"Viele sagen: Ich muss überleben, mein Kind braucht mich"

21.3.2018, 18:25 Uhr

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Frau Dahm, herzlichen Glückwunsch! Was bedeutet der Frauenpreis für Sie?

Daniela Dahm: Wir freuen uns sehr. Es ist schön, nach all den Jahren so eine Würdigung zu bekommen. Wir haben 1993 einen Verein gegründet und uns für eine geschlechtsspezifische Suchthilfe eingesetzt. Es war nicht einfach, das der Politik und der Stadtverwaltung deutlich zu machen. Es waren schwere erste Jahre.

Wieso benötigen drogenabhängige Frauen andere Hilfen als Männer?

Dahm: Frauen und Männer konsumieren unterschiedlich, Männer konsumieren zum Beispiel wesentlich riskanter. Und es gibt bei Frauen und Männern unterschiedliche Ursachen für Suchtmittel-Abhängigkeiten. 80 Prozent aller abhängigen Frauen mussten schlimmste Gewalterfahrungen in ihrem Leben machen. Frauen nehmen deshalb häufig gerne dämpfende Substanzen, um diese Traumata zu überleben.

Kinder sind ein anderes frauenspezifisches Thema. Wir haben viele alleinerziehende Klientinnen. Auch das Thema Drogenkonsum und Schwangerschaft ist spezifisch weiblich.

Drogentote sind in der Regel männlich. Sind Frauen tatsächlich vorsichtiger, wenn sie Rauschgift nehmen?

Dahm: Wir haben es als Drogenhilfe für Frauen ein bisschen einfacher als andere Organisationen, die auch mit Männern arbeiten. Das Gesundheitsbewusstsein ist bei Frauen ausgeprägter, sie achten besser auf sich und ihren Körper. Sie konsumieren nicht so riskant wie Männer. Viele Frauen haben auch Kinder und sagen: Ich muss überleben, mein Kind braucht mich.

Sie betreuen Frauen, die zur klassischen Drogenszene gehören, aber auch solche, bei denen man nie vermuten würde, dass sie abhängig sind.

Dahm: Wir können seit drei, vier Jahren das Phänomen beobachten, dass Frauen Substanzen zur Leistungssteigerung nehmen. Dadurch hat sich auch unsere Klientel verändert. Es kommen Frauen, die gesellschaftlich völlig eingegliedert sind, einen Beruf, eine gute Position und Familie haben. So schön es ist, dass sehr viele Frauen im Beruf sind und Kinder haben – das Negative daran ist die Doppelbelastung. Deshalb haben bei Frauen Substanzen wie Crystal Meth enorm zugenommen, auch wenn es immer heißt, der Crystal-Meth-Konsum geht zurück. Nein, der Konsum ist auch bei bürgerlichen Gruppierungen angekommen.

Zu Ihnen kommen auch Schwangere. Kann die Schwangerschaft ein Wendepunkt sein?

Dahm: Unseren Klientinnen geht es wie vielen Frauen, die ungeplant schwanger werden: Sie sind erst einmal unter Schock und wissen nicht, sollen sie sich freuen oder sich Sorgen machen. Oft sind Scham- und Schuldgefühle dabei. Die Frauen fragen sich: Ist mein Kind gesund? Für viele Frauen ist eine Schwangerschaft aber tatsächlich eine Chance, den Konsum entweder ganz zu beenden oder zumindest drastisch zu reduzieren.

© F.: Horst Linke

Manche Frauen schaffen es aber trotzdem nicht, für ihr Kind richtig zu sorgen. Was dann?

Dahm: Das ist eine schwierige Situation, wenn wir das Jugendamt informieren müssen, weil wir eine Kindeswohlgefährdung vermuten. Wir gehen sehr sorgsam damit um und haben ein klares Vorgehen: Alle Kolleginnen wissen, sobald sie erste Anzeichen wie zum Beispiel blaue Flecken sehen, müssen sie die "Kinderschutzbeauftragte" bei uns informieren. Wir suchen das Gespräch mit der Mutter, sobald wir einen begründeten Verdacht haben. Danach gehen wir im Idealfall mit ihr zusammen zum Jugendamt. Sie soll begreifen, dass sie keine schlimme Mutter ist, wenn sie überfordert ist, sondern dass sie eine gute Mutter ist, wenn sie sich Hilfe holt.

Ein anderes Thema. Stadt und Polizei haben die Drogenszene aus der Königstorpassage vertrieben. Wie finden Sie das?

Dahm: Ich verstehe, dass man in der Königstorpassage ein gutes Miteinander haben will. Das ist auch in unserem Sinne. Aber es ist uns wichtig, dass der Umgang mit Drogenabhängigen respektvoll und wertschätzend ist. Die Szene einfach nur zu verdrängen, macht wenig Sinn. Die Menschen sind da, haben einen Unterstützungsbedarf, und ich kann ihnen nicht den Zugang zu öffentlichen Plätzen verwehren. Für uns ist es tragisch, wenn unsere Streetworkerinnen die Menschen nicht mehr erreichen. Das ist verschwendete Zeit für alle, auch weil sich die Menschen auf Dauer nicht verdrängen lassen. Dieses "Cowboy-und-Indianer-Spiel" rund um den Hauptbahnhof habe ich noch nie nachvollziehen können.

Die bayerische Staatsregierung lehnt Drogenkonsumräume ab. Haben Sie noch Hoffnung, dass sich das ändert?

Dahm: Wir wünschen uns sehr einen Drogenkonsumraum für Nürnberg. Das ist absolut überfällig. Bayern steht an der Spitze bei der Zahl der Drogentoten. Das hätten wir nicht nötig. Irgendwann wird es aber auch einen Konsumraum in Nürnberg geben. Die bayerische Staatsregierung wird sich nicht ewig spreizen können.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft von Lilith?

Dahm: Wir wünschen uns, dass wir unsere Arbeit mit Kindern ausbauen können. Denn wir haben in Nürnberg über 1000 Kinder, deren Eltern schwer opiatabhängig sind. Bei Liliput, unserem Projekt für Mutter und Kind, haben wir eineinhalb Sozialpädagoginnen-Stellen und eine halbe Erzieherinnen-Stelle. Die Mitarbeiterinnen kümmern sich um 150 Kinder und ihre Mütter. Wir hatten im letzten Jahr 70 schwangere Drogenkonsumentinnen bei uns. Das ist ein enormer Erfolg, aber unsere Sozialpädagoginnen stoßen an ihre Grenzen. Wir möchten uns auch gerne den ganz jungen Frauen zwischen 13 und 18 Jahren widmen. Denn wir machen die Erfahrung, dass illegale Substanzen von Jugendlichen ab zwölf Jahren vermehrt konsumiert werden – durch alle Schichten. Hier gibt es einen hohen Bedarf in Nürnberg und leider eine Lücke im Hilfesystem.

 

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