12. März 1966: Letzter Weckruf an Wähler

12.3.2016, 10:50 Uhr
12. März 1966: Letzter Weckruf an Wähler

© Gerardi

Die Vorzeichen sind nicht allzu günstig, denn nicht einmal die drei großen Rathaus-Fraktionen hatten bei repräsentativen Kundgebungen die Säle füllen können. Die Redner kleinerer Gruppen waren oft allein auf weiter Flur, ganz ohne pp. Publikum.

Viele Kommunalpolitiker sehen ihre letzte Hoffnung in der Hilfe des Himmels: wenn Petrus weint, lachen die Parteivorstände, meinen sie. Die Kandidaten hatten es noch nie so schwer gehabt, das Wahlvolk auf die Beine zu bringen. Erst mußten sie warten, bis die Matadore des Faschings von der Bühne abgetreten waren und den Flitter weggeräumt hatten, danach gegen die gefürchtete Frühjahrsmüdigkeit anrennen. So sehr sie auch Dampfhammer-Schlagzeilen aushängen ließen, Gehirnschmalz verschwendeten und ihre Stimmbänder strapazierten, nicht immer zeitigten solche Kraftakte den erhofften Erfolg. "Die Versammlung in der Großstadt ist tot", lamentierte ein Wahlkampf-Stratege, der es hatte mit ansehen müssen, daß ein Aufgebot von vier Rednern einem allereinzigen Zuhörer gegenüberstand.

Schlechte Erfahrungen blieben selbst prominenten Stimmenfängern nicht erspart. Vizekanzler Dr. Erich Mende stand im Messehaus einer schütteren Zuhörerschaft Rede und Antwort und konnte sich vom Diskussionsleiter lediglich mit dem Hinweis trösten lassen, daß ihm am selben Abend das Fernsehen mit dem Fußballspiel Borussia Dortmund gegen Atletico Madrid die Schau gestohlen hatte. Bayerns Landesvater Alfons Goppel versprühte sein Rednertemperament vor einer halbleeren Meistersingerhalle, und einen Tag später durfte Münchens Oberbürgermeister Dr. Hans-Joachim Vogel an der gleichen Stätte den Blick auch nicht nach oben erheben, ohne von einem nackten Rang angestarrt zu werden.

Auf hoffnungslosem Posten

Die Mitmarschierer auf dem steinigen Weg ins Rathaus, die sich nicht zu den großen Drei zählen dürfen, sahen sich häufig selbst in Wirtshausnebenzimmern auf hoffnungslosem Posten. Die NPD mußte dabei erkennen, daß es leichter ist, mit Marschmusik die morschen Knochen zittern zu lassen, als auch nur einen Zuhörer hinter dem Ofen vorzulocken; sie gab im Endspurt bei den kleineren Veranstaltungen auf, nachdem ihr diese bittere Lehre zuteil geworden war.

Die Sozialdemokraten als Stadtratsmehrheit traten nicht nur optisch am stärksten in Erscheinung, sie fanden auch noch am wenigsten Grund zur Klage über den Versammlungsbesuch. Mit 10.000 Mitgliedern im Rücken konnten sie es sich leisten, zu 35 Veranstaltungen (vom politischen Frühschoppen bis zum Kaffeekränzchen der Frauen) zu laden und dennoch jeweils bis zu 80 und 100 Leuten zu begrüßen. Am erfreulichsten dabei empfand es Fraktionschef Willy Prölß, der zusammen mit Bürgermeister Franz Haas am häufigsten in die Arena trat, daß überall eine lebhafte Diskussion zustande kam und niemals gehässige Angriffe vorgetragen wurden.

Die Fragen aus dem Publikum

Die SPD erfuhr dabei wie die anderen Parteien auch, daß dem Bürger das Hemd näher ist als der Rock, der ungepflasterte Gehsteig näher als die große Finanzreform. Was den Laufamholzern beispielsweise die geplante Osttangente bedeutet, das sind für die Eisenbahner am Rangierbahnhof die möglichen Auswirkungen des Kanalhafens auf den Güterverkehr per Schiene. "Am meisten interessieren Verkehrsprobleme", erzählt Prölß, "weil sie heutzutage jeden betreffen."

Als Sprachrohr der CSU und unermüdlicher Verkünder der Verdienste seiner Partei in Bund und Land für Nürnberg wanderte Abend für Abend der Vorsitzende der Stadtratsfraktion, Dr. Oscar Schneider, von Saal zu Saal. Die Rathausopposition bezeichnete ihre Wahlkampagnen als Bürgerversammlungen, so daß sie sich auch eines beachtlichen Zulaufs erfreuen durfte. Die Töne der Diskussionsredner waren oft genug Musik in den Ohren der CDU-Kandiaten, denn sie bekamen so manche handfeste Beschwerde gegen die "rote" Stadtverwaltung zu hören.

Obwohl die Freien Demokraten als Konkurrenz zum heimischen Fernsehapparat den jüngsten Nürnberg-Film "Lebendiges Denkmal" vorzuführen versprachen, mußten sie keineswegs ihre gemieteten Räume anbauen lassen. Fraktionsvorsitzender Hans Bibel konnte sich selbst in seinem "Königreich" Mögeldorf darauf beschränken, an der Kaffeetafel Gespräche von Mann zu Mann oder Mann zu Frau zu führen. Aber ungebrochen wie Kommunalpolitiker nun einmal sein müssen, gab er auf jede Bürgerfrage eine Antwort. "Das teure Gas" fand ihn ebenso auf dem Posten wie die Schnellstraße, "die da hinten rumgeht".

Die FDP hatte vor jedem ihrer Auftritte in den einzelnen Stadtteilen (genau wie die anderen Parteien) Tausende von Einladungen in die Briefkästen versenkt, obschon sie bei ihrem individualistischen Anhang von vornherein nicht mit Massenandrang rechnete. "Der Bürger sitzt heutzutage lieber in Pantinen vor der Mattscheibe und besieht sich die Politik dabei aus der Ferne. Er hat dabei obendrein den Vorteil, abschalten zu können, wenn ihm das Programm nicht mehr paßt", sagt FDP-Geschäftsführer Rudolf Kaiser.

Eine Erkenntnis aber gereicht den Parteien aus früheren Kommunalwahlkämpfen zum Trost: vom Versammlungsbesuch her ist nicht auf das Interesse an der Wahl zu schließen. Und gerade dieses Mal hoffen sie, daß viele Nürnberger zu den Urnen gehen, damit sich nicht jene ins Rathaus einschleichen, denen zur Kommunalpolitik nichts Besseres eingefallen ist, als den Ausbau der Kongreßhalle zu fordern, weil sie vermutlich glauben, eine derartige Arena für Aufmärsche bald schon zu brauchen.

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