Wie Gestik und Mimik die Sprache bereichern

1.6.2020, 20:12 Uhr
Wie Gestik und Mimik die Sprache bereichern

© Foto: Mathias Orgeldinger

 Als Journalist kann man fast jeden Tag eine neue Welt kennen lernen. Aber auf diesen Ort in Eibach bin ich schlecht vorbereitet. Keine der Sprachen, die ich in der Schule gelernt habe, hilft mir hier weiter. Und die lautsprachbegleitenden Gebärden (LBG) oder die Deutsche Gebärdensprache (DGS) mit eigener Grammatik und verschiedenen Dialekten kenne ich nur vom Hörensagen.

Wie soll ich ein Gespräch führen? Mit Bleistift und Zettel oder mit Hilfe eines Sprachcomputers? Die Lösung ist viel sympathischer, weil sie auf das menschliche Miteinander setzt. Uwe Nöller, Kommunikationsassistent am BBW, wird meine Fragen in Gebärdensprache übersetzen und die Antworten für mich hörbar machen.

Die Augen übernehmen das Hören mit

Das kann dauern – denke ich. Deshalb spreche ich langsam. Die Antwort kommt jedoch schneller, als ich mitschreiben kann. Erstaunlich! Ich kann mich im gewohnten Tempo unterhalten. Es gibt nur einen Unterschied: Mein Gegenüber muss ständig Blickkontakt zum Dolmetscher halten. Denn die Kommunikation via Gebärdensprache läuft rein visuell über Gestik und Mimik.

Samantha Weigert ist gehörlos und in Nürnberg aufgewachsen. Ihre Eltern sind beide gehörlos. "Deshalb beherrsche ich die Gebärdensprache sehr gut", sagt sie. Kinder von hörenden Eltern würden dagegen meist über lautsprachbegleitende Gebärden kommunizieren.

Nach der Schule hat sie sich bei verschiedenen Firmen um einen
Ausbildungsplatz beworben. Jedoch ohne Erfolg. "Ich war verzweifelt und wusste nicht genau, was ich beruflich machen will." Während der einjährigen Berufsvorbereitung am BBW HSL hat sie sich schließlich für eine dreijährige Ausbildung im Bereich Elektrotechnik entschieden.

Das Ausbildungsangebot des Berufsbildungswerkes umfasst Tätigkeiten in Wirtschaft und Verwaltung, Agrar-, Gartenbau- und Hauswirtschaft sowie im Farb-, Textil-, Holz- und Metallgewerbe. Daneben gibt es verschiedene Fachdienste, die eine individuelle Förderung der jungen Menschen gewährleisten.

"Wir arbeiten mit über 700 Betrieben, Ämtern und sozialen Institutionen zusammen", ergänzt Yasmin Krubke, die Öffentlichkeitsbeauftragte des Berufsbildungswerks. Da die Azubis aus der ganzen Bundesrepublik kommen, gibt es am Standort Eibach 120 Wohnplätze.

Wie die meisten ihrer Mitazubis in der Elektrotechnik wohnt Samantha Weigert zu Hause. Sieben ihrer neun Kollegen seien schwerhörig, zwei gehörlos. Die Kommunikation mit lautsprachlichen Gebärden beziehungsweise der Gebärdensprache funktioniere gut. Doch bei der Arbeit im Betrieb könnten Schwierigkeiten auftreten, meint Samantha.

"Am Anfang neuer Projekte oder bei Betriebsversammlungen bin ich auf die Unterstützung durch einen Gebärdendolmetscher angewiesen." Die Arbeit im Außendienst sei schwierig. Aber innerhalb der Firma sieht die Auszubildende kaum Probleme. Die Gehörlosigkeit könnte dem Betrieb auch Vorteile bringen, sagt Weigert. "Gehörlose arbeiten meist konzentrierter und schneller als Hörende, weil sie nicht abgelenkt werden."

Sie hat sich mit den Gegebenheiten gut arrangiert. "Für die alltägliche Arbeit brauche ich keinen Dolmetscher", sagt sie. In etwa zwei Drittel aller Fälle könne sie die Anweisungen ihres Vorgesetzten vom Mund ablesen. Mit Hilfe eines Logopäden habe sie in der Schule sprechen gelernt, sagt sie. Wenn sie ihr Hörgerät trage, spreche sie mit normaler Lautstärke, nur wenn sie es ablege, sei sie für ihre Umgebung zu laut.

Die Integration im Beruf sei eine Sache, das Privatleben eine andere. "Hörende und Gehörlose leben in unterschiedlichen Welten", sagt die junge Frau. Eine enge Beziehung könne sie sich nur mit einem Menschen vorstellen, der die Gebärdensprache beherrsche. "Ich brauche die tägliche Kommunikation."

Was die Gesellschaft für Schwerhörige und Gehörlose tun könne? "Mehr Achtsamkeit!" Wenn ein Schüler auf lautes Zurufen des Busfahrers nicht reagiert, könnte es daran liegen, dass er nichts hört, sagt Weigert. Von einer Kennzeichnung wie dem Blindenabzeichen möchte sie dennoch nichts wissen. "Die Binde würde mich stören, wenn ich mich schick anziehen will."

Auf die Frage, ob bei Nachrichten und Filmen Untertitel oder die Einblendung eines Dolmetschers hilfreicher sei, entscheidet sich Samantha für die Untertitel. Auch Sina Uhlein, Erzieherin im Internat des Berufsbildungswerks, bevorzugt in diesen Fällen das geschriebene Wort.

Sina Uhlein ist hochtonschwerhörig. Sie kann vor allem die Konsonanten "s", "f" und "sch" schwer wahrnehmen. Zwei Hörgeräte helfen ihr, das Handikap auszugleichen, doch sobald die Hintergrundgeräusche zu laut werden, funktioniert das nicht mehr. "Ich war in einer normalen Berufsschulklasse mit 32 Schülern", sagt sie. Trotz technischer Hilfen sei die Verständigung oft schwergefallen. Ihre Arbeit in der Schülerinternatsgruppe sei für sie ideal, da sie selten mit mehr als einer Person gleichzeitig kommunizieren müsse.

"Die Gehörlosenwelt ist für Hörende viel offener, als wir uns das vorstellen können", sagt Uhlein. Und wenn alle Stricke reißen, gebe es ja immer noch Zettel und Stift.

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