19. August 1965: Lennart und Mauro Hand in Hand

19.8.2015, 07:00 Uhr
19. August 1965: Lennart und Mauro Hand in Hand

Drei Wochen lang arbeitet sie ebenso wie die anderen Schüler und Studenten freiwillig in den Städtischen Krankenanstalten – für ein Dankeschön, gutes Essen und anständige Behandlung. Das lustige Völkchen schält Kartoffeln und putzt Gemüse, hilft im Lebensmittellager und harkt im Garten. Das Krankenhaus freut sich über diese arbeitenden Gäste, denn sie füllen Personallücken in der Urlaubszeit.

Mit der Gruppe, die nun seit zweieinhalb Wochen – letztlich zum Segen der Patienten – anpackt, können die Krankenanstalten ein kleines Jubiläum feiern. 200 junge Leute sind in den letzten fünf Jahren aus ganz Europa in den Klinikkomplex an der Flurstraße gekommen und haben gezeigt, daß es auf dieser Welt auch noch Idealisten gibt. Das Zusammensein mit Buben und Mädchen anderer Sprache und Herkunft ist ihnen mehr wert als eine prallgefüllte Lohntüte. Bei dieser Art der Völkerverständigung stellt nicht einmal mehr der „Eiserne Vorhang“ ein Hindernis dar, wie das Beispiel von Ludmilla und Miloslav aus Brünn (CSSR) beweist; die Tschechen machen heuer zum ersten Male mit.

Es ist ein Verdienst der Internationalen Jugendgemeinschaft Frankfurt, daß solche nützlichen „Lager“ ein Treffpunkt für die Jugend werden. Da stapelt der blonde Schwede Lennart aus dem hohen Norden mit dem Italiener Mauro ausdem sonnigen Süden Büchsen, dort arbeiten der Franzose Jean aus Bordeaux mit dem Tschechen Miloslav Hand in Hand. In der Küche sitzen Karin und Elisabeth aus Schweden neben der Holländerin Anemone und der Französin Suzanne beim Kartoffelschälen, ohne die zarten Hände zu schonen. Die Studenten und Schüler, die entweder Sprachen erlernen oder dereinst den Lehrerberuf ergreifen wollen, stammen meinstens aus gutsituierten Familien.

Nur die besten Erfahrungen . . .

Dennoch ist ihnen keine Arbeit zu schmutzig oder zu lästig. „Wir haben mit diesen jungen Leuten die besten Erfahrungen gemacht, und offenbar auch sie mit uns, denn manche von ihnen kommen schon zum dritten oder zum vierten Mal“, meint Oberinspektor Leopold Hanka von der Wirtschaftsabteilung der Krankenanstalten. In jedem Sommer der vergangenen fünf Jahre hat es dieses internationale Stelldichein gegeben, offensichtlich zur Freude aller. „Wir hoffen, auch 1966 wieder nette Buben und Mädchen zu kriegen“, sagte heute schon Hanka.

Die Stadt Nürnberg ist freilich nicht daran interessiert, die willigen Jugendlichen auszunutzen, sondern bemüht sich, sie Land und Leute kennenlernen zu lassen. Inspektor Manfred Pregler hat dafür gesorgt, daß die Gäste aus ihren hübschen vier Wänden im Hochbunker hreausgekommen sind, wenn sie ihr Pensum von 35 Arbeitsstunden in der Woche hinter sich gebracht hatten. Der Tiergarten, das Fembo-Haus, das Germanische Nationalmuseum, das Albrecht-Dürer-Haus und sogar das Reichsparteitagsgelände gehörten ebenso zu ihren Ausflugszielen in der Stadt wie Industriebetriebe und auch noch eine Tanzbar.

Der Abschied wird versüßt

Das „rauschende Ende“ ihres Aufenthalts (sie fahren am Freitag heim) begann gestern abend mit Besuchen in typisch deutschen Familien. Heute dürfen sie einen Ausflug zum Fliegerhorst Roth und – auf Kosten des Personalrats – eine „Fahrt ins Blaue“ machen. Der Abschied wird ihnen morgen mit Kaffee und Kuchen versüßt. Und wenn sie wieder in der Heimat sind, dann können die Buben und Mädchen im Alter zwischen 16 und 20 Jahren von vielen Erlebnissen erzählen, aber sie dürfen auch stolz auf ihre Leistung sein.

Vielleicht wird Ludmilla, die in Brünn Englisch und Deutsch studiert, ihren tschechischen Freunden und Bekannten zu berichten wissen, daß „die im Westen“ gar nicht so sind, wie sie oft dargestellt werden. Ihr erklärtes Ziel bei diesem Besuch war es schließlich gewesen, andere Menschen zu treffen und mit eigenen Augen zu sehen, wie die Leute hier leben. Auf die Frage, ob die Ausreise für sie nicht eine schwierige Hürde dargestellt habe, sagte Ludmilla mit strahlenden Augen: „Wir sind eine glücklichere Generation!“

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