Wo Schlangenmenschen Hilfe finden

4.1.2012, 17:45 Uhr
Wo Schlangenmenschen Hilfe finden

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„Wir rechnen mit bundesweit tausend Familien, bei denen die vererbbare Bindegewebserkrankung vorkommt“, sagt Jürgen Grunert, der seit 15 Jahren die bayerische Landesgruppe der Deutschen Ehlers-Danlos-Initiative leitet.

Die Landesgruppe hat 70 Mitglieds-Familien. Die Zahl der Betroffenen dürfte höher liegen, da EDS schwer zu diagnostizieren ist. „Die Pharmaindustrie hat kein Interesse, an einer Krankheit zu forschen, für die es keine Medikamente gibt“, meint Grunert. Er ist selbst nicht betroffen und hat erst aus der Tageszeitung erfahren, woran seine Tochter leidet. „Ein Artikel, in dem die Symptome beschrieben werden, kann ganz wichtig sein“, sagt er.

Die Wissenschaft unterscheidet derzeit sechs Varianten der Erkrankung. Der klassische EDS-Typ wird autosomal dominant vererbt, die Nachkommen sind damit zu 50 Prozent betroffen. Es gibt aber auch Neumutationen wie bei Grunerts Tochter.

Kinder, die den klassischen EDS-Typ haben, sind im wahrsten Sinne des Wortes dünnhäutig. Ihre Haut ist extrem dehnbar, reißt schnell, heilt schlecht und bildet sogenannte Zigarettenpapier-Narben. Jeder kleine Schubs führt zu einem blauen Fleck, Stürze enden meist mit Platzwunden. Die Gelenke sind überbeweglich und renken sich leicht aus. Hypermobile Fingergelenke behindern beim Schreiben, beim Schließen von Knöpfen oder beim Schuhebinden. Oft fällt es den Kindern schwer, mit der Schere zu hantieren. Beim Sport ermüden sie schnell und klagen über Schmerzen im Bewegungsapparat.

Weil es fast überall im Körper Bindegewebe gibt, ist jeder Krankheitsverlauf anders. „Von den EDS-Varianten ist nur der vaskuläre Typ lebensgefährlich, weil dabei innere Organe reißen können“, sagt Grunert. Alle anderen Betroffenen kämen mehr oder weniger gut durchs Leben. Die einen leiden schon im Jugendalter an Arthrose, andere sitzen im Rollstuhl oder kämpfen mit chronischen Schmerzen. Bei Schmerzpatienten ist die Abgrenzung zu Rheuma oder Fibromyalgie besonders schwierig.

Nach aktuellem Forschungsstand können nicht alle EDS-Varianten zweifelsfrei diagnostiziert werden. Der klassische Typ lässt sich jedoch über eine elektronenmikroskopische Hautanalyse nachweisen. „Bis 2005 wurde die Untersuchung am Universitätsklinikum in Heidelberg von den Krankenkassen bezahlt, jetzt ist sie ihnen zu teuer“, sagt Grunert. „Wir kämpfen für eine entsprechende Abrechnungskennziffer.“

Auf der gesundheitspolitischen Ebene arbeitet die Initiative mit der „Allianz chronischer seltener Erkrankungen“ (ACHSE) und dem „Nationalen Aktionsbündnis für Menschen mit seltenen Erkrankungen“ (NAMSE) zusammen.

Grunert, der momentan auch die kommissarische Bundesleitung der Initiative übernommen hat, sitzt in verschiedenen Arbeitskreisen, die sich z.B. mit der Einrichtung von Kompetenzzentren beschäftigen. „Wir tun uns aber schwer, die geforderten 50 Patienten pro Jahr vorzustellen.“

Entsprechend fehlt es auch an ehrenamtlichen Mitstreitern in der Selbsthilfe. „Die sind schwer zu finden“, weiß Grunert, der am Nürnberger Flughafen arbeitet. Die Leitung der Ortsgruppe Franken sei noch zu haben. Die Gruppe trifft sich viermal im Jahr.

Kontakt: Jürgen Grunert, Deutsche Ehlers-Danlos-Initiative e.V., Regionalleitung Bayern, E-Mail: bayern@ehlers-danlos-initiative.de


 

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