Eishockey-Kontraste: Draisaitl, die DEL und die Ice Tigers

23.9.2020, 14:11 Uhr
Erst jubelte Leon Draisaitl über seine Tore, jetzt kann er sich als erster Deutscher darüber freuen, zum MVP der wichtigsten Eishockey-Liga der Welt gewählt worden zu sein.

© Lynne Sladky, dpa Erst jubelte Leon Draisaitl über seine Tore, jetzt kann er sich als erster Deutscher darüber freuen, zum MVP der wichtigsten Eishockey-Liga der Welt gewählt worden zu sein.

Im Herbst 2015 war nicht abzusehen, dass ihn nordamerikanische Fachjournalisten fünf Jahre später zum MVP, zum wertvollsten Spieler der National Hockey League wählen würden und damit inoffiziell zum besten Spieler der Welt. Im Herbst 2015 schien Draisaitl den Edmonton Oilers nicht reif genug für die NHL zu sein. Und weil er und sein Berater wiederum der Meinung waren, dass Draisaitl zu gut war für das Farmteam, suchten sie nach einer Alternative. Zum Beispiel in Nürnberg, wo einstige NHL-Stars angestellt waren, die Draisaitl hätten helfen können. Dem jungen Mittelstürmer lag ein Vertrag zur Unterschrift vor. Dann holten ihn die Oilers zurück in die NHL. Der Rest ist deutsche Eishockeygeschichte.

Der Montag hätte also ein großer Tag werden können. Stattdessen wurde es ein Tag, an dessen Ende die Deutsche Eishockey Liga um Hilfe schrie. Siebeneinhalb Stunden waren die Gesellschafter der DEL zuvor in Frankfurt zusammengesessen – auch um gemeinsam eine Pressemitteilung zu verfassen, in der die verzweifelte Lage der Liga beschrieben wird, nachdem sich die Staatskanzleichefs am 15. September darauf geeinigt hatten, in Sportstätten vorerst eine Belegung von 20 Prozent der Kapazität zuzulassen. "Alle Klubs wollen unbedingt spielen", so ließ sich Jürgen Arnold, Aufsichtsratsvorsitzender der DEL stellvertretend für die 14 Klubs zitieren, "aber unter den derzeitigen Rahmenbedingungen ist dies wirtschaftlich nicht seriös darstellbar. Uns fehlen für einen verantwortungsvollen Saisonstart rund 60 Millionen Euro, die wir ohne die Hilfe Dritter alleine nicht aufbringen können."

Für Söder nicht interessant?

Am Tag danach fand Wolfgang Gastner ein eindrücklicheres Bild für die Situation, in der sich auch seine Ice Tigers befinden. "Wir fahren bei Nebel mit 200 km/h ohne Scheinwerfer gegen den Baum." Der Hauptgesellschafter des Nürnberger DEL-Klubs sagte, dass er bei einem Schnitt von 1500 Zuschauern in der Arena Nürnberger Versicherung, der ziemlich genau den zugelassenen 20 Prozent entspricht, mit einer Unterdeckung seines coronabedingt "erzkonservativ" geplanten Budgets von zwei Millionen Euro planen müsste. "Wir wollen unbedingt spielen. Aber so können wir nicht starten."


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Wie sein Kölner Kollege Philipp Walter versucht auch Gastner seit Wochen Politiker für die spezielle Situation von Eishockey-Klubs "zu sensibilisieren". Die DEL-Klubs forderten eine bundesweite Lösung, eine Perspektive. Nun mussten sie feststellen, dass sie zwar angehört, aber offenbar nicht verstanden worden waren. Fußballbundesligisten können dank Fernsehgeldern und TV-Werbeerlösen mit einem Fünftel an Zuschauereinnahmen auskommen. Im Eishockey ist das nicht möglich. Gastner: "Da wird ein kompletter Wirtschaftszweig nicht beachtet."

Ursprünglich hätte die 27. DEL-Saison am 18. September beginnen sollen, der Start war bereits auf den 13. November verschoben worden. Nun hat die DEL ein Ultimatum gesetzt – sich selbst und der Politik. Bis zum 2. Oktober soll die DEL-Spitze auf Bundesebene praktikable Lösungen einfordern, sollen die 14 Klubs auf Landesebene weiterhin auf ihre verzweifelte Lage aufmerksam machen. Gastner hat in Nürnberg längst zu allen Politikern Kontakt gesucht, Markus Söder hat er einen Brief geschrieben. "Noch bin ich für den Ministerpräsidenten nicht interessant genug", sagt der Geschäftsführer der Ice Tigers. Das soll sich durch die Erklärung der DEL ändern und durch Sätze, die dramatischer kaum klingen können: "Es geht um die Liga, unsere Nationalspieler, unsere Nachwuchsteams, unsere Fans sowie um tausende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei den Klubs und im direkten Umfeld."

Superstar macht sich Sorgen

Die Ice Tigers wären bereit, vor 1500 Zuschauern in die Saison zu starten, aber nur mit finanziellen Hilfen. Die Bundesregierung hat bereits ein Konjunkturpaket abgesegnet, das Klubs wie den Ice Tigers 800.000 Euro bringen soll. Nur hat sich die Frist für die Antragsstellung ein weiteres Mal auf den 31. Oktober verschoben. Die Ice Tigers wissen also noch immer nicht, wann oder ob sie überhaupt Geld bekommen. "Andere bekommen Hilfe. Uns lässt man sterben."


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Am Dienstag wurde Leon Draisaitl gefragt, ob er sich einen Wechsel in die DEL vorstellen könne, nicht nach Nürnberg, sondern nach Köln, zu den Haien – die NHL spielt wohl nicht vor 2021 wieder. "Ich weiß gar nicht, ob das derzeit geht", antwortete der beste Spieler der Welt ehrlich. Und: "Die DEL braucht erst einmal dringend Hilfe.

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