2. Januar 1962: Zehn laute Minuten um Mitternacht

2.1.2012, 06:59 Uhr
2. Januar 1962: Zehn laute Minuten um Mitternacht

© Ulrich

   Zumindest für Minuten waren die „ungewissen Gefühle“, mit denen man das 17. Friedensjahr nach dem letzten Krieg erwartete, vergessen und umgewandelt worden in unbeschwerte Stimmung.

Das offenbarte sich so gut wie jedem Nürnberger in seiner Wohngegend, bei zahlreichen „Parties“, zu denen diesmal Freunde und Bekannte eingeladen worden waren oder aber auch in wohlvorbereiteten Hotels und Gaststätten sowie in den Gotteshäusern, die zahlreiche Besucher hatten.

2. Januar 1962: Zehn laute Minuten um Mitternacht

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Wenige Minuten vor Mitternacht – von einigen vorschnellen „Kracher-Liebhabern“ abgesehen – erklomm die Freude über das bevorstehende fröhliche Ereignis seinen Höhepunkt: ganz Nürnberg stand in bunten „Flammen“; am Himmel zeichnete sich eine kühne Farb-Palette ab, die vom gleißenden Grün bis ins leuchtende Lila reichte. Es krachte, surrte und pfiff wie noch nie; die schwerverdiente D-Mark wurde mit leichter Hand in die Luft geschossen.

2. Januar 1962: Zehn laute Minuten um Mitternacht

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„Prosit Neujahr!“ Ungezählte Wünsche wurden gewechselt – bei Glockenschlägen, Gläserklang und Küssen. In diesen 60 Sekunden lag „alles drin“ - oder auch nichts. Das mag sich herausstellen in den nächsten 364 Tagen, für die man – beim letzten Handschlag am letzten Jahrestag des alten Jahres – sich meist nur „Gesundheit!“ zurief. „Dass wir an jedem Morgen wieder aufstehen können, das ist das Wichtigste!“, sagte eine Geschäftsfrau zu einer Kundin. „Alles andere packen wir schon!“

Die Mehrzahl der Großstädter hat 1962 in diesem Sinne begonnen. Einige jedoch zogen gerade über diesen Kalenderjahr-Wechsel den „Schwarzen Peter“. Polizei, Sanitäter und die Feuerwehr führten darüber Buch. Dennoch kamen die meisten von ihnen noch mit dem blauen Auge davon.

2. Januar 1962: Zehn laute Minuten um Mitternacht

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Am allerschwersten betroffen wurde ein 26-jähriger Arbeiter aus Kronach, der am letzten Tag des alten Jahres in einer Unterkunft im Süden der Stadt so unglücklich ausrutschte, dass er die Kellertreppe hinunterstürzte und sich die Halswirbelsäule brach, und ein Artistenehepaar, dessen einjähriges Kind am Sonntag im Bett erstickt war.

Der Kronacher Arbeiter war morgens von Hausbewohnern im Kellereingang eines Anwesens in der Schnorrstraße tot aufgefunden worden. Die Polizei ermittelte, daß der Mann durch Glatteis zu Fall gekommen war. Der Vater des toten Kindes hatte am Neujahrsmorgen, von einer Silvesterfeier heimgekehrt, das Mädchen aus dem Kinderbett herausgenommen und neben sich gelegt. Als die Frau gegen 7.30 Uhr aufwachte, fand sie das Kind tot vor; es lag mit dem Gesicht auf dem Kopfkissen und dürfte dadurch erstickt sein.

2. Januar 1962: Zehn laute Minuten um Mitternacht

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Aber auch auf andere Weise haben mehrere Menschen den Jahreswechsel in schlechter Erinnerung; bei allein fünf Überfällen wurden feierfreudige Personen entweder bestohlen oder verletzt. Am Samstagmorgen wurde im Stadtpark eine 62-jährige Reinemachefrau von einem Unbekannten niedergeschlagen, beraubt und – nachdem er sich an ihr vergehen wollte – nach ihren Hilfeschreien liegengelassen. Er entkam ebenso wie ein Messerstecher, der am gleichen Tag gegen 21 Uhr im Hinterhof einen 26-jährigen Transportarbeiter grundlos angefallen hatte. In dem darauf entstehenden Handgemenge erhielt der Arbeiter einen Stich in die linke Bauchseite.

Schwer heimgesucht wurde auch ein amerikanischer Tourist, der an Silvester, wenige Meter von seinem Hotel entfernt, von bisher unbekannten Räubern überfallen und zu Boden geschlagen worden war. Die Täter stahlen ihm eine Brieftasche mit Reiseschecks und Bargeld in noch nicht ermittelter Höhe. Der verletzte Amerikaner musste in eine Klinik eingeliefert werden.

Glimpflicher kam in der Breiten Gasse am gleichen Tag ein 56 Jahre alter Mann davon. Er war von einem Unbekannten angerempelt und niedergeschlagen worden. Als er wieder zu sich kam, fehlte seine Armbanduhr. Von hinten angesprungen wurde eine 56-jährige Frau auf einem Parkplatz am Bahnhof; ein fremder Mann entriss ihr die Handtasche mit 20 Mark.

Außerdem gab es aber auch mehrere Streitereien in den ersten Stunden des Neujahrs: in einem Lokal am Marientorgraben mussten nach einer Auseinandersetzung zwischen mehreren Gästen ein Mann und eine Frau, durch Messerstiche verletzt, ins Krankenhaus gebracht werden; in einer Gaststätte am Maxfeld prügelten sich der Wirt und ein Gast, wobei beide durch Glassplitter leicht verletzt wurden und schließlich schoß am Tiergärtnertor ein Betrunkener mit einer Gaspistole auf einen Passanten. Sanitäter brachten ihn mit einer Halsverletzung ins Krankenhaus. Bei weiteren Schlägereien und Familienstreitigkeiten nahm die Polizei in der Silvesternacht vier Männer zur Ausnüchterung in Haft.

Feuerwehr und Polizei notierten noch folgende Ereignisse: aus einem Fahrstuhl in einem Haus in der Bestelmeyerstraße befreiten die Wehrmänner drei Personen; sie waren in dem Aufzug fast eine Stunde lang steckengeblieben. Von der Agnesbrück stürzt ein Passant in die Pegnitz; Fußgänger, die seine Hilferufe gehört hatten, zogen ihn aus dem Wasser. In einer Gaststätte im Tiergarten fiel ein Hund einen 14-jährigen Kochlehrling an und biß ihn in Gesicht und Unterarm.

Schließlich weist die Unfallstatistik der Polizei über das Wochenende 26 Verkehrsunfälle aus, bei denen 20 Personen mehr oder weniger schwer verletzt worden sind.

Trotz dieser betrüblichen Begebenheiten hat das alte Jahr für den überwiegenden Teil der Bevölkerung einen besinnlichen und ruhigen Abschluss gefunden. Das neue Jahr wurde so anteilnehmend begrüßt, daß die Großstadt bis in die Morgenstunden von 1962 nicht zum Schlafen kam.

Aus den Nürnberger Nachrichten vom 28. Dezember 1961

 

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