Memoiren mit Glyphosat-Kapitel

Christian Schmidt blickt zurück: "Ich möchte da nicht als Denkmal sitzen"

20.9.2021, 11:56 Uhr
Abschied: Christian Schmidt (CSU) gehörte mehr als 30 Jahre dem Deutschen Bundestag an. Seit 1990 holte er stets das Direktmandat im Stimmkreis Fürth.

© ELVIS BARUKCIC, AFP Abschied: Christian Schmidt (CSU) gehörte mehr als 30 Jahre dem Deutschen Bundestag an. Seit 1990 holte er stets das Direktmandat im Stimmkreis Fürth.

Unser Gesprächspartner: Christian Schmidt (CSU), 64, ist seit 1990 Mitglied des Bundestags, er holte stets das Direktmandat im Stimmkreis Fürth. Er war Parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium (2005 bis 2013), dann im Entwicklungsministerium. Von Februar 2014 bis März 2018 war er Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, ab Oktober 2017 kommissarisch auch Verkehrsminister. Am 1. August trat er das Amt des Hohen Repräsentanten für Bosnien und Herzegowina an, für den neuen Bundestag kandidiert er daher nicht.

Herr Schmidt, über 30 Jahre lang – seit 1990 – waren Sie Bundestagsabgeordneter. Nach acht Amtszeiten ist jetzt Schluss: Auf den Stimmzetteln für die Bundestagswahl 2021 stehen als CSU-Direktkandidat nicht mehr Sie, sondern ein Nachfolger. Wie geht es Ihnen damit?

Der Schritt fiel mir nicht leicht, das hat mich kräftig umgetrieben. Für den neuen Posten hatte mich die Kanzlerin vorgeschlagen; sie macht so etwas aber nicht, ohne mit dem CSU-Vorsitzenden und der SPD zu sprechen. Nach einer Bedenkzeit hab’ ich mir gesagt: Dann mache ich das jetzt. Ich hab’ viele Reaktionen bekommen von Leuten, die sagen: ,Schade, dass Sie nicht mehr kandidieren.‘ Aber das ist immer besser, als wenn die Leute irgendwann sagen: ,Jetzt wird’s aber Zeit, dass er Platz macht für einen anderen.‘ Die neue Aufgabe wird mich sicher sehr fordern und auch erfüllen.

Das Gebilde Bosnien-Herzegowina ist immer noch zerbrechlich. Was wollen Sie als Hoher Repräsentant in dem Land erreichen?

Meine Aufgabe ist im Grunde, dieses Amt überflüssig zu machen. Ich will dazu beitragen, dass demokratische Strukturen gefestigt werden und das Land so selbstständig ist, dass es Mitglied der EU werden kann. Wichtig ist mir auch, dass die junge Generation eine Perspektive in ihrem Heimatland bekommt. Momentan rennen die jungen Leute weg, sie haben die Nase voll von der Korruption.

Erste Ideen, was sich ändern müsste?

Die Kernproblematik ist in Bosnien-Herzegowina noch nicht richtig gelöst. Das ist ein Jugoslawien im Kleinen: mehrere Ethnien, die bis heute nicht richtig zusammengefunden haben. In der Schulbildung zum Beispiel sind Serben, Kroaten und Bosniaken getrennt, auch in anderen Bereichen wird verhindert, dass sich Jugendliche der verschiedenen Gruppen sehen. Da kann doch nichts draus entstehen. Wir haben nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland gesehen, wie segensreich internationale Austauschprogramme für junge Menschen waren. Außerdem muss man manches vereinfachen, schauen, wie der Staat besser funktionieren kann. Es gelang nicht einmal, sich auf einheitliche Notrufnummern zu einigen – aber ist ein serbischer Herzinfarkt anders als ein kroatischer? Bei 2,8 Millionen Einwohnern gibt es in Bosnien-Herzegowina 137 Ministerien.

Wie gut kennen Sie das Land?

Ich war 1992 zum ersten Mal in Bosnien, als dort über die Unabhängigkeit abgestimmt wurde, und seitdem immer wieder. Gerade als Parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium war ich regelmäßig auf dem Balkan.

Christian Schmidt blickt zurück:

© Foto: Marc Tirl/dpa

Blicken wir zurück auf Ihre drei Jahrzehnte im Bundestag: Die Verteidigungspolitik schien Sie zu erfüllen. War die schönste Zeit also die, bevor Sie Landwirtschaftsminister wurden?

Ja, die schönste Zeit war definitiv die Zeit als Verteidigungs- und Außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU und dann die Staatssekretärszeit. Als Staatssekretär können Sie eine Entscheidung notfalls auf den Minister schieben. Als Minister müssen Sie entscheiden, da ist die Last noch größer. Als Sprecher und Staatssekretär bin ich relativ jung in tolle Situationen gekommen. Ich bin mit Bundeskanzler Kohl unterwegs gewesen, in Südamerika, Israel, Jordanien, Ägypten, Asien. Ich hab’ unwahrscheinlich viele Leute kennengelernt, darunter gekrönte Häupter wie Queen Elizabeth, Nobelpreisträgerinnen und -preisträger, Schauspieler von Jane Fonda bis Jan Josef Liefers oder erfolgreiche Athletinnen und Athleten der Bundeswehr wie Kati Wilhelm, aber auch Willy Brandt, Hans-Dietrich Genscher, Michail Gorbatschow, Jitzchak Rabin und Yassir Arafat. Ich hab’ in dieser Zeit die Welt gesehen und sehr viel gelernt.

Sie wurden als eher blasser Landwirtschaftsminister wahrgenommen, als einer, dem kein großer Wurf gelang. Wie kamen Sie mit der Kritik zurecht?

Die Kritik muss man aushalten. Landwirtschaftspolitik ist eine stark interessengeleitete Politik. Da gerät man schnell in das Mahlwerk derer, die es ganz anders sehen wollen, und derer, die ökonomische Interessen haben. Dass man nicht prominent ist als Landwirtschaftsminister, ist deshalb eigentlich nicht verkehrt. Vieles, was ich auf den Weg gebracht habe, wurde jetzt von meiner Nachfolgerin umgesetzt, zum Beispiel das Tabakwerbeverbot oder das Verbot des Kükenschredderns. Meine Entscheidungen waren im Kern richtig und zukunftsweisend.

Die Umsetzung war in Ihrer Zeit nicht zu schaffen?

Landwirtschaftspolitik ist ein Prozess, vor allem muss man die mitnehmen, die noch nicht realisiert haben, dass die ökologischen Nachhaltigkeitsbedingungen anders sind als vor 50 Jahren, und man muss umgekehrt der Gesellschaft klar machen, dass man nicht alles auf den Landwirten abladen kann. Da muss man mit beiden Füßen auf dem Boden sein, manchmal fränkisch stur und nicht nur lautstark. Mir haben die Aufgaben Spaß gemacht und ich bin auch ganz zufrieden mit dem, was ich angestoßen habe, zum Beispiel das Grünbuch Landwirtschaft.

Gibt es etwas, das Sie bereuen? Zum Beispiel die Glyphosat-Entscheidung?

Gerade die bereue ich nicht. Ich habe sie nach wissenschaftlichen Erkenntnissen getroffen und eben ganz kurzfristig erst nach Nachhaltigkeitszusagen der EU-Kommission. Ich hab’ damals gesagt: Wenn wir Hinweise bekommen, dass es gesundheitliche Fragen oder trotz massiver Anwendungsbeschränkungen – für die stehe ich eben auch – kritische Biodiversitätsprobleme gibt, dann müssen wir reagieren und tun das auch. Aber ich kann nichts anfangen mit dieser Knall-Fall-Politik. Ich will Sie damit aber nicht behelligen – das wird ein Teil meiner Memoiren sein.

Sie schreiben Ihre Memoiren?

Ich gehe das an, ja. Ein Wissenschaftler hat mir gesagt: ,Sie müssen jetzt mal. Wenn Sie abends in Sarajevo Zeit haben, nehmen Sie das Diktiergerät und sprechen mal was runter, damit das nicht verloren geht.‘

Und was wird da drinstehen, im Glyphosat-Kapitel?

Da wird erkennbar sein, dass es mitnichten so ist, dass der Schmidt einen Alleingang gemacht hat. Da müssen sich alle, mit denen man damals Koalitionsverhandlungen geführt hat, auch noch mal Gedanken machen. Womit ich allerdings so nicht gerechnet hatte, waren die persönlich auf mich gerichteten Reaktionen. Es kamen ja sogar Morddrohungen – selbst Barbara Hendricks (damals Umweltministerin, SPD, Anm. d. Red.), die beim Thema Glyphosat anderer Meinung war als ich, hat sich öffentlich vor mich gestellt. Das war ein Stück Menschlichkeit in der Politik. Bereut habe ich übrigens etwas anderes: dass ich bei der Bonn-Berlin-Entscheidung für Bonn gestimmt habe. Das würde ich heute nicht mehr machen.

Nach dieser langen Zeit: Was werden Sie in Ihrem neuen Leben vermissen?

Das werde ich wohl erst sehen, wenn ich nicht mehr im Bundestag bin. Ich hab’s ein bisschen kommod, weil ich in Berlin ein Büro behalte und auch einige Aufgaben. Ich werde die vielen Bürgeranliegen vermissen und ein Stück weit die Kollegen – aber Politik lebt auch von Innovation. Im neuen Bundestag gibt es außer Peter Ramsauer und Wolfgang Schäuble, dem "Unerreichbaren", niemanden, der seit dieser Zeit noch dabei ist. Es kommt eine neue Generation. Und ich möchte nicht, dass ich irgendwann da als Denkmal sitze und immer einer vorbeikommt und mich abstaubt. Da sollen jetzt andere ran.

Was werden Sie nicht vermissen?

Als ich meinen Wahlkampf 1990 gemacht habe, da waren in den Ortschaften die Wirtshausversammlungen noch wichtig. Heute gibt es andere Kommunikationswege, schnelle Reaktionen – aber das ist teils mit Oberflächlichkeit verbunden, das werde ich nicht vermissen.

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