Besuch im Nürnberger Kontemplationshaus

25.11.2009, 00:00 Uhr

O weh, haben wir jetzt die Adepten beim Meditieren gestört? Nein, der Meditationsraum im ausgebauten Dachgeschoss des Kontemplationshauses ist leer.

Nur weiße Wände und weiße Sitzkissen künden von der geistigen Arbeit. Ein Mandala hängt an der Stirnwand, darunter liegen Schalen, Blumen und ein Kreuz.

Ist das Zen? «Nein», erklärt der Leiter des Kontemplationshauses, Pfarrer i. R. Jörg Wienecke. «Wir werden zwar ständig mit Zen in einen Topf geworfen. Doch Zen ist die mystische Form der japanischen Ausprägung des Buddhismus. Und Kontemplation ist eine mystische Form des Christentums.»

Formulierendes Beten und wahrnehmendes Betrachten

Da gibt es sogar verschiedene Formen: Oratio ist das «formulierende Beten»; Meditatio bedeutet «in die Mitte gehen»; Contemplatio schließlich ist das «stille Werden» oder das «wahrnehmende Betrachten».

Schon während des Studiums hatte Pfarrer Wienecke (70) gespürt, dass Theologie alleine ihm nicht ausreicht. Die Praxis schien seine Ahnung zu bestätigen: «Als junger Vikar war ich in Krisenfällen immer gescheitert.» Einen neuen Anstoß gaben ihm die Erkenntnisse von Carl Gustav Jung. «Da spürte ich: Dahinter kannst du nicht mehr zurück!»

1972 begann Wienecke mit dem Meditieren, 1984 konzentrierte er sich auf die Kontemplation. Bald fand er Freunde und Wegbegleiter, und 1994 gründete Wienecke mit dem Segen der Landeskirche den Verein «Meditationshaus Nürnberg». Seinen Stützpunkt hat der Verein seit 13 Jahren in einem Hinterhaus im Rennweg. Doch als eigentliche Geburtsstunde gilt für Pfarrer Wienecke und seine Freunde das Jahr 1984.

Und wie sieht das Publikum aus? Zwei Drittel sind Frauen, die meisten Besucher befinden sich in der zweiten Lebenshälfte. «Aber das ändert sich stets. Zurzeit interessieren sich wieder viele junge Leute für die Kontemplation», meint Marion Donth, die die Einsteiger betreut.

Und wie ist das mit der Kontemplation? Hockt man nun eine Zeit lang da, lauscht einem spirituellen Meister, brütet über vertrackte Koans und liest in der Bibel, bis es auf einmal «Klick» macht, die Erleuchtung sich über den Adepten ergießt und er in seliger Ruh’ und Gelassenheit über den Niederungen des Weltgetümmels schwebt? Über solche Vorstellungen können Pfarrer Wienecke und seine Freunde nur müde lächeln.

Der Manager Klaus Brück meditiert bereits seit 20 Jahren und betrachtet sich immer noch und für alle Zeiten als ein ewig Suchender.

«Kontemplation ist wie Partnerschaft», meint der 55-jährige Familienvater. «Auf die Phase der Verliebtheit folgt der graue Alltag. Du sitzt auf dem Kissen und guckst die weiße Wand an. Der Rücken tut weh, die Knie schmerzen und die Wand bleibt weiß. Du wirst unruhig, und das stört dich. Dann sagst du dir: ,Also gut, jetzt bin ich unruhig, da lässt sich nichts machen. Mal gucken, was dann passiert.‘» Das eben ist für Klaus Brück das Faszinierende an der Kontemplation: Dass er hier nichts machen kann! «Im Beruf bin ich aktiv und treffe laufend Entscheidungen», erklärt der Manager. «In der Meditation warte ich ab und erfahre dabei eine positive Ohnmachtserfahrung.»

Kontemplation ist harte Arbeit

Kontemplation ist nicht Wellness, sondern Begegnung mit dem Selbst. Also harte Arbeit. Die kostet Kraft. «Wenn Sie in Ihre Tiefe tauchen, dann steht alles auf dem Spiel», warnt Jörg Wienecke. «Man entdeckt, was wirklich zählt, was bedeutungslos wird, man stellt sich und sein Leben infrage. Man reift, aber es ist wie eine Spirale: Man gelangt wieder zum Ausgangspunkt, aber auf einer anderen Ebene.» Was hat der Meditierende davon? «Manchmal erlebe ich wirklich die Ruhe», erklärt Heike Huck (70). «Ich meditiere nicht, um auszusteigen, sondern um Ruhe in mir zu finden – auch im Trubel.» Klaus Brück ergänzt: «Kontemplation ist kein Weg aus dem Alltag heraus, sondern in den Alltag hinein.» Und Jörg Wienecke korrigiert: «Meditation bewahrt dich nicht davor, Phasen der Niedergeschlagenheit oder der Erschöpfung zu vermeiden. Aber sie hilft gerade in diesen Phasen.»

Sind kontemplative Menschen weltentrückte Geister? Jörg Wienecke weist auf Martin Luther: «Das war ein glutvoller Mensch, der keinem Streit aus dem Weg ging. Und doch ist sein Turmerlebnis, in dem ihm beim Studium des Römerbriefs die Bedeutung der Rechtfertigung durch Christus aufging, ein mystisches Erlebnis!»

Das Kontemplationshaus befindet sich im Rennweg 50, Hintergebäude, 46 20 60 30.

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