Diskussion um befristete Verträge: Das Recht ist kompliziert

13.9.2020, 05:29 Uhr
Dass Chefs befristet einstellen, ist einfach zu erklären: Sie brauchen keinen Kündigungsgrund, der Vertrag läuft irgendwann aus oder wird neu vereinbart.

© Jan-Philipp Strobel (dpa) Dass Chefs befristet einstellen, ist einfach zu erklären: Sie brauchen keinen Kündigungsgrund, der Vertrag läuft irgendwann aus oder wird neu vereinbart.

Das entspricht 8,3 Prozent aller Beschäftigungsverhältnisse, wie den Daten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zu entnehmen ist – und in Corona-Zeiten sind Mitarbeiter mit befristeten Verträgen besonders gefährdet.

Dass Chefs befristet einstellen, ist einfach zu erklären: Sie brauchen keinen Kündigungsgrund, der Vertrag läuft irgendwann aus oder wird neu vereinbart. Für Arbeitnehmer bedeuten derartige Kettenverträge erhebliche Unsicherheiten.


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Die Große Koalition diskutiert, der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) verweist darauf, dass mit 42 Prozent der von Arbeitgebern in der Privatwirtschaft am häufigsten genannte Befristungsgrund die Erprobung der Mitarbeiter sei – der DGB fordert, die sachgrundlose Befristung abzuschaffen.

Was bedeutet "sehr lange"?

Wie die rechtliche Seite dazu aussieht, erläutern die Juristen Jacqueline Stadtelmann und Professor Rolf Otto Seeling, Fachanwalt für Arbeitsrecht. Beide sind als Rechtsanwälte in der Nürnberger Kanzlei Thorwart tätig und verweisen auf die Rechtsprechung im vergangenen Jahr: Das Bundesarbeitsgericht (BAG) setzte Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) und des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) um.

Eine sachgrundlose Befristung ist nur möglich, wenn mit demselben Arbeitnehmer, nennen wir ihn Max Mustermann, zuvor noch kein Beschäftigungsverhältnis bestand. So das Gesetz. In der Praxis reicht es laut BVerfG aus, wenn eine Vorbeschäftigung "sehr lange zurückliegt". Aber was heißt das für Max Mustermann genau? Jacqueline Stadtelmann und Rolf Seeling verweisen auf drei Urteile des BAG.

Keine Kettenbefristungen

Bis 2018 war es so: Stand Max Mustermann schon früher bei einem Arbeitgeber in Lohn und Brot, konnte erneut ein befristetes Arbeitsverhältnis aufgenommen werden, wenn die Vorbeschäftigung länger als drei Jahre zurücklag. Doch diese Rechtsprechung der obersten Arbeitsrichter fand nicht die Akzeptanz des BVerfG – will doch der Gesetzgeber Kettenbefristungen verhindern und die (unbefristete) Dauerbeschäftigung als Regelfall schützen.


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Die Folge der Rechtsprechung des BVerfG: Was "sehr lange" bedeutet und eine "ganz anders geartete" Vorbeschäftigung von "sehr kurze Dauer" ist neu vom BAG zu definieren. So hatte es das BAG mit einem Kläger zu tun, der zunächst von März 2004 bis September 2005 als gewerblicher Mitarbeiter beschäftigt war. Im August 2013 wurde er erneut als Facharbeiter eingestellt, sachgrundlos befristet. Die Vertragslaufzeit wurde dreimal verlängert, zuletzt bis August 2015. Als die Firma eine weitere Beschäftigung des Facharbeiters ablehnte, klagte er und gewann.

Im vorliegenden Fall sei mit der Beschäftigung acht Jahre vorher kein "sehr lange zurückliegendes Arbeitsverhältnis" anzunehmen. Auch sei der[ER] Zeitraum der Vorherbeschäftigung von eineinhalb Jahren "nicht von sehr kurzer Dauer". Die sachgrundlose Befristung sei in diesem Fall verboten, stellte das BAG mit Urteil vom 23. Januar 2019 fest.


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Die neuere Rechtsprechung ist in jedem Fall für Arbeitgeber unbefriedigend. Doch auch das Institut der deutschen Wirtschaft stellt in den Kernergebnissen einer neuen Studie fest: Die Sorge, dass Beschäftigte mit Zeitvertrag dauerhaft in einer unsicheren sozialen Lage verharren, sei unbegründet. Befristet werden vor allem jüngere Berufseinsteiger oder vormals Arbeitslose angestellt – ein Zeitvertrag kann demnach Menschen mit gebrochenen Erwerbsbiografien, Berufseinsteigern und Arbeitslosen den Weg in den Arbeitsmarkt leichter ebnen. Doch, wie bereits erwähnt, was eine "sehr lange" zurückliegende Vorbeschäftigung bedeutet, wurde vom BAG im vergangenen Jahr neu definiert.


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Mit Urteil vom 17. April 2019 wurde entschieden, dass auch dann, wenn ein Arbeitnehmer 15 Jahre nach der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses erneut bei demselben Arbeitgeber eingestellt wird, nicht angenommen werden kann, dass es sich um eine "sehr lange" zurückliegende Vorbeschäftigung handle – der Kläger konnte die Unwirksamkeit des befristeten Arbeitsvertrages geltend machen.

Sachgrundlose Befristung zulässig

Schließlich hat das BAG am 21. August 2019 entschieden, dass eine Beschäftigung, die 22 Jahre her ist, als "sehr lange zurückliegend" anzusehen sei. In dem Fall war eine Klägerin von Oktober 1991 bis November 1992 in einer Firma beschäftigt.

Im Oktober 2014 fing sie in dem Betrieb wieder an, befristet bis 2016. Sie klagte, um zu verhindern, dass die Beschäftigung aufgrund der Befristung endet, jedoch erfolglos.

Diese Entscheidung, so die Rechtsanwälte, bedeutet rechnerisch, dass das BAG "jedenfalls ab einem Abstand von 18 Jahren eine weitere sachgrundlose Befristung zulässt."

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