass man Impfstoffe im Tierversuch testet, ob sie entsprechende Immunantworten erzeugen. Erst danach werden sie im Menschen getestet. Aber wir haben schon einen hohen Wissensstand. Die momentan entwickelten Impfstoffe müssen daher nicht zuerst auf ihre Wirksamkeit und danach auf ihre Sicherheit getestet werden. Das kann parallel gemacht werden und beschleunigt alles um mehrere Monate. Wir können mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass sie wirksam und sicher sein werden. Wir können daher früher anfangen, Impfstoff in großen Mengen zu produzieren. Wenn die Testergebnisse dann doch gegen den Impfstoff sprechen, hat man zwar viel Geld verbrannt. Aber das fällt nicht ins Gewicht, wenn man es mit den Schäden durch Covid-19 vergleicht. Außerdem werden ja gerade auch mehrere verschiedene Impfstoffe entwickelt. Einer wird garantiert funktionieren. Ich hoffe daher sehr auf einen Impfstoff für alle noch in diesem Jahr.


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