Schuberts Leiden am Glauben

14.11.2016, 18:38 Uhr

In die Irre ginge, wer sich verleiten ließe, Franz Schubert tatsächlich für einen Ungläubigen zu halten und obendrein für einen Opportunisten. Richtig ist, dass der Musikdramatiker ein Gläubiger war, wenn auch keinesfalls im Sinne Roms. Er war stark und unbeirrbar in einigen fundamentalen Überzeugungen, stand jedoch in klarer Distanz zur Institution Kirche. Er wollte sich nicht zur Andacht forcieren lassen. Was ihm beim Auskomponieren des liturgischen Messetextes nicht in seinen „Kram“ passte, stellte er kurzerhand um, so wie es eben seiner Glaubenshaltung am besten entsprach.

Sieht man einmal von der großen Messe in As-Dur (D 678) ab, so fasziniert die Es-Dur-Messe D 950 in ihrer Gebrochenheit, in ihrem Zwiespalt und ihrer Kühnheit. Schubert löst sich hier einige Monate vor seinem Tod aus allen Traditionen und findet so zu einem fast romantisch anmutenden klanglichen Profil – ein musikalischer Reflex seines persönlichen Leidensweges.

Der Konzertchor des Lehrergesangvereins wurde am Sonntag im gut besuchten Konzert in der Meistersingerhalle dem kompositorischen Niveau des Meisterwerks auf respektgebietende Weise gerecht. Auch ein Verdienst der akkuraten Einstudierung durch den lettischen Maestro Tarmo Vaask. Seine Affinität zur Klangwelt Schuberts sei unbestritten. Souverän folgen die durchwegs prägnant deklamierenden Choristen den oft schroffen Wechseln von geschmeidigen Piani zu kraftvollen Forti.

Vom beinahe lautlosen Stammeln bis hin zum peinigenden chorischen Aufschrei reicht die deklamierte Spannweite. Packend sind die Bekenntnisse des Schmerzes im inbrünstigen „dona nobis pacem“ und der im Pianissimo resignativ aushauchenden eindringlichen Bitte um Erbarmen „miserere nobis“.

Ausbruch der Verzweiflung

Der Musikdramatiker Schubert meldet sich unmissverständlich zu Wort und wagt suggestiv den Ausbruch der Verzweiflung. Frische und Kraft der Erfindung tragen die gewaltigen Schlussfugen „Cum sancto spiritu“ („Gloria“) und „et vitam venturi saeculi“ im „Credo“. Hier werden die Stimmkurven durch wechselnde Abstufung zu bannender Ausdruckskraft gesteigert. Ein handverlesenes stimmfrisch agierendes Solistenquintett (Anina Denisova, Raquel Luís, Yuri Rostotsky, Sebastian Köchig und Rihards Millers) artikuliert geschmeidig. Das fantasievolle Spiel der Spannungen tragen auch die zuverlässig sekundierenden Symphoniker.

Zweifel kommen da nicht auf, dass die Es-Dur-Messe beileibe nicht als unbeschwerte Diesseitigkeit, sondern als große Bekenntnismusik in den Bann zieht. Man spürt Schuberts zutiefst persönliche religiöse Situation, den Widerstreit zwischen Wissen und Glauben.

Mehr Klangkultur (Intonation) hätte man allerdings in Schuberts zu Beginn gespielten h-Moll-Sinfonie (die Unvollendete) erwartet, vor allem von den klangscharfen, etwas vorlauten Blechbläsern. Da mangelt es schon an einer gezielten dynamischen Abstufung. Nur gut, dass Orchester und Chor nach einigen Wackelkontakten im „Kyrie“ zu Beginn der Messe zunehmend zueinanderfinden.

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