Eine makabre Antikriegsburleske an ungewohntem Ort

3.4.2012, 07:30 Uhr
Eine makabre Antikriegsburleske an ungewohntem Ort

© Uwe Niklas

Wie gedenkt man der Kriegstoten? Mit schweren Kränzen, Schleifchen drum und Leichenbittermiene. Und den üblichen Schwüren, dass sich so was nie, nie wieder wiederholen werde. Und schon gar nicht unter deutscher Beteiligung.

Wie aber gedenkt man aller Kriegstoten? Von allen Kontinenten und aller Zeiten? Da wird die Sache schon schwieriger, denn Zeit und Raum entheben die Lebenden der persönlichen Verantwortung. „Meine Last ist zu schwer, als dass ich sie tragen könnte“, klagte schon Kain in der Genesis. Wie dann erst die Last von Millionen Kriegsopfer?

Einer, der das versucht – und diesen Versuch als zum Scheitern verurteilt darstellt – ist „Tzaddhik“. Ein Tzaddhik gilt in der hebräischen Mythologie als einer von 36 Gerechten in jeder Generation, die Gott durch ihr Verhalten bezeugen, dass die Menschheit doch noch nicht ganz verkommen sei. Der Tzaddhik aber, der in Gestalt des Schauspielers und Autors Terry Swartzberg die neue Trauerhalle im Westfriedhof zur Theaterbühne umfunktioniert, erlebt seit Anbeginn der Menschheit (also laut jüdischem Kalender seit 5772 Jahren) Krieg, Mord und Totschlag.

Ihn begleiten ein Rabbi, ein Chronist, ein Kibbuzim sowie eine Frau, die ebenfalls alles mitgemacht haben. Und während der Chronist sämtliche Kriege aufzählt, die in den Jahren 1850 bis 1860 stattgefunden hatten, erprobt die Truppe (und mit ihr das eher spärliche Publikum) sämtliche Reaktionsweisen der Betroffenheit, Aneignung und Verdrängung.

Die reichen vom religiös-symbolischen „Mea culpa“ über die Betroffenheitsfloskel „es tut uns leid“ bis zur masochistischen Selbstanklage „wir sind alle schuldig“, oder bis zum hysterischen Gelächter und zur endlosen Klagelitanei. Und das Publikum, das Swartzberg/Tzaddhik ständig direkt anspricht, nimmt den Sprechchor gerne auf.

„Tzaddhik“ ist ein Einakter in sechs Szenen, eine Kriegsburleske, die mal grobschlächtig, mal hintersinnig die Formen der Trauerarbeit befragt. Zu seiner Strategie gehört, dass Swartzberg und seine Mannen den Bühnen den Rücken kehren und lieber durch Aussegnungshallen, Krematorien und KZ-Außenlager touren. Durch Orte also, die den Besucher von vornherein niederdrücken, ihn in eine tragische Grundhaltung zwingen. Umso irrwitziger bricht sich das Gelächter Bahn, selbst wenn ein Katafalk auf offener Bühne an den Ernst des Ortes gemahnt.

Am Ende bleibt als Quintessenz des Krieges der Dreiklang „Furcht – Kampf – Vergessen“. Die Furcht vor dem Feind verleitet zum Präventivkrieg; nach dem Blutvergießen setzt das Gedenken und damit das Vergessen/Verdrängen der eigentlichen Ursache ein. Womit der Weg zur Neuauflage vorgezeichnet ist. Klingt ein bisschen schlicht. Aber ist es deswegen unwahr?
 

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