Nach HSV-Pleite: FCN taumelt planlos Richtung Abgrund

31.1.2020, 18:03 Uhr

Die Erinnerung an den letzten Auftritt des 1. FC Nürnberg im Volksparkstadion war am Donnerstagabend noch ziemlich lebendig. Bei der 0:1-Pleite im Achtelfinale des DFB-Pokals hatte sich der damalige Bundesligist beim klassentieferen HSV in desolater Verfassung präsentiert und seinen weiteren Weg bereits erahnen lassen. Fast genau ein Jahr später sah der Zweitliga-Spielplan für den Club erneut eine Reise nach Hamburg vor. Und nach einem 1:4 steht die bittere Erkenntnis: Es ist alles noch viel schlimmer geworden.


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So hilflos wie zuvor auf dem Rasen präsentierten sich die Protagonisten auch bei ihren Versuchen, den desillusionierenden Start in die restliche Rückrunde zu relativieren oder ihm gar irgendetwas Positives abzugewinnen. In Hamburg, so der allgemeine Tenor, könne man schon mal verlieren. "Es war klar dass es hier sehr schwierig wird", sagte etwa Hanno Behrens. "Der HSV ist nicht unser Gradmesser, das müssen wir uns eingestehen", meinte Johannes Geis.

Der Trainer macht sich keine Sorgen 

Eingestehen musste Geis auch, dass man in der ersten Halbzeit irgendwie "nicht voll da gewesen" sei, was erstaunlich ist: Immerhin hatten sie ja fast vier Wochen lang darauf hingearbeitet, just an diesem Tag voll da zu sein. Die desaströse erste Hälfte missfiel auch Behrens, der Kapitän fand aber, "dass wir dann in der zweiten Halbzeit sehr gut dran waren, das war absolut in Ordnung". Er meinte wohl die kurze Phase bis zum vorentscheidenden 1:3 in der 68. Minute, in der Nürnberg dank Tim Handwerkers 1:2 (51.) zumindest ein bisschen wie ein wettbewerbsfähiger Zweitligist aussah.

"Da waren wir deutlich präsenter und hatten auch mehr Ballbesitz", lobte Jens Keller, der sich von der mutlosen ersten Hälfte zwar "enttäuscht", mit der zweiten aber "zufrieden" zeigte. Überhaupt hakte der Trainer den missratenen Auftritt bemerkenswert lapidar ab. "Es ist ja nicht so viel passiert", befand Keller, in der Tabelle sei "alles eng zusammen, und es sind noch 15 Spiele. Da mache ich mir jetzt gar keine Sorgen".



Sportvorstand Robert Palikuca verblüffte derweil bei Sky mit der exklusiven Erkenntnis, man könne aus diesem Spiel "unser gutes Zweikampfverhalten mit nach Hause nehmen". Mag der Club laut Statistik auch die Hälfte aller direkten Duelle für sich entschieden haben, an Hamburgs Dominanz änderte das nichts.

Die dritte Liga rückt näher 

Solch schöngefärbte Sichtweisen vernebeln lediglich den Blick für die Realität. Der Club ist auf den 17. Tabellenplatz abgerutscht, die Konkurrenz aus Dresden und Wiesbaden hat ihre Auftaktspiele gewonnen. Die vermeintliche "Euphorie" und "Aufbruchstimmung", die Keller nach einer durchaus ordentlichen Vorbereitung verspürt zu haben glaubte, wurde in nur 90 Minuten komplett pulverisiert. Und die 3. Liga ist längst näher, als es viele wahrhaben wollen.

Als Keller bei seiner Analyse vor allem mit dem – absolut berechtigten – Handelfmeter zum 1:3 hadern wollte ("Das hat uns ein bisschen das Genick gebrochen"), empfand das nicht nur sein Hamburger Kollege als Themaverfehlung. Man möge das Spiel doch bitte nicht auf diese eine Szene herunterbrechen, bat Dieter Hecking und erinnerte dezent daran, dass seine Elf den Gast vor allem in der ersten Hälfte gehörig auseinandergenommen hatte: "Nürnberg wollte sicherlich kompakt spielen, aber sie haben nicht die Mittel gefunden, um uns aufzuhalten."

Kaum ein Profi in Normalform

Was wiederum auch daran lag, dass Keller bei seiner Aufstellung danebengegriffen hatte. Etwa mit der Idee, an Stelle des gelernten Rechtsverteidigers Oliver Sorg dem gelernten Innenverteidiger Lukas Mühl die rechte Abwehrseite anzuvertrauen. "Wir wollten etwas mehr Geschwindigkeit, Zweikampfstärke und auch Größe bei Standardsituationen reinbringen", erklärte Keller. Ein Plan, der grandios scheiterte. Als noch fataler erwies sich Kellers Fehleinschätzung, Adam Gnedza Cerin könne die Baustelle im defensiven Mittelfeld schließen. Der 20-jährige Slowene wirkte bei seinem Startelfdebüt extrem nervös und leitete mit einem Ballverlust das frühe 0:1 durch Bakery Jatta ein. Nach 41 Minuten reagierte Keller und erlöste den zweifellos talentierten, an diesem Tag aber gnadenlos überforderten Slowenen.

 

 

Die Niederlage nun allein an ihm festmachen zu wollen, hieße aber, das Versagen des Kollektivs zu verkennen. Denn bis auf den beim Comeback weitgehend machtlosen Torwart Christian Mathenia, Linksverteidiger Handwerker, der defensive Probleme zumindest mit Vorwärtsdrang und seinem ersten Saisontor kaschierte, und vielleicht noch den soliden Cerin-Ersatz Fabian Nürnberger präsentierte sich kein Club-Profi in zweitligatauglicher Verfassung.

Keine Stabilität, keine Spielidee

Vermeintliche Führungskräfte wie Behrens, Geis oder Georg Margreitter konnten dem Team keine Stabilität geben. Konstantinos Mavropanos, neben Philip Heise der einzige Neuzugang in der gestern beendeten Transferperiode, konterkarierte die guten Eindrücke aus dem Trainingslager mit einer fahrigen Vorstellung. Und die Offensivkräfte Michael Frey, Robin Hack und Fabian Schleusener ließen jeglichen Tordrang vermissen und verzettelten sich meist in Einzelaktionen. Eine gemeinsame Spielidee war jedenfalls kaum erkennbar.

Der positivste Aspekt dieser Pleite: Es bleibt keine Zeit, sich lange mit ihr aufzuhalten. Schon am Sonntag (13.30 Uhr) im Heimspiel gegen Sandhausen bietet sich die Chance, "den Scheißbock endlich umzustoßen", wie es Geis trotzig formulierte: "Jeder kann die Tabelle lesen und weiß, um was es geht. Aber wir müssen es auch auf dem Platz zeigen, sonst sind es nur Floskeln." Es war vielleicht der klügste Satz nach einem erneut gruseligen Hamburg-Trip.