Bedingungsloses Grundeinkommen

Ein Tausender für alle, jeden Monat, einfach so: Kann das funktionieren?

10.10.2021, 06:03 Uhr
In der Coronakrise (hier Bedürftige, die in Nürnberg unter anderem für Gutscheine anstehen) wurden die Forderungen nach einem bedingungslosen Grundeinkommen heftiger. 

© Michael Matejka In der Coronakrise (hier Bedürftige, die in Nürnberg unter anderem für Gutscheine anstehen) wurden die Forderungen nach einem bedingungslosen Grundeinkommen heftiger. 

Jeder bekommt monatlich 1000 Euro. Von der Geburt bis zum Tod. Einfach so. Geht das? Ja, sagt der Verein "Mein Grundeinkommen" und schreibt auf seiner Homepage: "Das Geld ist schon da, es wirkt nur nicht so gut". Gemeint ist der Bundeshaushalt, der im vergangenen Jahr 1,19 Billionen Euro für Sozialleistungen ausgab.

"Mein Grundeinkommen" sieht sich als Soziallabor. Seit 2014 verlosen die Berliner immer wieder 1000 Euro, jeden Monat, ohne Abzüge, für ein Jahr. 917 solcher bedingungslosen Grundeinkommen wurden bisher über Crowdfunding finanziert. Wenn 12.000 Euro an Spenden zusammen gekommen sind, wird ein Grundeinkommen verlost. Lisa Dimitri (24) aus dem unterfränkischen Volkach bekommt es seit 1. Januar dieses Jahres.

Lisa Dimitri: "Ich bin in der Ausbildung zur Erzieherin, seit September mache ich dafür ein Berufspraktikum. Ich bekomme Bafög, aber das Geld ist sehr knapp. Für das bedingungslose Grundeinkommen hatte ich mich schon lange beworben. Als die Karte kam, dass ich eines gewonnen hatte, konnte ich es gar nicht glauben. Ich habe es meinem Schulleiter gesagt, der hat sich total für mich gefreut. Ansonsten hänge ich es in Volkach nicht an die große Glocke."

Im Mai 2017 lag eine Karte im Briefkasten von Daniela Thieme. "Viel Spaß damit" stand darauf. Thieme hatte sich beim Berliner Verein beworben und Grundeinkommen Nummer 77 gewonnen. Damals arbeitete sie in der Großküche der Gemeinde St. Ludwig in Gibitzenhof, verdiente 1300 Euro netto, allein die Miete kostete 520 Euro. Die zwei Töchter zog sie alleine groß. "Ich kam immer gut auf Null", erinnert sich die 51-Jährige, "aber da war kein Reifenwechsel drin oder die Reparatur einer kaputten Waschmaschine. Solche Ausgaben mussten warten, weil ich nichts zurücklegen konnte." Die Zeit damals mit dem Extra-Tausender monatlich war schön, sagt Thieme heute, "ich hatte finanzielle Freiheit".

Wissenschaftliche Untersuchung

Der Verein "Mein Grundeinkommen" führt zusammen mit dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) eine dreijährige Feldstudie durch. Sie soll erstmals wissenschaftlich untersuchen: Was passiert, wenn allen Bürgern ein fester monatlicher Betrag ausbezahlt wird, ohne die Auszahlung an Bedingungen zu knüpfen?

Dieser Betrag soll, so die Theorie, unter anderem das Arbeitslosengeld I und II, das Kindergeld, das Sozialgeld, die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ersetzen. Finanziert wird die Studie von rund 140.000 privaten Spenderinnen und Spendern. In diesem Frühling wurden die ersten Grundeinkommen ausbezahlt.

Diese radikale Vereinfachung der sozialen Absicherung setze der Stigmatisierung vieler Menschen ein Ende, sagen die Befürworter Niemand müsse sich mehr schämen, wenn er staatliche Unterstützung bekommt, denn das Grundeinkommen erhalten ja alle. Verdeckte Armut gäbe es nicht mehr, ebenso weniger Bürokratie, es gäbe keinen Anlass für Neiddebatten.

Zu den prominentesten Unterstützern eines bedingungslosen Grundeinkommens gehören Drogeriemarkt-Gründer Götz Werner und der ehemalige Siemens-Chef Joe Kaeser. Die ersten Ideen dazu gab es im 18. Jahrhundert. Dem englischen Intellektuellen Thomas Paine, einem der Gründervater der Vereinigten Staaten, ging es damals um Fragen der Gerechtigkeit.

Weniger Bürokratie, mehr Effizienz?

Auch der Bürokratieabbau trifft einen Nerv. Wie lange es dauern kann, bis ein Anspruch geprüft ist, zeigte sich während der Corona-Krise. Im Frühjahr 2020, als Deutschland den ersten Lockdown erlebte, verlangte eine Online-Petition daher ein zeitlich begrenztes bedingungsloses Grundeinkommen. Rund 460.000 Menschen hatten unterschrieben.

Lisa Dimitri: "Dass ich wenig verdiene, hatte ich im Lockdown nicht so gemerkt, man konnte ja fast nichts machen. Der Gewinn war ein Lichtblick in der Pandemie. Jetzt kann ich essen gehen, ich kann auch mal meine Freunde bei Berlin und Dortmund besuchen. Zugtickets sind teuer. Ich kann mehr ausgeben, zum Beispiel für Tattoos."

Ein Sprichwort besagt, dass Geld nicht glücklich macht. Das stimmt nicht, weiß Karlheinz Ruckriegel. Er ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Technischen Hochschule Nürnberg, außerdem Glücksforscher. Dabei beschäftigt er sich mit der Frage, wie sich das subjektive Wohlbefinden vergrößern lässt. "Wir brauchen genug Einkommen, um unsere wesentlichen materiellen Bedürfnisse zu decken und eine soziale Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen." Ist die finanzielle Sicherheit erreicht – bringt dann mehr Geld auch mehr Wohlbefinden?

Endlich den Führerschein machen

Die Antwort kann uns ein Blick auf einen fiktiven Porschefahrer geben. Nach einiger Zeit gewöhnt sich dieser an seinen Porsche, es verlangt ihn nach einem exklusiveren Gefährt – Ruckriegel nennt das die "hedonistische Tretmühle". Wenn alle um ihn herum goldene Lamborghinis fahren, sinkt das Wohlbefinden weiter. "Bei einem generellen Einkommensanstieg für alle kommt es einfach zu einer Erhöhung der sozialen Norm", erklärt Ruckriegel. "Die Zufriedenheit steigt nicht, da alle mehr haben." Wichtig für das persönliche Glücklichsein ist nicht nur der Betrag auf dem eigenen Konto. Sondern auch das, was die anderen zur Verfügung haben.

Lisa Dimitri: "Endlich konnte ich den Führerschein machen, den habe ich selbst bezahlt, statt dass das mein Vater zahlen musste. Ich kann mir und allen anderen mehr gönnen."

Das Grundeinkommen beschert einen besseren Schlaf, diese Menschen sind körperlich aktiver, insgesamt zufriedener. Davon ist der Verein "Mein Grundeinkommen" überzeugt. Dies alles führe zu mehr Gemeinschaft und zu einem gerechteren Arbeitsmarkt. Bisher schlecht bezahlte Jobs wie die an einem Krankenbett oder auf dem Fahrersitz eines Lastwagens würden besser entlohnt, sonst würde sie keiner machen wollen.

Was aber ist mit EU-Ausländern?

Falsch gedacht, sagt Marcel Fratzscher, der an der Berliner Humboldt-Universität lehrt und als Präsident dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) vorsteht. Also eben diesem Institut, das zusammen mit dem Berliner Verein die Auswirkungen des bedingungslosen Grundeinkommens untersucht.

Noch 2017 hatte Fratzscher in einem Aufsatz geschrieben, dass mit dem Grundeinkommen zunächst einmal Wirtschaftsleistung und Kaufkraft sinken und damit alle Löhne nach unten ziehen. Unbeliebte Jobs würden nicht mehr oder von Zuwanderern besetzt. Folglich steigt der Zuzug aus dem EU-Ausland: Menschen, die dann ebenfalls Anspruch auf das bedingungslose Grundeinkommen hätten.

Die AfD schlägt auch deswegen vor, dass ausschließlich deutsche Staatsbürger das Grundeinkommen erhalten sollen. Abgesehen von der Frage, ob sich das in der EU mit ihrer Freizügigkeit überhaupt juristisch durchsetzen ließe: Die Folge wäre eine Zweiklassengesellschaft, so Michael Fratzscher damals.

Drei Jahre später zeigte er sich milder. Die gemeinsame Studie mit dem Berliner Verein sei "wertvoll und wichtig", schrieb er in der "Zeit": "Die Pandemie gibt uns die Chance, viele Dinge neu zu denken."

Lisa Dimitri: "Ich weiß, es gibt Leute, die das bedingungslose Grundeinkommen erhalten haben und danach mit Mittelaltermärkten rumgezogen sind, weil das schon immer ihr Traum war. Vielleicht, weil sie nicht gerne auf ihre Arbeit gegangen sind. Für mich persönlich kann ich mir nicht vorstellen, zu kündigen. Ich gehe arbeiten und spare jeden Monat einen Mindestbetrag auf mein Konto."

Inzwischen hat Daniela Thieme den Job gewechselt. Raus aus der Gastronomie, bei der sie in den unsicheren Corona-Zeiten auf Kurzarbeit war. Nun ist sie bei einem Camperverleiher. "Allein wegen des Grundeinkommens hätte ich die Arbeit nicht gewechselt, das ist zu riskant. Das bekommt man ja nur ein Jahr. Um da weit reichendere Entscheidungen zu treffen, müsste man von Anfang an einen guten Plan in der Schublade haben."

Auch der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium der Finanzen kritisiert diese willkürliche Zeitspanne. In seinem Gutachten zum bedingungslosen Grundeinkommen vom 21. Juli 2021 schreibt er über das Experiment von DIW und "Mein Grundeinkommen": Nur der "Einkommenseffekt" werde bisher untersucht. "Er entspricht einem Lottogewinn", der in Raten ausbezahlt werde. Wenn aber wirklich jeder, auch der Allerreichste, sein Leben lang ein Grundeinkommen erhalten soll, muss die Gegenfinanzierung stehen.

In Simulationen nimmt der Beirat, dem auch der Wirtschaftswissenschaftler Thiess Büttner von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg angehört, verschiedene Modelle unter die Lupe. Einmal werden unter anderem der steuerliche Grundfreibetrag abgeschafft, dafür beträgt das Grundeinkommen nur 175 Euro im Monat.

Bei einem anderen Szenario steigt das Grundeinkommen auf 446 Euro, dafür entfallen die bedarfsabhängigen staatlichen Leistungen für den alltäglichen Bedarf. Im dritten Szenario bekommen alle Erwachsenen 1000 Euro, jedes Kind 500 Euro monatlich. Im vierten Szenario entspricht das Grundeinkommen dem Regelbedarf im Arbeitslosengeld II und ist damit noch viel höher.

Steuersätze könnten enorm steigen

Es zeigt sich: Nur bei einem monatlichen Betrag von bis zu 200 Euro ließe sich das Grundeinkommen "aufkommensneutral" finanzieren. Dies ist aber nicht der große Wurf, der der Idee zugrunde liegt. Bei den anderen Szenarien gleichen sich die Ergebnisse darin, dass die Steuern steigen müssen – von moderat bis hin zu Steuersätzen von 77 bis 88 Prozent.

Einer der Gründe dafür ist, dass die Kosten für die Rente oder die Krankenversicherung zwar Teil des Sozialbudgets von 1,19 Billionen Euro sind, aber nicht in dem Grundeinkommen aufgehen können. Die Rente ist ein Anspruch mit einem eigentumsähnlichen Charakter, die Krankenversicherung wird durch Arbeitnehmer und Arbeitgeber finanziert.

Dazu kommt, dass etwa behinderte Menschen zweifellos zusätzliche Unterstützung brauchen. "Die Abgabenlast wird also noch größer, wenn sich der Staat entschließt, einzelne Bevölkerungsgruppen zusätzlich weiterhin gezielt zu unterstützen", schreiben die Gutachter.

"Alles gönnen, was sonst nicht geht"

Ob Steuern in derartigen Höhen verfassungsrechtlich überhaupt noch zulässig sind, bezweifelt der Wissenschaftliche Beirat. Aber selbst wenn die Gerichte sie erlauben würden, ergebe sich das nächste Problem: "Personen mit überdurchschnittlichem Erwerbseinkommen" treibe es ins Ausland, befürchten die Experten. "Ein weitgehender Brain Drain und eine weitgehende Verlagerung von Investitionen" seien zu erwarten.

Daniela Thieme: "Wenn man das bedingungslose Grundeinkommen gewinnt, sollte man sich alles gönnen, was sonst nicht geht! Ich bin immer ein glücklicher Mensch, das hängt bei mir nicht vom Geld ab."


Am 20. Oktober 2021 werden 26 neue bedingungslose Grundeinkommen verlost. Teilnehmen kann man hier: www.mein-grundeinkommen.de/verlosung/uebersicht

9 Kommentare