DvoÝák tanzt Flamenco

17.10.2016, 19:01 Uhr

Gastdirigent Kahchun Wong (Jahrgang 1986) ist nicht nur – ähnlich wie Shelley zu Beginn seiner Nürnberger Karriere – blutjung, sondern besitzt durch seinen 1. Preis beim diesjährigen Gustav-Mahler-Dirigentenwettbewerb die allerhöchsten Meriten.

Seinen Einstieg mit Xia Guans (Jahrgang 1957) symphonischer Ballade „Sorrowful Dawn“ stellt nicht nur die Vielseitigkeit der Nürnberger Symphoniker vor, die 2014 eine Einspielung dieses Titels in ihrem eigenen Musiksaal stemmten. Es ist auch ein schöner Beginn für jene Hörer, die es sich gerne mit eingängigen Kinomelodien harmonisch bequemer einrichten. Solche akustischen Handschmeichler können offenbar nicht nur die Gemüter in China erfreuen.

Wenn spanische Feurigkeit auf tschechische Tanzfreude trifft, kann so etwas herauskommen, wie es Leticia Moreno vorführt. Wie mit dem Stolz einer unnahbaren Flamencotänzerin betritt die Dreißigjährige die Bühne, trägt ihre Geige am horizontal ausgestreckten Arm, als wäre es eine Waffe, die für die Corrida bestimmt sei. Doch voll Geschmeidigkeit ist ihr Ton, entschlossen und dennoch von zirzensischer Virtuosität in den Läufen, die einst DvoÝák dem besten Violinisten seiner Zeit in seinem Konzert in a-Moll auf den Leib schrieb. „Let’s dance“ heißt es im populären wie mitreißenden letzten Satz mit seinen synkopierenden Rhythmen, bei denen sich die Symphoniker nicht aus dem Gleichgewicht bringen lassen.

Extrem vielschichtig geht es im größten Werk an diesem Sonntagnachmittag in der Meistersingerhalle zu. Dimitri Schostakowitsch’ 5. Symphonie ist nicht frei von grellem Pathos, das in seiner Partitur immer ambivalent, bisweilen sogar ironisch gemeint ist. Dass Kahchun hier insbesondere in den Mittelsätzen sich ganz in Stimmungsbildern versenken kann, die in ihrer kammermusikalischen Transparenz und Verletzbarkeit das Vorbild Gustav Mahler nicht verleugnen, macht gerade diese ruhigen Passagen zu den intensivsten und schönsten Augenblicken des Abends. Kahchun versteht daraus ganz große Musik zu machen, die unter die Haut geht. Das Finale schließlich klingt in seinem hohlen Pomp so falsch wie ein amerikanischer Wahlkampf oder die Politik Putins – eben wie „Volksmusik“.

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