Kein Zugriff: Das zentrale Problem der FCN-Defensive

30.11.2020, 18:13 Uhr
Der Club-Defensive mangelte es im Derby oftmals an Zugriff.

© Sportfoto Zink / Daniel Marr, Sportfoto Zink / Daniel Marr Der Club-Defensive mangelte es im Derby oftmals an Zugriff.

"Und dann pennt der Club, im Kollektiv. Havard Nielsen, der darf einfach schießen. Und macht das richtig gut." Die zunächst erschrockene, dann begeisterte Beschreibung des Kommentators zum zwischenzeitlichen 2:1-Führungstor der SpVgg Greuther Fürth passt nicht nur auf den dritten Treffer des kurzweiligen Derbys, sondern auch auf das gesamte Spiel. Auch, weil der zweite Torerfolg der Weiß-Grünen symptomatisch die Schwächen der zuletzt nicht zu unrecht gescholtenen Defensive des 1. FC Nürnberg aufzeigt.

Hack macht nur einmal mit

Mavraj passt auf Raum. Dieser zieht von der linken Seitenauslinie zunächst nach innen, Hack und Valentini doppeln erfolgreich und erzwingen den Pass zurück auf den Innenverteidiger. Die Spieler stellen sich, Mavraj lässt Kollegen wie Gegner auf ihre angestammten Positionen zurückkehren, ehe er erneut Raum bedient. Diesmal setzt der 22-Jährige eine Körpertäuschung geschickt ein und erhöht blitzartig das Tempo - und der Club? Weder Hack, der diesmal nur bedingte Anstalten macht, den Fürther unter Druck zu setzen, noch Valentini (NZ-Note 5) bringen Raum in Bedrängnis. Stattdessen kann der Siegtorschütze des vergangenen Duells diagonal auf Nielsen passen. Und der Norweger macht es dann eben so, wie es ein Stürmer in Top-Form eben macht: Er nimmt sich noch wenige Schritte und fasst sich aus der Distanz gefühlvoll ein Herz.


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Man könnte an dieser Stelle einwenden, dass sicherlich nicht viele Angreifer der 2. Bundesliga in dieser Situation in der Lage wären, einen Schlenzer derart maßgenau in die Maschen zu setzen. Und doch wäre der Gegentreffer - ebenso wie Nielsens erster Streich und Hrgotas "Wirkunsgtreffer", wie Cheftrainer Robert Klauß das Tor zum 1:3 auf der Pressekonferenz bezeichnete, vermeidbar gewesen.

Mühl lässt sich locken

Erschwerend hinzu kommt in der Entstehung des zweiten Gegentreffers ein mutmaßlich einstudierter Ablauf des Gästeteams: Hrgota lässt sich während Raum am linken Flügel angeht, zurückfallen. Damit zieht er Lukas Mühl (NZ-Note 3) aus der Kette und die Aufmerksamkeit der Nürnberger auf sich, der Pass in den Halbraum, den Mühl dann proaktiv abfangen möchte, galt Nielsen. Hrgota dreht ab, Mühl läuft ins Leere, Nielsen zieht ins Zentrum und Hrgota schafft auf links eine zusätzliche - durchaus aussichtsreiche - Option für Nielsen, der allerdings selbst den Abschluss sucht.

Und der dabei auch kaum gestört wird! Weder dem im 3-3-2-2 aufgebotenen, alleinigen Sechser Geis, der von hinten mangels Tempo keinerlei Kontakt zum späteren Doppeltorschützen mehr herstellen kann, noch einem der beiden verbliebenen Innenverteidiger gelingt es, Druck auf Nielsen auszuüben. Da zudem der zentrale Abwehspieler Tom Krauß auf einer Linie mit Nebenmann Asger Sörensen verharrt, stehen die Chancen des Club-Youngsters, den Abschluss zu blocken, entsprechend schlecht. Robert Klauß kritisierte, dass sein Team die besonders für das Kleeblatt-Spiel relevanten "Halbräume nicht geschlossen" habe. "Da hat Fürth zu viel Qualität. Da müssen wir mehr Druck auf den Ball geben und die direkten Duelle besser bestreiten."

Druck im Derby? Nicht auf den Gegner!

Was sich durch die gesamte Mannschaft nicht nur in dieser Aktion, sondern in der gesamten ersten Stunde des Derbys zieht - von Hack über Valentini und Geis und bis hin zu Krauß - ist mangelnder Druck auf den Ballführenden. Coach Klauß empfand das Defensivverhalten seiner Mannschaft als zu zaghaft, auf der Pressekonferenz erklärte er: "Die Fürther haben ihre guten Abläufe, sie machen das echt gut, aber trotzdem kann man das verteidigen, wenn wir da etwas aggressiver und aufmerksamer sind. Es lag nicht grundsätzlich an irgendwelchen Dingen, sondern eher daran, wie bereit ich bin, die Duelle zu führen."

Die Statistik trügt

Seine Einschätzung belegen auch die Einzelstatistiken, die auf den ersten Blick nicht zwangsläufig in das Bild einer desolaten Defensive passen: Die drei Nürnberger Innenverteidiger Krauß, Sörensen und Mühl bestritten durchschnittlich mehr Zweikämpfe erfolgreich (62 Prozent) als ihre Pendants Paul Jaeckel und Mergim Mavraj auf Seiten des Stadtnachbarn (54,5 Prozent). Die Außenverteidiger Tim Handwerker und Enrico Valentini verbuchten zudem bessere Werte (54 Prozent) in den direkten Duellen als noch in der Vorwoche beim 4:1-Sieg gegen Osnabrück (41,5 Prozent).


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Warum man den Zahlen in diesem Fall keinen Glauben schenken möchte? Weil sie die entscheidenden Situationen nicht erfassen, weil die Duelle nicht geführt wurden. Denn bei keinem der Gegentreffer war zum Zeitpunkt der Vorlage beziehungsweise des Torabschlusses der jeweilige Fürther in einen Zweikampf verwickelt. Und das liegt nicht in erster Linie an der (Innen-) Verteidigung, sondern an der mannschaftlichen Kompaktheit, im besonderen in den Abständen zwischen der Abwehr und der Mittelfeldkette.

Zu viel, um oben mitzuspielen

Exemplarisch hierfür: das Tor zum 0:1. Zwischen der Abwehrreihe und den nach Flugball von Mavraj nunmehr hinterherlaufenden FCN-Mittelfeldspielern Geis und Nürnberger liegen gute 20 Meter - zwischen zwei von theoretisch vier Ketten. Zu viel, liegt doch der empfohlene Sollabstand zwischen dem defensivsten und dem offensivsten Spieler einer Mannschaft insgesamt bei maximal 35 Metern. Entsprechend lässt der Club dem Kleeblatt-Kapitän Hrgota ausreichend Platz, ausgehend von einer suboptimalen Ballannahme noch einen starken Schnittstellenpass zu spielen. Über eine Station gelang es den Gästen, von Innenverteidiger Mavraj Stürmer Nielsen im Strafraum freizuspielen. Gegentor Nummer 13. Zu viel, um oben mitzuspielen. Zu einfach, um aus Sicht der Nürnberger Defensiv-Schlamperer eine sorgenfreie Saison zu spielen.

Und auch beim dritten Tor fehlte dem Club der Zugriff, nach dem Ballverlust in der Vorwärtsbewegung gelang es weder Geis noch Mühl, die Fürther - regelkonform oder regelwidrig - zu stoppen. Nielsen zieht, als Seguin am linken Flügel den Ball führt, in die Tiefe und damit beide Innenverteidiger mit, antizipieren diese doch ein Flanke. Erneut clever von Nielsen, in Ordnung. Problematisch ist eher der Pass in den Rückraum, der ursprünglich von den Sechsern vermieden werden sollte, die in diesem Fall aber den Weg nicht nach hinten nicht komplett mitgehen (Krauß) oder abermals ein, zwei Schritte zu spät kommen (Geis). Die resultierende 2:3-Unterzahlsituation aus Sicht der Nürnberger ist denkbar undankbar – und das Ergebnis der Defizite in der Rückwärtsbewegung.

Lösungen für Nürnbergs Lieblieblingsverein?

Was kann also die Lösung sein, um in Zukunft sowohl von Seiten der Verteidigung als auch von Seiten des zentralen Mittelfelds Zugriff zu erhalten? Im Prinzip ist das "Gute" an der Kompaktheit, dass ihr Mangel relativ einfach behoben werden kann - durch geringere Abstände zwischen den Ketten, die beherzte Zweikampfführung ermöglicht, aber auch durch (mindestens) einen klaren Sechser. Und so einer ist Geis (NZ-Note 4) nicht, der zunächst alleine im defensiven Mittelfeld, ab der Halbzeit gemeinsam mit Krauß (NZ-Note 4), dessen Stärken ebenfalls eher im Spiel mit dem Ball liegen, auf der nominellen Sechs auflief.

Die Grundordnung in einer Dreier- respektive Fünferkette dürfte dem hochveranlagten Feinfuß zwar entgegenkommen, erlaubt sie Geis durch mehr Absicherung doch auch mehr Flexibilität und Freiheiten in der Offensive. So gelang es ihm auch gegen Fürth mehrmals, das Spiel gezielt und kontrolliert zu verlagern. Trotz fünf nominellen Verteidigern stand der Club dennoch offen wie ein Scheunentor. Warum? Weil mit Geis als alleinigen Sechser seine defensiven und dynamischen Defizite abermals zum Tragen kamen - und auch nicht von einem zweiten, einem klassischen Sechser kompensiert wurden. "Energischer hingehen" statt zu "begleiten" und "danebenzustehen", wie Klauß in der Retrospektive die Probleme und den Optimierungsbedarf bezeichnete, ist jedoch nur dann möglich, wenn die Abstände von vornherein stimmen - und das wiederum ist eine Frage, welche die ganze Mannschaft betrifft. Nicht nur Geis, nicht nur die Innenverteidiger.

Keine Löcher auf der Wiese mehr!

Eine Aufgabe, die der Club im Kollektiv lösen muss, um künftig nicht mehr derart große Löcher auf der Wiese entstehen zu lassen, um nicht zu wirken, als würde er "pennen". Gelingt dies dem ruhmreichen Altmeister, wie in der letzten halben Stunde des Derbys, dürfte ein Havard Nielsen wohl nicht mehr einfach zum Schuss kommen. Selbst wenn es der Gegner, wie der Kommentator betonte, "richtig gut macht".

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