Mit Arbeit aus der Sucht ... Auf einen Espresso mit Daniela Dahm

27.10.2015, 21:09 Uhr
Mit Arbeit aus der Sucht ... Auf einen Espresso mit Daniela Dahm

© Foto: Heilig-Achneck

Gibt es Lilith wirklich „erst“ 20 Jahre? Sonst ist es vielleicht kaum ein Kompliment, aber hier ganz bestimmt: Wir hätten darauf gewettet, dass Lilith schon viel älter ist . . .

Dahm: Ich bin da selbst hin- und hergerissen. Manches ist mir so nah und gegenwärtig, dass es mir vorkommt, als wäre Lilith erst gestern entstanden. Auf der anderen Seite ist so viel passiert, dass es gefühlt leicht 40 Jahre sein könnten.

 

Seit der Gründung ist Lilith auf jeden Fall kräftig gewachsen, von gerade mal zwei auf heute 29 Mitarbeiterinnen. Und sonst?

Dahm: Es hat sich wirklich viel getan, auch zum Guten. Als wir anfingen, schüttelten viele verständnislos den Kopf. Eine Drogenhilfe-Einrichtung speziell für Frauen sei doch nicht nötig, hieß es. Inzwischen ist ein breites Bewusstsein entstanden, dass Sucht, Trauma und Gewalt eng zusammenhängen – und spezifische Hilfsangebote für Frauen und Männer sinnvoll und notwendig sind. Und noch eins: Dass Drogenabhängige auch Kinder haben und was das für die bedeutet, ist auch erst im Laufe der Zeit in den Blick gekommen. So entstand unser Arbeitsbereich Liliput.

 

Also alles in Butter?

Dahm: Von wegen. Stadt und Bezirk haben die Angebot zwar mit viel Verständnis gefördert und ausgebaut. Aber für bestimmte Aktivitäten – zum Beispiel die unverzichtbare Kinderbetreuung oder unseren Cafébetrieb – bleibt die Finanzierung schwierig. 20 bis 30 Prozent unseres Budgets müssen wir selbst aufbringen und sind dazu sehr auf Spenden angewiesen. Sich darum zu bemühen, kostet viel Zeit – die ich lieber und besser für unsere Klientinnen aufbringen will.

 

Die Zahl der Drogentoten ist wieder gestiegen. Ein Alarmsignal?

Dahm: Natürlich. Zumal seit Jahren ein Stillstand, ja sogar ein Rückschritt zu beklagen ist. Ich meine den eklatanten Mangel an Kapazitäten für eine Entgiftung und erst recht zur Substitution. Zumindest einige von denen, die einer Überdosis zum Opfer gefallen sind, hätten überleben können, wenn sie rechtzeitig einen Platz bekommen hätten. Und die Diskussion um Drogenkonsumräume ist leider verkrampft und von ideologischen Grabenkämpfen vergiftet – als wären wir nicht längst viel weiter.

 

Wie halten Sie das aus – sich jahrzehntelang mit Suchtproblemen herumzuschlagen?

Dahm: Ehrlich gesagt, frage ich mich das manchmal auch. Aber ein kurzes Beispiel erklärt alles: Kürzlich hat eine Streetworkerin eine junge Obdachlose, die wirklich auf der Straße gelebt hatte, in eines unserer Arbeitsprojekte vermittelt. Und drei Wochen später macht diese Klientin bei einer Präsentation schon eine gute Figur – eine fantastische Entwicklung. Für mich eine Bestätigung, dass unser Ansatz stimmt. Und ein Beleg für das großartige Engagement unserer Mitarbeiterinnen, übrigens auch von fast 30 Ehrenamtlichen. Mit all dem sind wir die zweitgrößte Drogenhilfeeinrichtung für Frauen in ganz Deutschland – und in Nordbayern sowieso die einzige.

 

Apropos Arbeit: In einem Secondhandladen und im Haus-Service finden Klientinnen erste Beschäftigungsmöglichkeiten auf dem Weg in ein neues Leben.

Dahm: Arbeit stabilisiert – und die meisten Klientinnen sind unglaublich zuverlässig und zum Beispiel auch seltener krank, als oft unterstellt wird. Sie wollen etwas tun und auch die gängigen Klischees von Drogensüchtigen widerlegen. Aber oft fehlt ihnen einfach die Kraft für die heute gängigen Anforderungen.

 

Seit April gestalten Sie Ihre Arbeitsprojekte im Verbund mit der Drogenhilfe Mudra und dem Restaurant Estragon der Aidshilfe („MuEstLi“). Was bringt das?

Dahm: Wir arbeiten schon länger zusammen. Die neue Kooperation bietet, in Abstimmung mit dem Jobcenter, etliche Vorteile, vor allem für unsere Klientinnen. Sie können unkompliziert zwischen den Werkstätten der einzelnen Träger wechseln und so verschiedene Tätigkeiten ausprobieren, also etwa im Verkauf, im Gastronomiebereich, in einer Schreinerei oder im Waldprojekt. Zudem sind Betreuung und Qualifikation fester Bestandteil – hoffentlich schaffen damit am Ende noch mehr Betroffene die Rückkehr in eine reguläre Beschäftigung.

 

Keine andere Frage beschäftigt Politik und Öffentlichkeit derzeit so sehr wie die nach der Integration von Flüchtlingen. Lassen sich aus Ihren Erfahrungen Empfehlungen ableiten?

Dahm: Die erste liegt auf der Hand: Die Menschen möglichst rasch in Beschäftigung zu bringen. Wie wichtig Sprache und Bildung sind, weiß ohnehin jeder. Das Allerwichtigste aber sind möglichst viele Begegnungen aller Art und auf allen Ebenen. Man darf aber auch die Augen nicht davor verschließen, dass viele der Flüchtlinge traumatische Erfahrungen mitbringen. Die lassen sich nicht so einfach wegstecken und vermutlich auch nicht ohne weiteres behandeln. Das ist eine typische Problemlage, in der manchen Drogen als vermeintliche Hilfe erscheint.

Dabei nehmen die Drogenprobleme ohnehin schon zu.

Dahm: Aber aus ganz anderen Gründen. Die synthetische Droge Crystal breitet sich fast explosionsartig aus. Wir haben es plötzlich mit ganz neuen Gruppen von Klientinnen zu tun, gut ausgebildeten Frauen und Müttern in anspruchsvollen Berufen, die das nehmen, um den vermeintlichen und wohl auch tatsächlich steigenden Anforderungen gerecht zu werden. In unserer Leistungsgesellschaft nimmt der Druck – gerade auf Frauen – offenkundig immer weiter zu.

 

 

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