In Hitlers Gunst und Streichers Schatten

27.2.2010, 00:00 Uhr
In Hitlers Gunst und Streichers Schatten

© Stadtarchiv

NZ: «Hitlers liebster Oberbürgermeister» lautet der Titel ihres Vortrags. Wie ist Adolf Hitlers Sympathie für Liebel zu erklären?

Braun: Zum einen war Liebel ein alter Parteigenosse, der seit Anfang der 20er Jahre in der völkischen Bewegung aktiv und seit 1925 – mit einer kurzen Unterbrechung – Parteimitglied war. Zum anderen war Liebel nach 1933 als OB sehr bemüht, Hitlers Wünsche – zum Beispiel, was den Ausbau des Reichsparteitagsgeländes betrifft – zu erfüllen. Hitler hatte eine sehr hohe Meinung von Liebel. Es ist auch durch den Nürnberger Journalisten Karl Stauder eine Aussage überliefert, wonach Hitler Liebel als «besten deutschen Oberbürgermeister» bezeichnet haben soll.

NZ: Dennoch ist Liebels Leben weitgehend unerforscht. Liegt das daran, dass er bei den Historikern im Schatten Streichers steht?

Braun: Das kann man sagen. Was die Erforschung des Nationalsozialismus in Nürnberg betrifft, gibt es bestimmte Themen, die im Vordergrund stehen. Das sind Julius Streicher, der «Stürmer», natürlich auch das Reichsparteitagsgelände. Liebel kommt aber auch deshalb zu kurz, weil man bis vor kurzem noch davon ausging, dass ein Oberbürgermeister und eine Stadtverwaltung in einer Diktatur wie dem Nationalsozialismus nur wenig Entscheidungsbefugnisse hatten. Das trifft auf Liebel aus verschiedenen Gründen nicht zu. Ein Grund ist die Bedeutung Nürnbergs für die Nationalsozialisten, ein anderer ist die Person Liebels, der diese Bedeutung der Stadt auszunutzen wusste.

NZ: War Liebel ein fanatischer Nazi?

Braun: Liebel war überzeugter Nationalsozialist. Er sympathisierte auch sehr früh mit Hitler. Ihn kennzeichnet aber ein anderer Antisemitismus als zum Beispiel Streicher. Während Streicher dieses sexualpathologische Element in den Vordergrund stellt – ein Stichwort ist die Rassenschande – ist es bei Liebel ein wirtschaftlicher Antisemitismus. Was die Ausschaltung der jüdischen Deutschen aus der Wirtschaft betrifft, äußert sich Liebel sehr deutlich. Liebel als exemplarischer Mittelständler spricht in Nürnberg auch Anhängerschaften an, die Streicher nicht erreichen konnte. Da gibt es eine Arbeitsteilung.

NZ: Einerseits Arbeitsteilung, aber andererseits konnten die beiden doch auch nicht sonderlich miteinander?

Braun: Das Verhältnis ist Wechselfällen unterworfen. Liebel druckte seit 1929 Streichers Hetzblatt, den «Stürmer». Es kam aber vor allem nach 1933 zu Differenzen, als es Versuche gab, von der Gauleitung aus auf die Stadtverwaltung Einfluss zu nehmen. Streicher war Liebel auch zu sozialistisch eingestellt.

NZ: Liebel hatte eher einen großbürgerlichen Hintergrund.

Braun: Die Familie war in Nürnberg alteingesessen und hatte seit 1882 eine Druckerei, die in Nürnberg sehr bekannt war.

NZ: War er populär in der Bevölkerung?

Braun: Bei Nürnbergern, die nicht von Repressionen betroffen waren, war er durchaus beliebt. Er hat Nürnberg nach 1933 wieder international bekanntgemacht und er hat die Stadt nach außen hin in vielen Gremien repräsentiert. 1938 gelang ihm zudem mit der Rückführung der Reichskleinodien ein kommunalpolitischer Coup. Und er konnte die Stadtverwaltung gut organisieren. Allerdings war er ein eher mäßiger Redner.

NZ: Wie kam Liebel in Nürnberg an die Macht?

Braun: Es fing damit an, dass der bis dahin amtierende demokratische OB Hermann Luppe Mitte März in Schutzhaft genommen wurde. Ende März 1933 wurde mit dem ersten Gleichschaltungsgesetz vorgeschrieben, dass die Stadt- und Gemeinderäte von der Mandatszahl her dem hiesigen Reichstagswahlergebnis angepasst werden sollen. Die NSDAP schoss daher im Stadtrat von bisher acht Sitzen auf 21 hoch, die SPD stürzte von 21 auf 16 ab. Daher lief Liebels Wahl zum OB am 27. April zwar korrekt ab, die Sitzverteilung war es aber nicht. Mit Ausnahme der SPD stimmten alle Parteien im Stadtrat für Liebel, die KPD-Räte waren zu diesem Zeitpunkt schon ausgeschlossen.

NZ: Am Ende seiner Amtszeit hat Liebel den Nürnbergern sogar noch einen Dienst erwiesen.

Braun: Sie spielen auf Hitlers sogenannten Nero-Befehl an, der vorsah, dass den anrückenden Angreifern nichts mehr übrig gelassen werden sollte. So sollten die Städtischen Werke zerstört werden. Darüber kam Liebel in Streit mit Streichers Nachfolger Karl Holz, der diesen Befehl ausführen wollte, Liebel hat sich dagegen gewandt.

NZ: Wie kam Liebel am 20. April 1945 ums Leben?

Braun: Die wahrscheinlichste Variante ist der Selbstmord. Das Gerücht, dass Streicher ihn ermordet hat oder ermorden ließ, ist mit Sicherheit falsch. In Nürnberg war die Auseinandersetzung zwischen Holz und Liebel über die Verteidigung der Stadt bekannt; deswegen kursierte in der Nachkriegszeit zunächst die Vermutung, dass Holz Liebel ermordet hätte.

NZ: Sie promovieren über eine sehr unerfreuliche, unsympathische Figur. Was interessiert Sie an Liebel?

Braun: Für mich als Nürnberger ist natürlich die eigene Stadtgeschichte von Interesse. Liebels Lebensweg steht zudem exemplarisch für einen gewissen Teil des Nürnberger Bürgertums in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Diese Leute sind im Kaiserreich sozialisiert worden und kamen mit der Republik nicht zurecht. Anhand seiner Biografie lässt sich der Aufstieg des Nationalsozialismus im lokalen Umfeld aufzeigen. Fragen: Marco Puschner

Der Vortrag findet am Dienstag, 2. März, um 19.45 Uhr in der Nürnberger Akademie (Gewerbemuseumsplatz 2, Vortragssaal 3.11.) statt. Eintritt: 7 Euro.

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