Mietobergrenze für Hartz-IV-Empfänger: Nürnbergerin wehrt sich

8.10.2020, 18:03 Uhr
Wenn die Miete zu teuer ist, müssen sich Sozialleistungsbezieher eine neue, günstigere Bleibe suchen und umziehen. 

© Patrick Daxenbichler, NZ Wenn die Miete zu teuer ist, müssen sich Sozialleistungsbezieher eine neue, günstigere Bleibe suchen und umziehen. 

Inge S. (Name geändert) war so froh, dass sie überhaupt eine Wohnung gefunden hatte. Die 55-Jährige musste 2016 aus ihrer bisherigen Bleibe ausziehen. Der Vermieter hatte einen Räumungstitel, sie lief Gefahr, auf der Straße zu landen. Im Nürnberger Stadtteil Reichelsdorf fand die gehbehinderte Frau kurzfristig ein neues Zuhause mit Aufzug für 400 Euro Grundmiete plus 100 Euro Nebenkosten ohne Heizung.
Damals lag der Satz für Miete inklusive Nebenkosten und ohne Heizung, den das Jobcenter zahlt, bei 374 Euro. Mittlerweile wurde er angehoben, zuletzt von 397 Euro auf 441 Euro. Inge S. musste also von ihrer Grundsicherung einen großen Teil für die Wohnungskosten abzwacken.


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S. zog vors Nürnberger Sozialgericht und hatte teilweise Erfolg: Für den Zeitraum von Mitte 2016 bis Ende 2017 muss das Jobcenter einen Teil der Kosten, insgesamt etwas über 1200 Euro, übernehmen.

Fortschreibung alle zwei Jahre notwendig

In diesem Zeitraum lag nach Ansicht der 8. Kammer kein aktuelles „Schlüssiges Konzept“ für die Mietrichtwerte für Grundsicherungs-Bezieher vor. Für spätere Mietzahlungen bekommt Inge S. indes keinen Ausgleich vom Amt. Ab 2018 war das Konzept auf einem angemessenen Stand. Das Gericht beruft sich auf eine Entscheidung des Bundessozialgerichts, nach der alle zwei Jahre eine Fortschreibung des Papiers notwendig ist.


In der Verhandlung vor dem Sozialgericht wurde aber auch ganz grundsätzlich über die Berechnungsgrundlagen des Konzepts diskutiert. Ulli Schneeweiß, Rechtssekretär der Gewerkschaft ver.di, der Inge S. in diesem Fall vertritt, kritisiert unter anderem, dass der Mietenspiegel als Datengrundlage herangezogen wird. In dieser Erhebung würden auch Bestandsmieten berücksichtigt, relevant seien aber die Neuvermietungspreise. Andere Kommunen würden die Mietobergrenzen ganz anders und günstiger für die Leistungsbezieher berechnen. Er verweist dabei unter anderem auf die Wohngeldtabelle.

Wohngeldtabelle gilt nur als Hilfswerkzeug

Das sei rechtlich nicht möglich, sagt Alexandra Frank-Schinke, beim Sozialamt der Stadt Nürnberg für die kommunalen Leistungen im Jobcenter zuständig. Die Wohngeldtabelle dürfe nur als eine Art Hilfswerkzeug verwendet werden, wenn keine anderen Daten zur Verfügung stehen und ein sogenannter „Erkenntnisausfall“ vorliege.
Die Juristin, die seit 2005 das Konzept für die Mietpreis-Richtwerte erstellt, hält den Mietenspiegel, der alle zwei Jahre vom städtischen Statistikamt erstellt wird, für eine gute Datengrundlage. Die Kritik, dass Nürnberg besonders restriktiv vorgeht, weist sie zurück. „In Nürnberg gibt es über 20000 Leistungsbezieher. Dafür gibt es vergleichsweise wenige Widersprüche und Klagen gegen die Bescheide“, so die Vertreterin des Sozialamts.

Zehn Prozent Kulanz

Das Jobcenter übernimmt laut Alexandra Frank-Schinke bei Bestandsmieten in der Regel eine Überschreitung von zehn Prozent, zahlt also bis zu 486 Euro für einen Einpersonenhaushalt. Das sei oft wirtschaftlicher, als die Betroffenen umziehen zu lassen. Bei neuen Mietverträgen werden jedoch nur die 441 Euro gezahlt.


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Hintergrund sind die Regelungen aus den Sozialgesetzbüchern II und XII. Darin steht: „Die Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind.“ Was „angemessen“ ist, ist aber nicht genau festgelegt. Klar ist, dass die Kosten in München höher sind als beispielsweise in Wunsiedel. Aber der Teufel steckt wie so oft im Detail. „Seit 2005 gab es fast 50 höchstrichterliche Urteile dazu. Die Stadt passt sich laufend den Entscheidungen an“, so Frank-Schinke. Das aktuellste „Schlüssige Konzept“, ein 134-Seiten-Wälzer, wurde im Juni 2020 vom Sozialausschuss des Stadtrats genehmigt.

Schwierige Wohnungssuche

Gewerkschaftssekretär Ulli Schneeweiß verweist darauf, dass es für Hartz IV-Bezieher in Nürnberg extrem schwer ist, an eine passende Wohnung zu kommen. Kleine und günstige Wohnungen seien rar. Bei gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften gäbe es oft lange Wartelisten. Günstigen Wohnraum auf dem freien Wohnungsmarkt zu finden, sei fast unmöglich: „Sie stehen in Konkurrenz mit Menschen aus mittleren Einkommensgruppen“, so Schneeweiß. Jemand der mit einem aktuellen Gehaltszettel vorstellig werde, sei für den Vermieter auf den ersten Blick freilich attraktiver. Insgesamt müsse das Angebot verbessert werden: „In Nürnberg wird immer noch viel zu wenig gebaut, gerade für Menschen mit wenig Geld“, findet Schneeweiß.


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