„Kirche begeht Verrat an der Sache“

9.12.2003, 00:00 Uhr
„Kirche begeht Verrat an der Sache“

© Archivfoto: Michael Matejka

Der Ökumenische Kirchentag sollte das Miteinander der christlichen Kirchen in Deutschland voranbringen. Nachdem dort aber zwei katholische Priester trotz Verbots der Kirchenoberen die Abendmahlsgemeinschaft praktizierten, geriet die Ökumene nach Ansicht vieler Fachleute in die Krise. Wie tief ist diese Krise aus Ihrer Sicht?

Drewermann: Es ist auf dem Berliner Kirchentag nur deutlich geworden, dass die ursprüngliche Intention der Botschaft Jesu in den verfassten Kirchenordnungen so gut wie abhanden gekommen ist. Jesus hat Menschen einladen wollen, ohne Voraussetzungen und Bedingungen. Darunter die am Boden Liegenden, die von den Gesetzeslehren seiner Zeit Verurteilten, die Chancenlosen - an allererster Stelle.

Und er glaubte, dass man aus dem Leid der Menschen lernen könnte, wie viel an Güte und Mitleid wir überhaupt benötigten, um als Menschen zu leben. So wollte er Gott in unsere Welt bringen. Es ist absolut unmöglich, auf diesen zentralen Ansatz Jesu zu antworten, indem man aus der Gemeinschaft mit ihm ein Prämiensystem des orthodoxen und moralischen Rechtsverhaltens macht.

„Trennende Zankerei“

Das betrifft die katholische Kirche natürlich weit mehr als die protestantische. Aber Jahrhunderte einer Kirchen trennenden Zankerei um ein Bild, das alle Menschen jenseits von nationalen, regionalen, konfessionellen und kulturellen Schranken verbinden wollte, ist unerträglich, ein reiner Verrat an der Sache.

Hätten Sie den beiden Priestern Bernhard Kroll und Gotthold Hasenhüttl denn von ihren spektakulären Aktionen in Berlin abgeraten, wenn die beiden Sie gefragt hätten?

Drewermann: Herr Hasenhüttl wusste, was er machte; Herr Kroll scheint das merkwürdigerweise kaum geahnt zu haben. Die katholische Kirche verbietet bei jedem Kirchentag, auf die Einladung der evangelischen Kirche in Deutschland einzugehen, sich am gemeinsamen Abendmahl zu beteiligen. Als Papst Johannes Paul II. hier in Paderborn war, hat der Bischof von Hannover im Hohen Dom eindringlich seine Heiligkeit gemahnt, in dieser Frage Gemeinsamkeit zu erlauben.

Das war jetzt vor fünf Jahren. Daraus geworden ist da absolut nichts. Die katholische Kirche versteht unter Ökumene offensichtlich die Ausdehnung ihrer eigenen Machtsphären und die Rückkehr zu der Bedingungslosigkeit ihres unfehlbaren Lehramtes. Das ist, 450 Jahre nach der Reformation, unerträglich - nicht dialogbereit, nicht integrativ, nicht orientiert an dem, was Jesus wollte und was die Menschen brauchen.

Durch den Streit um die Vorgänge in Berlin, aber auch durch Äußerungen der Bischöfe und Kardinäle fühlen offenbar viele von jenen Katholiken momentan Aufwind, die am liebsten die Kirche vergangener Jahrhunderte wieder hätten. Hat die Kirche überhaupt eine Zukunftschance, wenn sie nicht mit beiden Beinen fest in der jeweiligen Zeit steht?

Drewermann: Richtig ist, dass Johannes Paul II. im Grunde anknüpft an die Ära Pius XII. aus den fünfziger Jahren - und das ist sein Rückfall. Nicht nur in die Ära vor dem Zweiten Vatikanum, das ist im Grunde ein Rückfall auf das Konzil von Trient im 16. Jahrhundert, mit dem man die Gegenreformation eingeleitet hat. Es ist nicht erkennbar, wie der polnische Papst den Geist der Aufklärung, der Demokratie, der Menschenrechte, der Freiheit von Forschung und Lehre auch nur annähernd in seinen Zentralismus einbringen könnte oder wollte.

Und natürlich bestärkt dies diejenigen, die schon immer die Kirche von vorgestern gewollt haben und sich nicht darüber im Klaren sind, dass die Bewegung in den letzten Jahrhunderten zu einem dramatischen Verlust der religiösen Interpretation von Wirklichkeit geführt hat. Im 16. Jahrhundert gehen die Protestanten raus, im 18. Jahrhundert, in den Tagen der Aufklärung, die Schichten der Gebildeten, im 19. Jahrhundert spaltet sich weitgehend durch den sozialen Druck die Arbeiterschaft ab, im 20. Jahrhundert bleibt die Frage der Frauenemanzipation vollkommen obsolet.

„Die Kirchenmäuse bleiben“

Nimmt man alle diese Gruppen aus der Kirche weg, bleiben anscheinend nur noch die Kirchenmäuse: Verängstigte, verschüchterte Leute, die sich klammern an einen Fundamentalismus, der sich weigert, zwischen Denken und Glauben eine vernünftige Synthese zu setzen.

Die katholischen Kirchenführer betonten während des Ökumene-Streits unisono immer wieder, dass das Zentrum des kirchlichen Geschehens Liturgie und Eucharistie sind. Welchen Rang räumen Sie im Hinblick auf die Forderungen des Evangeliums dem Bereich Liturgie und Dogmatik einerseits und den Werken von Liebe und Frieden andererseits ein?

Drewermann: Da muss man nur das Neue Testament aufschlagen und sieht absolut und eindeutig, welche Meinung Jesus darin vertreten hat. Im zehnten Kapitel bei Lukas findet man die Geschichte vom Barmherzigen Samariter. Da begibt sich ein Priester hinüber nach Jerusalem ins Heiligtum, um seinem rituellen Gottesdienst zu obliegen. Und er hat kultisch keine Erlaubnis, sich zu besudeln am Blut eines schwer Verletzten.

Ein Samariter, das Hassobjekt jüdischer Orthodoxie seit einem halben Jahrtausend, hat nach Darstellung Jesu dieses dogmatische Brett nicht vor dem Kopf. Und dies macht ihm das Herz frei und die Hände offen, zu helfen. Dieser Mann findet Gott. Jener andere, gebunden an den Ritualdienst, offensichtlich nicht. Im 25. Kapitel bei Matthäus, in dem letzten großen Gleichnis Jesu vom Weltgericht, reduzieren sich alle Fragen Gottes an den Menschen darauf, wie man sich verhalten hat gegenüber den Not Leidenden, Kranken, Gefangenen, Fremden, Armen. Das sind die maßgebenden Fragen.

„Magischer Formeldienst“

Für den Erfahrungsraum der Leute ist inzwischen klar, dass der Gottesdienst kaum für wesentlich empfunden wird. Dogmatisch von unendlicher Bedeutung, ist er vor allem für die Jugendlichen von einer monströsen Langeweile im Erleben geprägt. Und das kann nicht anders sein, weil er sich auf einen fast magisch zu nennenden Formeldienst beschränkt. Man muss exakt die Worte sagen, und nur als ein geweihter katholischer Priester vermag man überhaupt den Dienst zu vollziehen. Da liegt die wirkliche Trennung zu den Protestanten, die längst begriffen haben, dass Religion in der Person und nicht im Amt wohnt.

Herr Drewermann, man hörte und las zuletzt mehrfach, dass Sie und die Amtskirche im Begriff sind, sich wieder anzunähern. Gibt es Signale aus Rom, die erwarten lassen, dass Sie demnächst vielleicht sogar Ihre Lehrerlaubnis zurückbekommen?

Drewermann: Da weiß ich nichts. Nein, da ist gar nichts dran. Es kann überhaupt nichts dran sein. All die Fragen, die wir hier erörtern, sind doch in Rom längst entschieden. Nicht mal Martin Luther hat geschafft, die katholische Kirche zu verändern - sie will es ja offenbar nicht, und das ist ein wirklicher Skandal. Mit schönen Hoffnungen und Redensarten ist da nichts dran zu ändern.