"Wir wollten den Frauen eine Stimme geben"

6.2.2018, 16:58 Uhr

© Illustrationen: Patrizia Arrigo-Daumenlang, Genia Leyn

Ein bettelarmes Ehepaar, das seine Kinder aus Not im Wald aussetzt. Das kennt man aus Hänsel und Gretel. Doch es ist kein Grimm’sches Märchen, das Triada Z. ausgewählt hast, sondern "Der Kleine und das Ungeheuer", das man sich seit Generationen in Griechenland erzählt. Hier tritt das Böse nicht in Gestalt einer Hexe auf, sondern als Ungeheuer, das als Reiter getarnt ist, und das schließlich durch die Schlauheit des Jüngsten der Geschwister besiegt wird.

Fleiß und Güte

Einer Art Gold- und Pechmarie begegnet man im "Volksmärchen aus Moldawien". Zwei Mädchen, das eine gütig und bescheiden, das andere habgierig und gemein. Wer wohl am Ende siegt? Die 1939 in Moldawien geborene Julia Tibulschi hat die Geschichte ausgesucht. "Meine Großmutter erzählte mir oft Märchen. Mit erhobenem Zeigefinger lehrte sie mich Ehrlichkeit, Fleiß, Güte und Empathie", sagt sie.

Insgesamt vereint "Märchen aus 1001 Land" 33 Märchen aus der ganzen Welt. Ausgewählt von Frauen aus der Metropolregion Nürnberg, Fürth, Erlangen. Herausgegeben wurde es von Gerda Fickenscher, der Dekanatsfrauenbeauftragten im evangelisch-lutherischen Dekanatsbezirk Nürnberg, und Brigitte Fartaj von der Asyl- und Flüchtlingsberatung der Nürnberger Stadtmission.

Im Zuge der verstärkten Zuweisung von Flüchtlingen nach Nürnberg habe sich eine enge Zusammenarbeit zwischen beiden Einrichtungen entwickelt, sagen sie. Die Idee zu einer Märchensammlung entstand bei gemeinsamen Begegnungen mit Flüchtlingsfrauen und deren vielschichtigen kulturellen Hintergründen.

"Tradition, Kultur und die eigenen Wurzeln sind wichtige Voraussetzungen für die eigene Identität", schreiben die beiden Herausgeberinnen in ihrem Vorwort. "Wir wollten den Frauen eine Stimme geben und damit Integration mal anders angehen", sagt Gerda Fickenscher (79). Denn gleichzeitig hätten die Märchen ein starkes verbindendes Element, viele Symbolfiguren und verschlüsselte Weisheiten ähneln sich. "Die Weisheit von Märchen wird weltweit verstanden."

Einige der Fabeln und Sagen stammen aus Ländern, die man seit geraumer Zeit hauptsächlich mit Kriegsberichterstattung und der Flüchtlingskrise in Verbindung bringt, etwa aus Syrien oder dem Irak. "Es wird leider oft übersehen und vergessen, dass es auch viel Schönes aus diesen Ländern gibt", betont Fickenscher. Bewusst habe man aber auch Migrantinnen einbezogen, die aus anderen Gründen ihre Heimat verlassen haben.

Keine einfache Suche

Es sind Studentinnen und EU-Bürgerinnen, die hier leben und arbeiten, oder Frauen, die in Deutschland geboren wurden, durch ihre Wurzeln aber noch mit einem anderen Land eng verbunden sind. So ist auch Märchenhaftes aus Italien, Ungarn, Irland, China. Äthiopien oder Kolumbien zu lesen.

Die Suche nach so vielfältigen Geschichtenerzählerinnen war alles andere als einfach. Einige Kontakte kamen über die Stadtmission zustande, "vieles ging auch einfach über Mundpropaganda", erzählt die Dekanatsfrauenbeauftragte. So habe zum Beispiel ihre Tochter, die als Germanistin arbeitet, über die Uni einige Frauen gewinnen können. Gerda Fickenscher, die seit vielen Jahren rein ehrenamtlich für den Nürnberger Dekanatsbezirk aktiv ist, betont, dass viele helfende Hände zur Realisierung der Idee beigetragen haben.

Einige Frauen mussten anfangs erst überzeugt werden. Die anfängliche Skepsis, dass sich tatsächlich jemand für die Kultur ihres Landes interessiert, wich aber meist schnell Begeisterung und Stolz. In einem kleinen Vorspann zu jeder Geschichte erfährt der Leser stets ein wenig über die Frau, die sie ausgesucht hat, und warum. In und zwischen diesen wenigen Zeilen spürt man jenen Stolz und die Sehnsucht nach der Heimat.

Wunderschöne Vögel

So schreibt zum Beispiel Hofagao Kaia-Hauth über ihr Land und das Märchen "Die Krähe und der Kranich": "Papua-Neuguinea ist ein Land, in dem es viele wunderschöne Vögel gibt. Daher gefällt mir diese Fabel ganz besonders."

Alle Märchen wurden in Deutsch und parallel dazu in der jeweiligen Landesssprache mit entsprechender Typografie abgedruckt. Drei Nürnberger Künstlerinnen steuerten fantasievolle Illustrationen bei. Vor kurzem ist bereits die zweite Auflage erschienen. Beziehen kann man "Märchen aus 1001 Land" für zehn Euro im Büro der Dekanatsfrauenbeauftragten im "eckstein", Burgstraße 1-3.

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