Teuchert und Routine: Das erwartet den FCN bei Union Berlin

5.9.2020, 05:55 Uhr
In neun der bisher zehn Zweitliga-Duelle mit Union Berlin blieb der Club ungeschlagen.

© Sportfoto Zink / DaMa In neun der bisher zehn Zweitliga-Duelle mit Union Berlin blieb der Club ungeschlagen.

Eine Generalprobe ist das Duell anlässlich des 100-jährigen Jubiläums des kultigen Stadions an der Alten Försterei allein aufgrund der Tatsache, dass es der letzte Test wird, bevor es für den 1. FC Nürnberg gegen RB Leipzig ernst wird. Ein Gradmesser ist das Spiel, weil es gegen einen Erstligisten geht, der in der abgelaufenen Saison, seiner ersten im deutschen Oberhaus, den Klassenerhalt erreicht hat – auf eine spektakulär unspektakuläre Weise.

Getreu dem Stile einer klassischen Arbeitermannschaft verfolgt der Kult-Klub aus dem Südosten der Hauptstadt einen simplen Plan, der – im Kollektiv leidenschaftlich, zielstrebig und aufopferungsvoll umgesetzt – schlichtweg effektiv ist. Nicht begeisternd, aber effektiv. Auch weil die Unioner die wenigen Abschlüsse – nur zwei Bundesligisten schossen in der vergangenen Saison seltener aufs Tor als die Eisernen – zu verwerten wissen.


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Basierend auf einer 3-4-3-Formation und aufbauend auf einer stabilen und kompakten Defensive wird Berlin besonders nach ruhenden Bällen, die oft aus einem schnellem Umschaltspiel und Ballgewinnen nach Pressing generiert werden, torgefährlich. Im eigenen Spielaufbau wählt das Team von Cheftrainer Urs Fischer gerne zunächst den gezielten hohen Pass auf die kopfballstarken und wuchtigen Stürmer, beispielsweise auf Sebastian Andersson, auf Höhe der letzten Kette seiner Gegner, um im Anschluss den zweiten Ball zu attackieren und sich dann in Abschlusspositionen zu spielen.

Ein Faktor in derartigen Situationen könnte Max Kruse werden, der dank seiner Technik und Kreativität Chancen kreieren und vollstrecken soll. Der, so wird der 32-Jährige gerne bezeichnet, Typ mit Ecken und Kanten, einem feinen linken Fuß und der Nummer zehn auf dem Hemd wechselte im Sommer vom Bosporus nach Berlin. Zur "spielerisch vielleicht nicht besten Mannschaft", wie es Paderborn-Trainer Steffen Baumgart einst umständlich ausdrückte.


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Freilich, Fußball-Deutschland hat schon ausgefeiltere, komplexere, berauschendere Spielideen erleben dürfen. Was Urs Fischer dem Kollegen aus Paderborn, der gemeinsam mit den Eisernen 2018 in die deutsche Eliteliga aufgestiegen war, aber voraus hat? Die schnörkellose, unspektakuläre und unprätentiöse Spielweise der Berliner erhielt weniger Lobeshymnen als die mutige, offensive Herangehensweise der Ostwestfalen, sorgte aber letztlich für den Liga-Verbleib. Eine Sensation, wurde Fischer doch gerade zu Saisonbeginn nicht müde zu betonen, dass ein Klassenerhalt des Bundesliga-Neulings aus Berlin als eben solche interpretiert werden müsste.

"Als Aufsteiger bist du das erste Mal in der ersten Liga, hast null Erfahrung, musst dich zuerst daran gewöhnen", erklärte der Schweizer damals. Stimmt teilweise. Tatsächlich fand Union nur schwer in die Saison, ergatterte nur vier Punkte in den ersten sieben Spielen. "Null Erfahrung" trifft nur bezogen auf den Klub selbst, nicht aber auf dessen Akteure zu. Allein Christian Gentner und Neven Subotic weisen gemeinsam rund 600 Einsätze in der Bundesliga auf. Beide wechselten im Aufstiegsjahr nach Berlin – und sind der Inbegriff der Routine, auf die die älteste Mannschaft der Runde (Durchschnittsalter der eingesetzten Spieler bei 27,6) setzt. Auch Max Kruse und Robin Knoche, die zusammen schon für Wolfsburg auf dem Platz standen, passen entsprechend ins Profil.

Zu den jüngeren im Kader der Eisernen zählt mit Cedric Teuchert ein einstiger Nürnberger, der bereits als 17-Jähriger für die Club-Profis debütierte und über Stationen auf Schalke und in Hannover nun sechs Jahre später an der Alten Försterei gelandet ist. Der gebürtige Coburger traf in seinen drei Duellen mit Union Berlin im Trikot des fränkischen Altmeisters zweimal und ist demnach mitunter daran beteiligt, dass die Bilanz der bisher zehn Aufeinandertreffen zwischen dem Club und den Köpenickern mit sieben Siegen und zwei Remis eindeutig für Nürnberg spricht.


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Beim Unterfangen, jene Statistik, die sich einzig auf die Duelle in der 2. Bundesliga bezieht, weiter auszubauen, erwartet den 1. FC Nürnberg eine aggressive, zweikampfstarke und leidenschaftliche Berliner Truppe. Cheftrainer Robert Klauß sprach auf der Pressekonferenz von einer "sehr robusten, sehr klaren Mannschaft, die in der letzten Saison in der ersten Liga gezeigt hat, dass sie zurecht dorthin gehört". Gemäß den Heimauftritten der Vor-Saison ist von früh anlaufenden Unionern auszugehen, die den Club nach erfolgtem Spielaufbau schnell unter Druck setzen und selbst das Pressing des FCN mit hohen Bällen zu überspielen versuchen. Des Weiteren darf der Club mit viel Ballbesitz rechnen, in der vergangen Spielzeit verfügte einzig der FC Augsburg über weniger Spielanteile als die Eisernen (durchschnittlich 40,6%).

Den letzten Test vor dem Pokalduell mit RB Leipzig wird der Club "angehen, als wäre es ein Pflichtspiel". Klauß prognostizierte zudem: "Nach dem Union-Spiel werden wir wissen, wo wir wirklich stehen." Die Tendenz der bisherigen vier Vorbereitungspartien war positiv, dreimal ging der FCN als Sieger vom Platz. Nun soll auch die Generalprobe glücken – und Aufschluss über den tatsächlichen Entwicklungsstand des fränkischen Altmeisters liefern.

Folglich wird der Chefcoach nicht wie bisher zur Halbzeit die komplette Mannschaft auswechseln, um jedem Spieler zu gleichen Teilen Einsatzminuten zu ermöglichen, sondern auf eine Startelf setzen, die auch gegen Klauß' Ex-Klub auflaufen könnte. Die Betonung liegt dabei auf "könnte", denn Veränderungen sind nicht ausgeschlossen. Zum einen weil sich das Trio Hack, Handwerker und Zrelak noch auf Länderspielreise befindet, zum anderen weil es stets gilt, sich an den Gegner und dessen Taktik zu adaptieren.


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Und bezüglich der Spielweise liegen zwischen Julian Nagelsmanns Leipzig, der Heimat des Prototypen des modernen Fußballs, und der nur knapp 200 Kilometer entfernten Hauptstadt bekanntlich Welten. Die liegen auch zwischen dem Club und den Eisernen, zwischen dem chronisch ambitionierten Team mit einem aufstrebenden Jung-Coach und der routinierten Union-Truppe mit ihrem Schweizer Trainer Urs Fischer. Das gelassene, entspannte Naturell des 54-Jährigen steht dabei exemplarisch für den Verein, der sich - nicht auf Kosten der Leidenschaft seiner Anhänger - anders als der fränkische Traum- und Traumata-Verein in einem engen emotionalen Korridor bewegt. Ohne Ausflüge in manische Höhen oder in dramatische Tiefen. In Berlin ist es anders als in Nürnberg, es ist gelassener. Zumindest in Köpenick.

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