Mini-Computer helfen dem kranken Herzen auf die Sprünge

27.7.2018, 19:13 Uhr
Mini-Computer helfen dem kranken Herzen auf die Sprünge

© Foto: Roland Fengler

Wie funktioniert ein Herzschrittmacher?
Das etwa streichholzschachtelgroße Gerät ist ein Mini-Computer, der die elektrische Aktivität des Herzens überwacht. Wird der natürliche Herzschlag zu langsam und unregelmäßig, regt er durch elektrische Impulse die Herzmuskelzellen an.

 

Wer braucht einen Herzschrittmacher?
Menschen mit langsamen Herzrhythmusstörungen, die dadurch Ohnmachts- oder Schwindelanfälle bekommen. Wie Inge M. zum Beispiel. Ihr Puls machte manchmal lange Pausen. Ihr wurde dann schwindelig und etwas übel. "Ich hab das nie so tragisch genommen", erzählt die 80-jährige Nürnbergerin. Die Attacken traten nur selten auf, Untersuchungen beim Arzt blieben unauffällig. Seit diesem Frühjahr aber häuften sich die Aussetzer. Inge M. fuhr nicht mehr Auto und traute sich kaum noch aus dem Haus. Sie lebt im Seniorenstift.

Gleich gegenüber liegt das Martha-Maria-Krankenhaus. Kurz entschlossen meldete sie sich dort, als die Rhythmusstörung gerade wieder akut war. Ein glücklicher Zufall, denn diesmal wurde sie bewusstlos. 18 Sekunden, sagten ihr die Ärzte hinterher, hatte ihr Herz ausgesetzt. Schuld ist der sogenannte AV-Block (atrioventrikulärer Block); bei dieser Störung funktioniert die Reizübertragung von den Vorhöfen in die Herzkammern nicht. Schon zwei Tage später erholt sich Inge M. von ihrer Herzschrittmacher-OP. Von leichten Wundschmerzen abgesehen, fühlt sie sich gut – und erleichtert. "Ich denke, dass ich ab jetzt eine bessere Lebensqualität haben werde."

 

Was ist ein implantierbarer Defibrillator?
Der implantierbare Kardioverter-Defibrillator (ICD) ist ein Herzschrittmacher mit Zusatzfunktionen. Er schreitet bei schnellen Rhythmusstörungen ein. Diese werden rasch lebensbedrohlich: Kammerflattern und -flimmern (250 und mehr Herzschläge pro Minute) sind medizinische Notfälle; hier steht der Herz-Kreislauf-Stillstand kurz bevor. Der Defibrillator – etwas größer und schwerer als der Schrittmacher – reguliert den Takt mit Impulsen und, im Extremfall, mit Hochenergieschocks (siehe Artikel rechts).

 

Muss man einen Herzinfarkt gehabt haben, um eines der
Rhythmusgeräte zu brauchen?
Nein. Längst nicht jeder Infarkt schwächt den Herzmuskel so, dass man danach Rhythmusstörungen behält. Es gibt verschiedene andere Gründe dafür, dass die Erregungsleitung im Herzen dauerhaft gestört sein kann. Dazu zählen Entzündungen, angeborene Herzfehler oder Medikamente. Eine Rhythmusstörung allein ist auch noch kein Kriterium. Mit vielen Formen kann man gut leben. "Entscheidend ist, ob man Beschwerden hat und dass man das Problem nicht anderweitig beheben kann", erläutert Dr. Karsten Pohle, Chefarzt der Kardiologie am Krankenhaus Martha-Maria. Beim Herzschrittmacher ist die größte Patientengruppe älter als 70 Jahre – Hauptrisikofaktor ist also das Alter. Denn das Bindegewebe im Herzmuskel verändert sich mit den Jahren, Durchblutungsstörungen kommen dazu. "Das Leitungssystem geht mit der Zeit durch Verschleiß und Zivilisationskrankheiten einfach ohne fassbare Ursache kaputt", sagt Pohle.

Mini-Computer helfen dem kranken Herzen auf die Sprünge

© Foto: Roland Fengler

Beim Defibrillator verhält es sich anders. Seine Träger sind im Schnitt jünger. Ihr Herz zeigt eine stark verminderte Gesamtleistung. Oder sie haben schon einmal einen Herzstillstand überlebt, dessen Ursache nicht behandelbar ist. "Man muss diese Menschen dann vor einem weiteren so dramatischen Ereignis schützen", erklärt der Kardiologe. Trotzdem eigne sich längst nicht jeder Herzschwäche-Patient für den "Defi". Abhängig vom Allgemeinzustand und übrigen Erkrankungen erfordere hier jeder Einzelfall eine intensive Abwägung, ob so ein technischer Helfer das Leben überhaupt sinnvoll verlängern könne.

 

Wie gelangt so ein Rhythmusgerät in den Körper?
Das Einsetzen eines Schrittmachers erfordert eine Operation. Sie dauert, je nach Gerätetyp, zwischen einer Stunde und drei Stunden. Dabei reichen meist örtliche Betäubung und Dämmerschlaf aus. Die Operateure pflanzen das batteriebetriebene Kästchen unter die Haut unterhalb des Schlüsselbeins, meist auf der linken Seite. Der Batterieteil wird über die Blutgefäße durch eine, zwei oder drei Elektroden mit dem Herzen verbunden. Die meisten Patienten können am nächsten Tag entlassen werden.

 

Was prüft der NZ-Klinikcheck in diesem Zusammenhang?
Zu den Qualitätskriterien zählt unter anderem, ob die Geräte nur jenen Patienten verordnet werden, die in den ärztlichen Leitlinien dafür vorgesehen sind. Der Eingriff soll möglichst kurz dauern. Wenn es chirurgische Komplikationen gibt, wenn noch während des Krankenhausaufenthalts die Sonden verrutschen oder ausfallen, fällt das negativ ins Gewicht. Verrechnet wird im NZ-Klinikcheck auch die Patientenzufriedenheit. Sie liegt im Krankenhaus Martha-Maria, das zum gleichnamigen Diakoniewerk gehört, besonders hoch.

 

Wo liegen Gefahren bei Schrittmacher-OPs?
"Es handelt sich um einen sehr risikoarmen Eingriff mit Komplikationen im einstelligen Prozentbereich", sagt Chefarzt Pohle. Die mit Abstand häufigsten Probleme machen die Sonden, die vom Batterieteil zum Herzen führen. Sie können sich lösen, verrutschen, brechen, auch Jahre später. "Bei der Entwicklung kabelloser Modelle ist die Industrie ziemlich weit, das ist die Zukunft", sagt Pohle. Der erste Schrittmacher ohne Sonden ist bereits im Einsatz – allerdings derzeit nur als Einkammer-Typ, der nur für einen Bruchteil der Patienten infrage kommt. Auch der kabellose Defibrillator eignet sich derzeit erst für einzelne Betroffene.

 

Wie häufig werden die Geräte verordnet?
2016 bekamen 77 000 Menschen in deutschen Krankenhäusern erstmals einen Herzschrittmacher eingesetzt. 29 000 Menschen bekamen zum ersten Mal einen Defibrillator. Auffällig sind die Unterschiede bei den Geschlechtern. Während fast gleich viele Männer und Frauen einen Herzschrittmacher haben, macht der Anteil der Männer beim "Defi" 78 Prozent aus. Das liegt daran, dass sie weitaus häufiger von Herzschwäche und koronarer Herzerkrankung betroffen sind.

 

Was ändert sich durch einen Schrittmacher oder "Defi" im Alltag?


Wenig. Die Träger können, mit etwas Vorsicht, sogar Leistungssport ausüben. Nur Berufe mit Starkstrom und Magnetfeldern vertragen sich damit nicht. Im Normalfall reichen halbjährliche Arztbesuche zur Kontrolle aus. Gerade jüngere Patienten nutzen hier bereits Heimüberwachungssysteme, bei denen das Gerät Auffälligkeiten direkt an die Klinik funkt. Nach spätestens knapp zehn Jahren muss bei einer Folge-OP der Batterieteil ausgetauscht werden, beim Defibrillator schon früher.

Ein eigenes Kapitel ist das Lebensende. Ein Schrittmacher kann den natürlichen Tod nicht aufhalten. Ein Defibrillator wiederum lässt sich auf Wunsch des Patienten rechtzeitig deaktivieren.

 

Kann man Herzrhythmusstörungen vorbeugen?
Ja und nein. Alles, was man für die Herzgesundheit tut, verringert das allgemeine Risiko – also Bewegung, gesunde Ernährung, nicht rauchen, Bluthochdruck und Diabetes behandeln lassen. "Die Alterungsprozesse im elektrischen System des Herzens lassen sich jedoch nicht aufhalten", sagt Pohle.

Ein Video und alle Qualitätsindikatoren sind auf nordbayern.de zu finden sowie erhältlich unter   09 11/23 51-20 24.

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