Ein Denkmal mittelalterlicher Ingenieurskunst

28.10.2008, 00:00 Uhr
Ein Denkmal mittelalterlicher Ingenieurskunst

© Rusam

Die Umleitung des Röthenbachs war freilich nicht das erste Kanalprojekt Nürnbergs. Schon um die Mitte des 12. Jahrhunderts hatte der erste Stauferkönig Konrad III. auf der südlichen Pegnitzseite eine planmäßige Stadt, die so genannte Lorenzer Stadt, anlegen lassen. Um die Lederer, Färber, Metzger, Wäscher und andere Gewerbe zu fördern, hatte man den Fischbach in den neuen Stadtteil einleiten lassen, und er fließt immer noch zweigeteilt durch die Lorenzer Stadt. Freilich ist er heute unsichtbar, hatte man ihn doch schon vor langer Zeit kanalisiert.

Den Röthenbach in den Fischbach leiten

Um die nicht allzu reichliche Wasserführung des Fischbachs zu ergänzen, sollte der Röthenbach in den Fischbach umgeleitet werden. Das war das Problem, das es nun durch sorgfältige Untersuchungen im Gelände zu lösen galt. Die geeignete Stelle für das Kanalprojekt lag dort, wo die Quellen von Zuflüssen des Fischbachs und des Röthenbachs zwischen Birnthon und Netzstall sich bis auf einen Kilometer nahe kommen.

Doch nun schweigen die Akten erst einmal für Jahrzehnte. Erst 1423 und 1425 hören wir wieder von dem Kanalprojekt. Erneut gab es Überlegungen, den Röthenbach herein zu bringen. Die Nürnberger warben eigens einen im Befestigungswesen besonders geschickten Baumeister an, den Hans Velber aus Ulm. Allem Anschein nach hat man damals tatsächlich mit den Arbeiten begonnen.

Es entstand ein knapp eineinhalb Kilometer langes Kanalstück, das nahe beim Röthenbach beginnt und sich fast gerade nach Westen hinzieht, der so genannte «Gefütterte Graben». Seinen Namen trägt er von der Auskleidung mit Lehm, die das Versickern der Wasserfüllung verhindern sollte. Spätestens während des Zweiten Markgrafenkrieges 1449 dürften dann aber die Arbeiten eingestellt worden sein.

Erst im Jahr 1480 unternahm der Rat der Stadt einen erneuten Anlauf, um den Röttenpach in die stat zu pringen. Es wurde ein Gutachten ausgearbeitet, das drei mögliche Linienführungen zur Diskussion stellte. Diese lassen sich allerdings heute im Gelände nicht ohne weiteres nachvollziehen, können doch mehrere topografische Bezeichnungen nicht mehr eindeutig lokalisiert werden.

Die kürzeste Strecke erforderte einen Einschnitt von 31 Schuh, die längste dagegen einen von 13 Schuh. Eine Gruppe von Ratsherren machte sich in Begleitung mehrerer Fachleute - sogar der bekannte Astronom Bernhard Walther war darunter - auf den Weg, um hereinzuwägen, das heißt mit der Wasserwaage die geeignete Linienführung zu ermitteln. Am 13. Juli 1482 fasste der Rat seine endgültige Entscheidung: Obwol nun die wasserverstendige Werckleut befunden, das solches wol müglich were, schien dem Rat das Vorhaben doch nit füglich zu sein, weil zu viel Wasser im Sand verloren ginge und auch den ansessern (den Anliegern) Schaden entstünde. Zudem würde das Projekt einen solchen costen geperen, der dem nutz davon ungemeß wer. Damit war das ehrgeizige Kanalprojekt der Reichsstadt Nürnberg an zu hohen Kosten und an dem unabwägbaren Risiko gescheitert.

Es überrascht, dass der Rat 1585 doch noch einmal auf das alte Röthenbachprojekt zurückkam. Bei der Abwägung des Für und Wider spielte die Erkenntnis eine nicht unwichtige Rolle, dass ein dreißig Fuß (neun Meter) hoher Staudamm in dem tief eingeschnittenen Röthenbachtal hätte aufgeschüttet werden müssen, wollte man den Röthenbach in den «Gefütterten Graben» einleiten.

Durch diesen Rückstau wäre ein Weiher entstanden, der bis Ungelstetten gereicht hätte und durch den großen Waldflächen, Wiesmatten und Hutweiden im selben Grunde ertränkt würden. Ferner galt es - zum aberen Male - zu bedenken, dass eine so hohe Stemmung beträchtliche Kosten verursacht hätte, und dass bei starken Güssen große Gefahr gedroht hätte. Schließlich scheiterte auch dieser erneute Anlauf. Das Vorhaben wurde nun endgültig zu den Akten gelegt.

Das Projekt, den Röthenbach in die Stadt zu leiten, schlummert aber nicht nur in den Akten des Archivs, sondern hat auch im Reichswald deutlich sichtbare Spuren hinterlassen. Wer diese entdecken will, sollte, von Brunn kommend, fünfzig Meter nach der Unterführung der Autobahn nach Regensburg rechts in Richtung Ungelstetten abbiegen.

Nach anderthalb Kilometern kreuzt ein Wanderweg mit einer Rot-Punkt-Markierung den Fahrweg, wo wir rechts parken können. Nun sind wir beim «Gefütterten Graben» angelangt, von dem wir freilich erst etwas zu sehen bekommen, wenn wir entlang der Fahrstraße etwa fünfzig Meter zurück gehen. Dann allerdings liegt vor uns ein großartiges Denkmal mittelalterlicher Ingenieurskunst aus Nürnberg.

Der Waldweg in Richtung Westen führt nun zunächst durch die Autobahnunterführung und dann weitgehend parallel zum Kanal. Nach etwa einem halben Kilometer kommt von rechts ein Waldweg. Ihm sollten wir kurz folgen, denn er schneidet nach wenigen Dutzend Metern den «Gefütterten Graben». An dieser Stelle haben wir einen schönen Blick nach beiden Richtungen in den Lauf des Kanals. Wenn wir nun nach Westen dem ursprünglich eingeschlagenen Waldweg folgen, kommt der Kanal immer näher und verliert sich schließlich fast unmerklich neben dem Weg.

Vor dem Werk, das nie begann

Beim Rückweg sollten wir am Parkplatz auf keinen Fall versäumen, in Richtung Osten der Rot-Punkt- Markierung die etwa hundert Meter hinunter in das Röthenbachtal zu folgen; denn hier etwa liegt die Stelle, wo ein rund neun Meter hoher Staudamm (oder eine Staumauer) hätte errichtet werden müssen. Doch während wir über dieses gewaltige, nicht errichtete Werk nachsinnen, erfasst uns vielleicht unmerklich eine eigenartige Stimmung und wir werden der Einsamkeit und der Schönheit des Röthenbachtales gewahr, des reizvollsten aller Waldbäche im Lorenzer Reichswald.

Wer an der Straße nach Ungelstetten an der anfangs beschriebenen Stelle des «Gefütterten Grabens» in das fertige Kanalstück mit den hohen Wällen beiderseits und der Wasserfläche dazwischen blickt, wird unwillkürlich an den Karlsgraben erinnert, den Karl der Große als Nachschublinie für seinen Awarenfeldzug 793 hatte bauen lassen. Die Dimensionen dieser «Fossa Carolina» erreicht natürlich unser «Gefütterter Graben» nicht annähernd. Gemeinsam ist den beiden viele Jahrhunderte zurückliegenden Projekten aber die Großartigkeit des Werkes. Gemeinsam ist ihnen freilich auch, dass sie ein «opus imperfectum» geblieben sind, das heißt ein unvollendetes Werk.

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