16. Juli 1964: Keine Bauten am Wöhrder See

16.7.2014, 07:00 Uhr
16. Juli 1964: Keine Bauten am Wöhrder See

© Gerardi

An den Ufern des künftigen Wöhrder Sees darf nicht gebaut werden. Sie sollen der Bevölkerung als Erholungsgebiet ungeschmälert erhalten bleiben.

Diesen Standpunkt von Oberbürgermeister Dr. Urschlechter setzte die SPD-Fraktion im Stadtrat gestern in einer Kampfabstimmung durch. Nach einem fünfstündigen, zeitweise turbulenten Ringen lehnte sie den Antrag von CSU und FDP ab, der sechsten Fakultät der Universität Erlangen-Nürnberg am Nordufer Bauland zu geben. Mit 20 gegen 25 SPD-Stimmen unterlagen die beiden bürgerlichen Parteien nach harter Schlacht.

Das Tauziehen der beiden interessierten Gruppen an dieser Entscheidung, Fakultät und Bund Deutscher Architekten, prägte auch die Stadtratsdebatte, in der die Professoren und Studenten verloren haben. CSU-Fraktionschef Dr. Schneider kennzeichnete das Ergebnis mit den Worten: „Die Chancen einer Fakultät am See sind ein- für allemal dahin; das unbebaute Gelände aber bleibt eine fortgesetzte Versuchung für die Phantasie der Architekten!“

Aus diesem Grunde pflichtete die CSU nach ihrer Abstimmungsniederlage sogar der Auffassung des Oberbürgermeisters bei, daß am See nicht gebaut werden darf. „Wenn schon keine Fakultät, dann gar nichts“, sagte sie sich. Zusammen mit der FDP lehnte sie jedoch Urschlechters Vorschlag ab, mit den Professoren über ein Gelände im Norden zu verhandeln. Beide Fraktionen möchten das Gespräch auf das ganze Stadtgebiet ausgedehnt wissen.

"Es rast der See . . ."

Nach wochenlangen öffentlichen Diskussionen über das Schicksal des geplanten Wöhrder Sees – ging der Stadtrat noch mit Humor an seine „epochale Entscheidung“ heran. Baureferent Heinz Schmeißner, der bis vor kurzem noch sein ganzes Gewicht für eine Fakultät am Nordufer in die Waagschale geworfen hatte, erzählte zum Anfang vom wohlmeinenden Wort eines Freundes: „Es rast der See, er will sein Opfer haben!“ Er fühlte sich jedoch nicht als Opfer, das untergehen sollte. Als schließlich aber die Fakultät  ins Wasser fiel, gab es keine solchen Scherze mehr. Die Fronten waren verhärtet; Argument stand gegen Argument.

16. Juli 1964: Keine Bauten am Wöhrder See

© Gerardi

Alle Sprecher warfen sich frühere Äußerungen vor, die den heutigen Worten widersprächen. „An dem Sachverhalt hat sich seit dem 5. Mai nichts geändert, als die Bürgermeister und Fraktionsführer im Beirat der Fakultät einstimmig billigten, Uni-Neubauten am Wöhrder See zu errichten. Damals hätte alle ihre Bedenken angesichts der Überzeugungskraft der Herren der Fakultät, von Baureferent Schmeißner und der Haltung des Oberbürgermeisters zurückgestellt“, sagte Dr. Schneider, Fraktionschef Hans Bibel (FDP) meinte: „Ich bin verwundert, daß nicht mehr gelten soll, was der Beirat in vielen Sitzungen beschlossen und dem Stadtrat vorgelegt hat!“

Oberbürgermeister Dr. Urschlechter hingegen berief sich auf ein Wort von Rektor Götz Freiherr von Polnitz, der erklärt haben soll: „Die Universität verschließt sich nicht dem Gedanken des Stadtrats, das gesamte Gelände des Talgrundes und des Wöhrder Sees als Erholungsgebiet freizuhalten, nachdem sie sich mit den Nürnberger Bürgern eng verbunden fühlt. Sie bringt jedoch nur Verständnis dafür auf, wenn andere Bauten ebenfalls nicht zugelassen werden!“ Das habe ihn (Urschlechter) zu seinem Antrag bewogen.

So blieb bis zuletzt die Frage unausgesprochen: wer hat wem was versprochen? Die Diskussion nämlich drehte sich vordergründig darum, ob über „das Gebilde 6. Fakultät mit Erweiterungsmöglichkeiten entschieden oder ein Standort bestimmt werden muß, wo künftig weitere Universitätsbauten untergebracht werden sollen“, wie Schmeißner formulierte. Genau dieses Problem machte dem Stadtrat die Wahl zur Qual, obwohl ihm der Baureferent bescheinigte, im Falle der Rathäuser, des Großmarkts und der Meistersingerhalle „nach reichlicher Mühe“ den richtigen Platz gefunden zu haben.

In Wort und Bild präsentierte er schließlich, welche Möglichkeiten für den Wöhrder See von verschiedenen Seiten ausgeknobelt worden sind. Das Nordufer wurde zuerst mit zwei 15stöckigen Türmen für die Fakultät präsentiert, die bei dieser Bauweise nur drei Hektar (2,6 v. H.) von der 115 Hektar großen Gesamtfläche des Talgrundes einnehmen soll. Dieser städtebauliche Akzent könnte die Lücke zwischen Prinzregentenufer und Bartholomäus-Schule wirkungsvoll schließen. Dem Bund Deutscher Architekten (BDA) zog Schmeißner den Zahn von Wohnhochhäusern mit dem Einwand: „Ich glaube, daß an dieser prominenten Stelle Bauwerke für Zwecke der Allgemeinheit stehen sollen. Aus dem Grün dürfen nicht Scheiben für einzelne herausgeschnitten werden!“

„Vorsicht mit Bauten!“

Mit einem Modellphoto, das mehr als 2000 Wohnungen in 20geschossigen Punkt- und 26stöckigen Hochhäusern nach dem ursprünglichen Plan des BDA in seiner Denkschrift „Schöneres Nürnberg“ zeigte, brachte Schmeißner sogar den Stadtrat zum Lachen. Der BDA hatte darum gebeten, dieses Bild nicht vorzuführen, war aber auf Granit gestoßen. Er ist inzwischen nämlich davon abgerückt, das Nordufer mit Bauten bepflastern zu wollen, rechnet sich aber Chancen für einige „markante Punkte“ aus.
Der Referent aber warnte: „Vorsicht mit Bauten am Rande!“ Das Geschenk, das die Stadt ihren Bürgern mit dem See machen wolle, sei viel mehr wert, als der Erlös für Grundstücke im Talraum. Es gehe darum, das Verhältnis von einer Hälfte Wasser und einer Hälfte Grün nicht zu stark zu stören. Ein Altmeister des Städtebaues habe gesagt: „Es ist viel leichter, eine Freifläche zu bebauen, als sie von Bebauung freizuhalten!“ Dem aber stehe der Vorschlag des BDA gegenüber.

In seinem Schlußwort hielt Schmeißner an seiner alten Idee fest: „Wenn sich die Bauaufgabe auf das Raumprogramm der Fakultät in einer stadtnahen, bedeutungsvollen und verkehrsgünstigen Lage konzentriert, empfehle ich das Nordufer des Wöhrder Sees!“ Er sei aber auch nicht unglücklich, wenn der Stadtrat auf Wetzendorf als Standort verweise. Eindeutig hingegen sprach sich Schul- und Kulturreferent Dr. Hermann Glaser für den Norden – das Knoblauchsland – aus.

Man müsse daran denken, daß der Neubau für 50 oder 100 Jahre geplant werden soll, vor allem wenn die Stadt Nürnberg weiter daran interessiert ist, Hochschulpläne anderer Art zu verwirklichen. Der Norden sei außerdem nicht stadtfern, so daß Professoren und Studenten nicht abgekapselt oder gar dem geistigen und kulturellen Leben entfremdet würden. „Es ist unmöglich, die künftige Entwicklung der Fakultät zu begrenzen, wie dies im Tal geschehen muß“, erklärte Glaser. Er gestand aber selbst: „Meine Gesichtspunkte werden von Fakultät und Universität nicht als bedeutsam erachtet!“

Schmeichelhafteres wußte der Oberbürgermeister von den Professoren zu berichten, denen er sogar für das gemeinsame Ringen um die bestmögliche Lösung dankte. Ob sie ihm freilich dafür danken, muß sich herausstellen, denn im nächsten Atemzug schon sprach er von den Wünschen der Bevölkerung, das Erholungsgebiet am See freizuhalten. Dr. Urschlechter konnte sich dabei auf einen Stadtratsbeschluß vom Oktober 1959 berufen. Und er formulierte daraus den Antrag, „daß das Gelände der Wöhrder Wiese sowohl ostwärts als auch westwärts des Wöhrder Talüberganges nicht als Baugelände ausgewiesen wird“.

SPD folgt dem Oberbürgermeister

Die Verwaltung hatte gesprochen. „Es lächelt der See, er ladet noch nicht zum Bade, aber zur Diskussion“, meinte Schmeißner. Er sollte sich noch wundern, wie hoch die Wogen gehen würden. Um sie einigermaßen wieder zu glätten, mußte der Oberbürgermeister zweimal sogar zur Glocke greifen, die sonst nur höchst selten erklingt.
Bei SPD-Fraktionsführer Willy Prölß, der ihm das Wort redete, hatte er natürlich keinen Grund dazu. Auch er sprach von Zuschriften aus der Bevölkerung, die sich „energisch für das Erholungsgebiet im Talraum“ einsetzt. Dennoch gehe es nicht darum, für oder gegen die Fakultät zu entscheiden, sondern die großzügigste Lösung zu finden.

„Es ist bedenklich, wenn man schon jetzt in die Höhe bauen muß, weil andere Pläne im Tal nicht in die Tat umzusetzen sind!“ Prölß bezweifelte, daß Schmeißners Rechnung von nur 2,6 v. H. Bauland für die Fakultät am See stimmt. Ziehe man die Wasserfläche ab, so seien es 4,6 v. H., im stadtnächsten westlichen Teil sogar 15 v. H. des gesamten Grüngeländes. „Da soll man aber am ehesten auflockern!“

„Eine Planung für die Zukunft hat sich immer schon bewährt“, erklärte der SPD-Sprecher. Die Fakultät selbst habe es erfahren, wie schnell Überlegungen von der Entwicklung überrollt werden. Hätte man vor einem Jahrzehnt ihren Aufschwung vorausgeahnt, wäre sie nicht wieder in der Findelgasse errichtet worden. Der Norden biete sich auch schon deshalb an, weil es hier baureifen Grund gibt, während im Wöhrder Tal darauf noch mindestens acht Jahre gewartet werden müßte. „Mit einem Gelände, das schnell bebaut werden kann, ist der Fakultät mehr gedient, denn sie platzt jetzt schon aus allen Nähten!“
Prölß erinnerte daran, wie oft sich in letzter Zeit die Studenten eine bessere Verkehrsverbindung nach Erlangen gewünscht haben, in Wetzendorf sei sie gegeben. „Wenn wir uns für einen nördlichen Bauplatz entscheiden, unterstreichen wir auch den geistigen Zusammenhang mit der Universität!“
Zu anderen Ufern strebte der Vorsitzende der CSU, Dr. Oscar Schneider. „Wir glauben, daß der Standort für die 6. Fakultät am Wöhrder See im Interesse des Städtebaues und des kulturellen Lebens, der Bevölkerung und der Fakultät richtig ist“, sagte er. Niemand dürfe behaupten, wer für die Neubauten im Tal spreche, sei gegen das Erholungsgebiet. Den Vorschlag des Oberbürgermeisters nannte er eine „Pseudo-Alternative“, denn sie lasse dem BDA alle Wegen offen und verhindere nicht, daß dort gebaut wird. „Auf einer solchen Grundlage dürfen wir nicht beschließen!“

Schneider wandte sich gegen eine Lösung im Norden, denn „wir haben schon die Akademie der Bildenden Künste in den Wald hineingebaut, daher spielt sie für das kulturelle Leben Nürnbergs keine Rolle“. Die SPD versuchte er mit dem Hinweis zu treffen, selbst Sprecher der Gewerkschaften hätten sich für den Wöhrder See als Standort ausgesprochen, weil hier alle wichtigen Voraussetzungen gegeben seien. Der CSU-Fraktionschef bezeichnete es als utopisch, daß sich Nürnberg neue Fakultäten aus Erlangen erhofft.

CSU und FDP auf einer Linie

Der Oberbürgermeister habe noch am 5. Mai selbst gesagt, es gebe im Zeichen des Großraums kein neidisches Schielen auf den Konkurrenten Erlangen; was Universität Erlangen-Nürnberg heißt, gehöre zu uns, ob die Gebäude hier oder dort stehen. Er warf Dr. Urschlechter weiter vor, das Wort des Rektors aus dem Zusammenhang gerissen und ihm damit eine „schiefe Perspektive“ gegeben  zu haben. Bis zuletzt blieb Schneider gegen den Plan des Stadtoberhauptes – Ufer ohne Bauten – skeptisch: „Was wir im Stadtrat beschließen, hat keine Ewigkeitsdauer!“

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