19. März 1966: Auf Diebespfaden unterwegs

19.3.2016, 07:00 Uhr
19. März 1966: Auf Diebespfaden unterwegs

© Kammler

Nur knapp die Hälfte dieser Fälle konnte aufgeklärt und 99 Täter ermittelt werden. Außerdem wurden 1965 322 Autos gestohlen. 211 Pkw sind zwar wieder aus den Klauen gerissener Verbrecher „befreit“ worden, aber sie waren oft ramponiert.

Wird es den Autoknackern in Nürnberg leicht gemacht? Können die Spezialisten unter ihnen arbeiten, ohne von Straßenpassanten oder Spaziergängern bemerkt zu werden? Wir machten die Probe aufs Exempel und starteten zu einer Parkplatzvisite, um auf verbotenen Diebespfaden zu wandeln.

19. März 1966: Auf Diebespfaden unterwegs

© Kammler

Wir: die beiden Kriminalmeister Eckhard Frenzel und Eduard Neuner sowie zwei „NN“-Redakteure. Wie erfolgreich unser Fischzug wurde, überraschte selbst die in ihrem Beruf nicht gerade verwöhnten Beamten. Es versteht sich, daß sie in Zivil „klauen“ mußten…

Sanfter Druck auf Türschlösser

9.38 Uhr zeigt unsere Armbanduhr. Vor dem Germanischen Nationalmuseum stehen 14 Personenwagen. Eilige Menschen hasten an der Formation aus Chrom und Blech vorbei. Ein Zehnerl in das Groschengrab – und wir schwärmen aus. Unsere Beschäftigung für die nächsten Stunden: sanfter Druck auf Türschlösser und gegen Seitenfenster, neugierige Blicke in das Innere der rollenden Schlafzimmer.

Fehlanzeige beim ersten, zweiten und auch beim dritten Auto. Pech? Denkste! Bereits beim vierten Pkw hellen sich unsere Mienen auf. Die linke, hintere Tür eines 16 000-DM-Gefährts ist nicht verschlossen.

Mir juckt es in den Fingern. Eine Leichtigkeit, den dicken Brummer kurzzuschließen! Sein Motor hält bestimmt noch eine Weile aus, denn nach dem Tacho hat er erst 16 854 Kilometer auf dem Buckel. Im Handschuhfach liegt sogar der Kfz-Schein. Sonst braucht man eigentlich nichts, wenn man den eigenen Führerschein in der Tasche hat und auf Reisen gehen will.

Zwei Parkstände weiter rostet ein Combi langsam dahin. Dem Fahrer ist nachzufühlen, wenn er sorglos die Tür ins klapprige Schloß wirft und die Türen offen läßt. Ein Spezialist würde auch die Nase rümpfen: außer ein paar Tafeln Schokolade und Papierattrappen hat der Dekorateur nichts zu bieten. Wenige Schritte entfernt wird es wieder verlockender. Am Kornmarkt sind 16 Autos abgestellt. Wir streifen erneut von einem Vehikel zum anderen und tasten uns möglichst unauffällig durch das Gewirr von Blech und Lack.

Und siehe da: drei Mittelklassewagen lassen sich mühelos ausräubern oder – noch schlimmer – gleich wegfahren. Bei zweien sind die Fensterscheiben halb heruntergedreht. Der Fahrer des anderen Autos hat sich erst gar nicht die Mühe gemacht, seinen Türschlüssel in die Hand zu nehmen. Einem Profi hätte das Herz gelacht: Kofferradios, Photoapparate, prallgefüllte Aktentaschen, Bettücher, Lebensmittel und Kleider en masse schlummern auf weichen Samtpolstern und Ledersitzen.

Schon die erste Phase unseres Streifzuges zeigt: man gewöhnt sich an alles. Die anfängliche Beklommenheit legt sich schnell. Unsere Arbeitsweise erweckt nicht das geringste Aufsehen. Kein Mensch nimmt von uns Notiz, obwohl wir nicht gerade zimperlich umgehen. Zudem flanieren ständig Leute an uns vorbei. Nur am Hallplatz dreht sich ein älterer Herr mit Schnurrbart dreimal um. Das ist aber alles.

Von niemandem gestört

Unser nächstes Ziel ist der Parkplatz zwischen der Katharinengasse und der Lorenzer Straße. Aus dem dritten Stock ihrer Mietwohnung schwingt eine Frau das Staubtuch aus, lehnt sich eine Weile auf das Fensterbrett und schaut uns zu. Während wir fast 200 Autos kontrollieren und neun Fahrzeuge sperrangelweit geöffnet finden, blinzelt sie immer noch dem fahlen Sonnenschein entgegen. Auch der PS-Bändiger in einem Kleinwagen läßt uns ungestört hantieren. Er wickelt behutsam seine Brotzeit aus, verzehrt hastig zwei belegte Brötchen, startet den Motor und gibt Gas.

Von einem anderen Holz geschnitzt sind dagegen zwei Techniker der Landesgewerbeanstalt. „Wir beobachten Sie schon die ganze Zeit. Warum fummeln Sie denn an sämtlichen Autos herum?“ begehren Adolf Haubner und Helmut Pfahler zu wissen. Als die beiden Beamten ihre Kripo-Marken zücken, bekennen sie: „Wir wollten schon die Polizei anrufen!“ Zum Telephon griffen sie aber nicht. Vielleicht wäre es dazu schon zu spät gewesen. Bis die beiden Techniker auf der Bildfläche erschienen, hätten wir bereits vier Autos ausplündern und verschwinden können…

Ein Schlaraffenland für potentielle Kfz-Diebe ist das Gelände um den Hauptbahnhof. Vor allem bei der Expreßguthalle. Hier werden die wenigsten Wagen abgesperrt, weil die Fahrer „nur eben etwas holen oder hinbringen“ wollen. Wir schauen auf die Uhr. Volle 28 Minuten stehen drei Combis verlassen da. Offen, natürlich. Ihre Fracht: eine Ladung Blumen, ein Kofferradio zum Listenpreis von 327 DM und eine kleinere Ausgabe für knapp 100 DM. „Ich habe solange warten müssen“, entschuldigt sich später ein 26jähriger Verkaufsfahrer. „Im allgemeinen schließe ich meine Karre ab.“

Die Uhr zeigt genau 13.10 Uhr. Drei Stunden und 32 Minuten waren wir unterwegs, hatten sechs Parkplätze nach allen Regeln der Kunst durchgekämmt und reiche Beute gemacht. Mit 29 Fahrzeugen hätten wir an diesem Tag Nürnberg verlassen können – und mit einer Menge zum Teil wertvoller Gegenstände. Sie lagen in den Autos arglos herum. Eine respektable Leistung für Anfänger!

„Die Leute sind so betriebsam und desinteressiert!“, bedauert Kriminalrat Heinrich Helldörfer. „Das erschwert natürlich unsere Arbeit.“ Wenn auch nicht jede Straftat zu verhindern ist, muß sich doch die Zahl der Langfinger auf ein erträgliches Maß reduzieren lassen. Die Polizei muß deshalb ständig auf der Hut sein oder – wie es der Kriminalrat formuliert – „dynamisch arbeiten“. Hierzu zählt er vor allem verstärkte Streifengänge.

Handzettel an der Scheibe

In den nächsten Tagen startet das Präsidium eine Good-will-Tour. Den „lieben Kraftfahrern“ heftet es Handzettel an die Windschutzscheiben, auf denen ihnen attestiert wird: „Sie haben Glück. Ihr Fahrzeug steht noch am alten Platz.“ Die freundliche Ermahnung läßt nicht lange auf sich warten. „Die Zunft der Autoknacker ist Tag und Nacht am Werk. Schließen Sie Lenkrad und Türen ab. Geben Sie den Dieben keine Gelegenheit und präsentieren Sie Ihnen nicht die Beute.“ Zum Schluß heißt es auf dem kleingedruckten Papier: „Ersparen Sie sich den Ärger und uns die Arbeit. Wir haben ohnehin genug.“

Dazu Kriminalrat Helldörfer: „Ein Pkw – ob offen oder nicht – ist immer ein Schaufenster. Und die Auslage reizt, zuzulangen.“ Aus diesem Grund liebäugelt er mit modernen Überwachungsmethoden, wie sie bereits in England mit Erfolg praktiziert werden. „Fernsehkameras“, an Parkplätzen und Hauptverkehrsstraßen installiert, „können uns da gut weiterhelfen.“

Wenn in Nürnberg diese kostspielige Optik verwendet wird, beginnt für die Autoknacker eine schwere Zeit. Noch wird es ihnen sehr leicht gemacht.

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