Ein Naturtalent sahnt ab

5.1.2011, 21:42 Uhr
Ein Naturtalent sahnt ab

© Harald Sippel

Offenbar ist Gina ein Naturtalent. Doch welche Talente in ihr schlummerten, war der 25jährigen Thüringerin anfangs nicht bewusst. Erst hatte sie eine Ausbildung zur Fremdsprachenkorrespondentin absolviert (Spanisch und Englisch), dann eine Hauswirtschaftliche Lehre in Neumarkt. Bügeln, Putzen, Reißverschlüsse einnähen – und Kochen. „Ich dachte eigentlich, Kochen muss ich nicht unbedingt; aber dann habe ich in Neumarkt entdeckt, dass mir das total gefällt“, staunt Gina.

Die Schule in Neumarkt wird von den Niederbronner Schwestern geleitet, die auch das Theresienkrankenhaus in Nürnberg regieren. Also vermittelten die Schwestern Gina in die Krankenhausküche, sehr zur Freude des Küchenchefs Rainer Sonnauer, der über Ginas hohe Motivation Preislieder anstimmt.

Dabei macht es statusgemäß keinen Unterschied, ob ein Koch-Azubi seine Ausbildung in einer Kantine, einem Restaurant oder in einer Krankenhausküche absolviert. Kulinartechnisch allerdings schon: „Die Ausbilder haben hier mehr Zeit, sich um den Azubi zu kümmern“, beobachtet Gina. Und die Zeit nimmt sich Sonnauer. „Wir können mehr Grundlegendes vermitteln, und wir haben eine andere Routine als das Restaurant. Im Gasthaus ,Zum glücklichen Knochen‘ lernen wir nicht unbedingt, einen Hummer zuzubereiten. Im Krankenhaus hast du einen festen Zeitplan und eine feste Anzahl von Portionen. Im Restaurant wartest du, bis der Gast kommt. Das heißt, du bereitest einiges vor – und dann kommt vielleicht keiner. Oder es kommt eine ganze Busladung auf einmal.“

Konkret sieht Ginas Arbeit so aus: 5.50 Uhr Dienstantritt, Vorbereitung des Kochplatzes, und dann: 300 Frühstücke, 450 Mittagessen und 300 Abendessen. Natürlich nicht allein, insgesamt werkeln vier Köche, eine Konditorin, eine Hauswirtschaftsmeisterin, eine Diätassistentin, zwei Azubis und 21 Hilfskräfte in der Küche. Versorgt werden sowohl die Patienten, als auch das Personal.

Natürlich durchläuft Gina Geigenmüller sämtliche Stationen, und lernt dabei die Feinheiten der Diätkost kennen: Patienten mit Unverträglichkeit auf Gluten und Milchzucker gilt es zu versorgen. Für Dialysepatienten kocht sie das Gemüse auf, schüttet ab, kocht nochmal auf und schüttet wieder ab, bis sie Kalium und Sorbit auf ein verträgliches Maß reduziert hat.

Um 14.30 Uhr ist Dienstschluss. Aber dann besucht Gina Geigenmüller die Berufsschule 3 und kocht weiter, experimentiert und bereitet sich auf die Wettbewerbe vor. Eine Goldmedaille bei der Intergastra, den ersten Platz bei der Rewe-Pokal-Landesausscheidung, eine weitere Goldmedaille auf der INOGA in Erfurt, die Nürnberger Stadtjugendmeisterschaft und den Fischpokal hat sie bereits errungen. Die Spielregeln sind klar: Jeder Teilnehmer erhält einen Warenkorb, aus dem er ein Vier-Gänge-Menu seiner Wahl für acht Personen zaubert. Bewertet wird die Organisation der Zubereitung, die möglichst restlose Verwertung der Zutaten, natürlich die Qualität des Essens – und die Abwechslung. „Man kann aus ein paar Äpfeln einen Apfelstrudel zaubern“, erzählt Gina, „oder auch viererlei Dinge. Etwa Apfel-Zimt-Eis, Calvados-Schaum, einen kleinen Apfelkuchen, und eine Holunder-Apfel-Sauce.“ Wenn man dann noch im Zeitplan von fünf Stunden bleibt, hagelt es Pluspunkte. „Ich habe im Kochen das gefunden, was ich mein Leben lang tun wollte“, strahlt Gina. „Das ist Glück pur.“

Vielleicht auch die Gnade der späten Geburt. Als ihr Chef Rainer Sonnauer 1979 lernte, herrschte noch ein ganz anderer Umgangston: „Der war ziemlich rustikal. Als Lehrling wurdest du voll ausgenutzt. Wehe, deine Mütze war zu hoch! Und die Hälfte der Köche waren Alkoholiker. In die Zeitung kamen die höchstens, wenn sie die Küche in die Luft jagten. Und manch einer hatte sein Geheimrezept, das hat er niemand verraten. Der hat dann nachts um eins die Pasteten gebacken, damit bloß keiner die Rezeptur mitbekam. Und erst die Hierarchie! Eines Abends, Anfang der Achtziger, ging ich mit den Kellnern einen trinken. Am nächsten Morgen wurde ich zum Meister zitiert: ,Was geben Sie sich eigentlich mit Kellnern ab?‘ Für den Chef kamen Kellner gleich nach den Kakerlaken. So war das vor 30 Jahren!“

Solche Erfahrungen prägen. Dann wird man entweder genauso wie die Lehrmeister. Oder man schlägt den entgegengesetzten Weg ein. Rainer Sonnauer hat große und kleine Lokale kennengelernt, in der Meistersingerhalle gearbeitet und in Sternelokalen. Seit 14 Jahren arbeitet er im Theresienkrankenhaus, seit vier Jahren als Herr der Küche. Da er dort Zeit hat, kümmert er sich um seine Azubis, und ist glücklich, wenn Neulinge ihm Löcher in den Bauch fragen oder er mit motivierten Lehrlingen wie Gina herumexperimentiert. So bleibt die Freude an der Arbeit erhalten.

Wie macht sich der Nachwuchs? „Viele junge Leute kommen mit falschen Vorstellungen“, schüttelt Sonnauer das Haupt, „die meisten sehen den Schubeck im Fernsehen, und sind dann ganz verblüfft, wenn sie selbst die Kartoffeln schälen und den Kochplatz putzen sollen.“ Kochen ist ein Beruf, der körperlich, geistig und seelisch stresst. „Du kommst nachts aus der Küche raus, und weißt noch ganz genau, was Tisch Zwölf geordert hatte. Du bist geistig immer noch hochkonzentriert und kannst nicht abschalten. Dann liegst du wach, oder du schüttest dich zu. Du stinkst nach Fett, und irgendwann reicht deine Frau die Scheidung ein.“

Obwohl mindestens so viele Mädchen wie Buben das Kochen lernen, halten auf die Dauer mehr Männer durch. „Ich kenne Frauen, die mehr aushalten, als so mancher Kollege“, beobachtet Sonnauer. „Aber die Frauen stellen sich halt schon mit Mitte Zwanzig die Frage: Soll ich das so weitermachen, oder kümmere ich mich lieber um meine Familie?“

Doch um Gina Geigenmüller macht sich Sonnauer keine Gedanken. „Die liebt ihren Beruf!“ Und Gina freut sich auf den nationalen Rewe-Pokal-Wettbewerb in Mainz. „Der Sieger darf für ein Jahr nach Rhode Island. Das ist in der Hotelfachschule die Creme de la Creme. Das ist mein Traum. Und sollte es nicht klappen, dann sehen wir weiter.“

Der Dank der Patienten ist Gina Geigenmüller gewiss. Immer wieder trudeln Dankesbriefe in der Küche ein. Übrigens: das Käserahmschnitzel im Theresienkrankenhaus war köstlich! Das war fast schon einen Beinbruch wert.

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