30. Januar 1966: Der Mann mit dem kleinen Koffer

30.1.2016, 07:00 Uhr
30. Januar 1966: Der Mann mit dem kleinen Koffer

© Kammler

Die Nürnberger sind offensichtlich skeptisch bis unwirsch, wenn ihnen einer ungebeten "auf die Bude rückt". Wir haben einmal erfahren wollen, wie die Leute auf Angebote an der Haustüre reagieren und welches Schicksal so manchem Vertreter beim "Klinkenputzen" beschieden ist. Ein Redaktionsmitglied machte sich daher mit einem kleinen Koffer und der Frage "Darf ich Ihnen etwas zeigen" auf den Weg. In den Wohngegenden von Gleißhammer, am Dutzendteich, beim Luitpoldhain und von Zabo stieg der junge Mann treppauf, treppab oder wanderte von Gartentür zu Gartentür. Was ihm bei diesem Versuch widerfahren ist, schildert er in diesem Bericht.

Gleich der erste Versuch ist wenig ermutigend. Obwohl ich meine Kosmetik-Artikel in den höchsten Tönen preise, komme ich nicht einmal dazu, mein Köfferchen zu öffnen. Das Angebot "Vielleicht ein kleines Geschenk für den Herrn Gemahl" bringt mich nicht ins Geschäft. "Das wäre ja noch schöner, Kosmetika von einem Vertreter zu nehmen. Da verlasse ich mich schon lieber auf mein Fachgeschäft." Bumms, die Tür knallt ins Schloß.

"Verschwinden Sie!"

Nur nicht gleich den Mut verlieren, sage ich mir, Rom ist schließlich auch nicht an einem Tag erbaut worden. Ein Haus mit Laubengang am Luitpoldhain scheint mir geeignet, erneut mein Glück zu versuchen. Doch diesmal reicht die Zeit nicht einmal, um zu läuten. Einen Spalt breit öffnet sich die Tür, durch ihre Nickelbrille mustert mich kritisch eine ältere Frau: "Ich habe Sie schon beobachtet. Was haben Sie hier zu suchen?", sagt sie barsch. In meinem Sprüchlein werde ich unterbrochen: "Aha, ein Vertreter sind Sie. Da schaun's nur, daß Sie auf dem schnellsten Wege verschwinden!" Was die Frau sonst noch alles sagt, ist nicht druckreif. Zwei Türen weiter erklärt mir eine Dame, der ich mich zu erkennen gebe, daß ungebetene Gäste durch den "Spion" in der Türe unter die Lupe genommen werden. Daher also meint sie: "Ich habe Sie schon gesehen..."

Ausgesprochen "vertreterfeindlich" erweisen sich auch die großen Mietshäuser mit Rufanlage. Eine kalte, unpersönliche Stimme fragt, wer da sei? Auf meine Vorstellung erhalte ich die Antwort: "Da gehen Sie nur gleich wieder, ich kaufe nichts!" Verzweifelt frage ich mich: wie soll man in solchen Fällen überhaupt in das Haus gelangen.

Allmählich überfällt mich Trotz. Schließlich habe ich den Ehrgeiz, etwas zu verkaufen. Zu allem entschlossen, betrete ich in der Nähe des Dutzendteiches ein Haus, vor dem ich auf ein abweisendes Schild "Betteln und Hausieren verboten!" stoße. Im hautengen Hausanzug öffnet eine blondgelockte Dame Ende der Zwanzig. "Jetzt oder nie", sage ich mir, und versuche mit strahlendem, siegessicherem Lächeln, die Dame zum Kauf meiner "Wundersalben" zu überreden. Ihre Worte aber sind ernüchternd: "Da können Sie reden, was Sie wollen. Kosmetikartikel aus dem Koffer. Nein, sowas!"

Die Schwelle als unüberwindliches Hindernis

Die Zeit verrinnt und ich bin noch nicht einmal über die Schwelle einer Wohnung gekommen. Du mußt frecher werden, rede ich mir zu. Daher stelle ich in einem Einfamilienhaus in Zabo den Fuß zwischen die Tür. Das hätte ich besser unterlassen sollen. Mit zornbebender Stimme schreit mich die Hausfrau an: "Nehmen Sie sofort den Fuß weg oder ich rufe die Polizei, Sie unverschämter Lümmel". Wie ein begossener Pudel streiche ich die Segel. Zum erstenmal beschleicht mich der Gedanke, den Versuch aufzugeben. Die Erinnerung an meine Kollegen, die darüber bestimmt schadenfroh grinsen würden, läßt mich weitermachen. Nur weiter, soweit die Füße tragen.

An der nächsten Haustür stelle ich mich gleich mit meinem richtigen Beruf vor. Ein zähnefletschender Schäferhund, der sich knurrend neben sein Frauchen stellt, läßt es mir angezeigt erscheinen, nicht den Helden zu spielen. Erwartungsfroh schauen mich zwei Frauen an, die sich über den Gartenzaun hinweg unterhalten: "Wir sind schön genug", damit weisen sie mein "einmaliges, neu entwickeltes Schönheitsmittel" zurück. Ein etwa zehnjähriger Junge erklärt mir, daß seine Eltern nicht zu Hause sind und er niemanden in die Wohnung lassen darf. Flugs schlägt er die Tür wieder zu.

Mitleidstour hilft nicht

Empört mustert mich eine alte Frau. "So ein junger Mensch!" Diese Worte sind deutlich genug. Auf meinen Einwand, daß meine Frau krank ist und drei kleine Kinder auf meinen Verdienst warten, entgegnet sie: "Dann arbeiten Sie eben etwas Gescheites!" Noch einmal versuche ich es auf die mitleiderregende Masche: "Jetzt bin ich seit 8 Uhr früh unterwegs und habe noch keinen einzigen Auftrag erhalten. So geht das schon tagelang. Mein Chef schmeißt mich bestimmt bald raus." Die Antwort lautet: "Da täte er gut daran!" In einer langen Straße scheint das Warnsystem besonders gut zu funktionieren. An vielen Fenstern bewegen sich die Vorhänge. Mein Läuten bleibt jedoch ohne Echo. Ich komme mir wie ein Aussätziger vor, als ich mehr von Haustür zu Haustür schleiche als gehe, verfolgt von vielen Augenpaaren.

Ernüchtert steige ich bald wieder in den Wagen. Mein kurzes Vertreterdasein war zu niederschmetternd: nie und nimmer hatte mir auch nur die Chance gewinkt, einen Auftrag zu erhalten. Dabei war ich doch wirklich von Tür zu Tür gegangen, bis in den fünften Stock hinaufgestiegen und hatte meine ganze Überredungskunst aufgewendet. Ob es an der Ware lag? An meinem Gesicht? Wer weiß?

Verwandte Themen


Keine Kommentare