Fränkisch, ehrlich und naiv: Lothar Matthäus wird 60 Jahre alt

20.3.2021, 22:34 Uhr
Ex-Fußballer, Ex-Trainer, Weltstar: Heute ist Lothar Matthäus ein gefragter Fernseh-Fachmann.

© Uwe Anspach, dpa Ex-Fußballer, Ex-Trainer, Weltstar: Heute ist Lothar Matthäus ein gefragter Fernseh-Fachmann.

Es sollte eine Art Doku-Soap werden, sechs Folgen produzierte der Sender Vox – in welcher Absicht, erschloss sich von der ersten Minute an. Es ging darum, einen der besten Fußballer aller Zeiten so vorzuführen, wie ihn viele Menschen gerne sehen. Also wurde Lothar Matthäus nach seinen Frauen gefragt, er sagte Sätze wie diesen: "Sexy find ich gut, ordinär find ich wieder nicht so gut. Also oben so den ganzen Busen rauszugucken, unten schon untern Rock zu gucken, das wär jetzt nicht meins."


Er ließ sich dabei filmen, wie er daheim den Kühlschrank einräumt, Übersicht, sagte er, brauche er dabei, wie auf dem Fußballplatz, Ordnung sei ihm wichtig, "und die habe ich im Kühlschrank". "Leider nicht im Oberstübchen", notierte Der Spiegel und titelte: "Klug wie ein Kühlschrank."

Was trägst du drunter?


Das war natürlich gemein, so gemein wie diese ganze vor neun Jahren produzierte Staffel, die "Lothar – immer am Ball" hieß und nicht davor zurückschreckte, beim Besuch daheim in Herzogenaurach seinen Vater vor die Kamera zu zerren. "Die Lumperei, wo er jetzt treibt, da bin ich ned mehr stolz", sagte Heinz Matthäus, der Hausmeister beim Sportartikelhersteller Puma war.


Bundestrainer? Matthäus würd's sich überlegen


Die Serie floppte, Vox verlegte sie ins Nachtprogramm. Man glaubte damals schon, das alles zu gut zu kennen. Lothar Matthäus und die vielen Frauen, die vielen Peinlichkeiten, die vielen viel älteren Filmchen, in denen man ihn im privaten Schlafzimmer sah – da plauderte er über seine Unterhosen. "Ich hatte früher Boxershorts an, jetzt steh ich auf weniger Stoff", sagte er einmal der TV-Klatschtante Birte Karalus. "Was trägst du denn drunter?", hatte die gefragt.

Lothar, "Il Grande"


Vieles davon sieht man jetzt noch einmal. Lothar Herbert Matthäus, geboren am 21. März 1961 in Erlangen, aufgewachsen in Herzogenaurach, gelernter Raumausstatter, fünfmal verheiratet, Vater von vier Kindern, wird am Sonntag 60 Jahre alt. Er hat 150 Länderspiele für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft bestritten und an fünf Weltmeisterschaften teilgenommen, er wurde, als Weltmeister 1990, zum besten Fußballer auf dem Globus gekürt. Matthäus spielte für Bayern München und Inter Mailand. "Il Grande", der Große, heißt er noch heute in Italien, gelegentlich erwähnt er das selbst, weil er ja spürt, wie er zu Hause wahrgenommen wird – auch darüber machen sich die Leute dann wieder lustig.


Es gibt wenige Artikel über Lothar Matthäus, in denen sein Vorname nicht mindestens einmal in fränkischem Dialekt geschrieben wird, zum Stilmittel wurde das in den späten 1990-er-Jahren, als die Karriere auszuklingen begann und der grandiose Fußballspieler allmählich hinter der Karikatur seiner selbst verschwand, der des verhinderten Weltmannes, des zu groß gewordenen Provinzlers. Auch das gerät nicht selten gemein.


Bereit als Bundestrainer: Matthäus wiederholt sich


Heimat in Budapest


Matthäus beherrscht die englische und die italienische Sprache, er lernt die ungarische, seit 2004 hat er seinen Hauptwohnsitz in Budapest, wo er mit der 27 Jahre jüngeren Russin Anastasia Klimko, seiner fünften Ehefrau, lebt, sie haben einen gemeinsamen Sohn. Witzemacher nehmen sich dann eben seinen fränkischen Akzent vor. Viele, die viel kleiner sind als Matthäus, glauben, sich über ihn lustig machen zu müssen. Und Matthäus selbst liefert verlässlich die Vorlagen dazu.


Was trägst du denn drunter? Vielleicht gibt es gar keine Frage, auf die Lothar Matthäus keine Antwort gab. "Er hüpft wie ein trunkener Schmetterling von einer Mikrofonblüte zur nächsten", schrieb einmal der schwäbische Schriftsteller Albert Hefele über den noch aktiven Fußballer Matthäus, es war der Versuch einer unvoreingenommenen Annäherung: "Er ist fotogen und kann bedeutend gucken. Ernst und trotzig. Menschen, die so gucken, sind keine oberflächlichen Kasper. Die haben Tiefe."

Unter den Großen


Was ist wirklich drunter? Wie jeder Show-Betrieb liebt der Fußball die Oberfläche, für den Blick in die Tiefe genügt schon der auf die Boxershorts. Aber Im Fußball gab es schon zu Matthäus’ aktiver Zeit, die 1979 mit seinem Wechsel vom FC Herzogenaurach zu Borussia Mönchengladbach begann und 21 Jahre später bei den New York Metro Stars endete, jede Menge Berater und PR-Strategen, und es wäre ja leicht gewesen, aus diesem dynamischen, technisch starken Vollblut-Fußballer eine Figur zu machen, die, auf ihre Weise, in die Ahnenreihe der ganz Großen dieses Fußball-Landes passt – Fritz Walter, Uwe Seeler, Franz Beckenbauer.


Matthäus hatte es schwerer als diese Ball-Ikonen, weil er in einer Zeit aufwuchs, in der man Fußballspielern tatsächlich bis auf die Unterhosen sah. Fritz Walter oder Uwe Seeler nach entsprechenden Vorlieben zu fragen, wäre niemandem je eingefallen. Franz Beckenbauer war sein Trainer bei der Nationalmannschaft, er schwärmte, wie fast alle seine Trainer, von Matthäus’ Disziplin und Arbeitseifer. Der Kaiser, Beckenbauer, war ein Vorbild für Matthäus, "Kaiserle", nannte ihn bald ebenfalls Der Spiegel. Die Vergleiche schmeichelten Matthäus trotzdem, verfestigt aber hatte sich bald der – natürlich fränkische – Diminutiv. Kaiserle.

Das Idol Beckenbauer


Die Parallelen sind ja erstaunlich. Aufgewachsen in einfachen Verhältnissen, avancierten beide zu Weltmeister-Kapitänen, Beckenbauer redete nicht weniger als Matthäus und nicht weniger Unsinn – auch über Ehen, Liebschaften, Frauen und Kinder. Aber während Beckenbauers Gemeinplätze ins Philosophische überhöht und seine Peinlichkeiten als Ausdruck seines Freisinns interpretiert wurden, landete Matthäus damit oft nahe am Dschungelcamp.


Was bei Beckenbauer, dem Fußball-Ästheten, leicht und spielerisch wirkte, sah bei Matthäus, dem Fußball-Dynamikus, platt aus, Porträtisten haben tatsächlich gemutmaßt, dass auch die Leichtigkeit des oberbayerischen Idioms den Unterschied mache.

"Zu naiv": Wer schützt Matthäus vor Matthäus?


Wer schützt Matthäus vor Matthäus? Es war eine in der Branche oft gestellte Frage. Gedanken darüber hat sich Lothar Matthäus gemacht, er brachte sie zu Papier. "Zu oft habe ich vergessen, wie interessant ich für die Öffentlichkeit bin", ließ er in "Ganz oder gar nicht", seiner 2012 erschienenen Autobiographie, schreiben: "Vielleicht habe ich zu sehr in mein Privatleben blicken lassen, zu viele Interviews gegeben."


Nachfolge von Löw: Matthäus wäre "da, um zu helfen"


"Zu naiv" nannte er sich selbst, das sei "schamlos ausgenutzt worden" – allerdings ironischerweise wieder in diesem mithilfe der Bildzeitung erstellten Werk, in dem dann seitenlang von Frauengeschichten die Rede ist, von einer "Paradefriseurin" mit "draller Figur", für die er vorübergehend seine spätere erste Ehefrau Silvia verließ. "Eine einzige Frau im Leben? Ja, mein Vater würde das vielleicht gut finden", heißt es an anderer Stelle.


Einen "Ehrlichkeitsfanatiker" und "Gerechtigkeitsfanatiker" nennt er sich selbst, wer Matthäus über all die Jahre etwas kennenlernte, versteht, was er meint. Man erlebte ihn als ehrlichen, meistens freundlichen, offenen Menschen – von gesunder Eitelkeit, aber frei von Arroganz, herablassend gab er sich nie. Er habe gelernt, sagte er einmal, dass es zur Höflichkeit gehört, Fragen zu beantworten, er beantwortete alle – auch die, die niemand gestellt hatte, er trug alles öffentlich aus, seinen Zwist mit dem Bundestrainer Berti Vogts, der ihn aus der Nationalmannschaft verbannte, seine Aversionen gegen den Mitspieler Jürgen Klinsmann, den er für unaufrichtig hielt.

Der Intimfeind Klinsmann


Oft hatte Matthäus recht, wenn er sich ungerecht behandelt fühlte, aber anders als der geschickte Stratege Klinsmann reagierte er hitzig und wütend. Ehrlich, wie er findet. Oder "treudoof, herzensgut, naiv", wie der Stern schrieb. Mit dem FC Bayern überwarf er sich heillos wegen einer Lappalie, es ging um Geld aus seinem Abschiedsspiel. Es blieb der Eindruck, Lothar Matthäus mache überall Krawall und Schlagzeilen, und nicht einmal seine Günstlinge Beckenbauer und die Bildzeitung, mächtige Instanzen im Fußball, konnten ihn als Trainer in Deutschland vermitteln. Bundestrainer wurde 2004 nicht Beckenbauers Favorit Matthäus, sondern Klinsmann.


Im Visier des Fußball-Franken: Matthäus fordert Löw


Daheim wollte ihn der 1. FC Nürnberg 2005 partout nicht haben, später wehrten sich 1860 München und Arminia Bielefeld gegen den Trainer Matthäus – es hätte absurd anmuten müssen angesichts seiner Fußballer-Vita, aber der Widerstand galt dem Faktotum Matthäus. "Nicht einmal Greenkeeper im Stadion" werde Matthäus je beim FC Bayern, das äußerte Uli Hoeneß damals.

Sprunghaft als Trainer


Es blieb, zwischen 2001 und 2011, eine kurze, sprunghafte Trainerkarriere mit Stationen bei Rapid Wien, Partizan Belgrad, Atletico Paranaense in Brasilien, Red Bull Salzburg und Maccabi Netanya in Israel. In Ungarn und Bulgarien war Matthäus Nationaltrainer, heute ist er Fernseh-Experte und Zeitungskolumnist.


Er macht dabei regelmäßig intelligente Bemerkungen, dass Matthäus vor vier Jahren den Deutschen Sportjournalistenpreis für den meistzitierten Fachmann gewann, blieb aber eine Randnotiz – weil die meisten Menschen, auch die meisten Journalisten, darauf warten, dass er etwas Peinliches oder Komisches von sich gibt. Die Wartezeiten dauern zunehmend länger. Es ist, das kann man sagen, recht ruhig geworden um Lothar Matthäus.

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