Klappsonnenuhren - Nürnbergs handlichster Exportartikel

22.1.2010, 00:00 Uhr
Klappsonnenuhren - Nürnbergs handlichster Exportartikel

© Niklas

Doch was ist, wenn der Kaufmann unterwegs ist, und weit und breit keine Sonnenuhr zu sehen? Dann greift er eben zu Nürnbergs sagenhaftem Exportartikel: der Klappsonnenuhr aus Holz, oder, noch besser, aus Elfenbein.

Wie die funktioniert, erklärte Alexander Thekale, Doktorand der Mathematik und Referent für den «Förderverein Kulturhistorisches Museum», bei seinem Vortrag im BZ so: Klappt man die Sonnenuhr auf, dass Deckel und Boden einen Winkel von 90 Grad bilden, erblickt der Reisende erstmal einen Kompass, der im Boden eingelassen ist. Richtet er sich nach Norden (wobei ihm das Korrektiv, das den magnetischen vom geographischen Nordpol unterscheidet, behilflich ist), so spannt sich zwischen Boden und Deckel ein dünner schwarzer Faden. Dieser Faden schneidet eingetragene Uhrzeitlinien, und schon weiß der Kaufmann, was die Zeit geschlagen hat.

Ein Loch für jeden Breitengrad

Doch Moment: Wie war das nochmal mit dem Breitengrad? Was ist, wenn unser Kaufmann sich gerade in England aufhält? Dann muss er den Faden in ein anderes Loch für diverse Breitengrade einfädeln. Eine Tabelle im Deckel, das die wichtigsten Handelsstädte mitsamt Breitengrad verzeichnet, hilft ihm auch dabei. London liegt übrigens auf dem 52., Paris auf dem 48. Grad.

Doch warum gerade Elfenbein? Elfenbein ist ein sehr hartes Material, diffizil zu bearbeiten. Doch dafür haltbarer als hölzerne Klappsonnenuhren. Außerdem bietet das weiße Elfenbein den perfekten Untergrund für den Fadenschatten. Und natürlich ist Elfenbein ein Statussymbol.

Warum schwang sich gerade Nürnberg zum Zentrum der Klappsonnenuhr-Produktion auf? Hier nennt Alexander Thekale gleich mehrere Gründe: Zum einen natürlich Nürnbergs Lage im Kreuzungpunkt der wichtigen Handelsstraßen, was sowohl den Zustrom von Zulieferern wie den der Abnehmer garantiert; die große Zahl gewitzter Handwerker, vor allem von Drechslern und Goldschmieden, die sich zuerst der Klappsonnenuhr zuwandten, bis um 1480 die Zunft der Kompassmacher entstand; das Wirken bedeutender Mathematiker, allen voran Regiomontanus, der 1471–75 in der Stadt weilte; sowie der Aufschwung Portugals zur Seefahrernation um 1500, was den Import des Elfenbeins aus Afrika verkürzte und verbilligte.

So ein Kompassmacher hatte es nicht einfach: Bekam er den Stoßzahn eines armen Elefanten geliefert, musste er haargenau überlegen, wo und wie er die Säge anzusetzen habe, um möglichst viel Material und möglichst wenig Abfall und Verschnitt herauszuholen. Und wenn sich dem Meister schon eine lukrative Elfenbeinquelle auftat, musste er umgehend seine Zunftkollegen davon in Kenntnis setzen. Mauscheleien und Konkurrenzkampf unterband die strenge Zunftordnung. Obendrein galt die Kompassmacherei als «Geschlossenes Handwerk». Das heißt, Gesellen und Meister durften das Gebiet der Stadt nicht mehr verlassen (es sei denn auf Erlaubnis des Rates). Denn Nürnberg hatte Angst davor, sein Monopol auf die Herstellung von Klappsonnenuhren zu verlieren.

In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts stand die Nürnberger Klappsonnenuhren-Produktion in ihrem Zenith. Die Palette reichte von der einfachen hölzernen Uhr über den mit erlesenen Schnitzereien verzierten Luxusartikel für die Vitrine bis zum Multifunktionsgerät inklusive Monduhr (auch der Vollmond wirft Schatten), 365-Tage-Kalender und Wochentag-Bestimmungstabelle. «Damit war die Reisesonnenuhr damals das, was heute das Handy ist», resümiert Alexander Thekale, «ein Gebrauchsgegenstand und gleichzeitig ein Luxusartikel.»

Doch schon in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts war der Niedergang unübersehbar. Der Dreißigjährige Krieg hatte die Stadt wirtschaftlich geschwächt. Die Zusammenarbeit der Kompassmacher mit bedeutenden Mathematikern der Zeit kam zum Erliegen.

Mit Augsburg trat ein ehrgeiziger Konkurrent auf den Plan. Und schließlich hatten die mechanischen Taschenuhren einen akzeptablen Grad an Genauigkeit sowie ebenfalls den Status des Luxusartikels erreicht. Denn schließlich betrug der Preis einer solchen Sonnenuhr das Vierteljahresgehalt eines Gesellen.

Nur wenige Tausend Klappsonnenuhren sind noch erhalten. Experten schätzen, dass diese nur ein bis drei Prozent aller hergestellten Uhren ausmachen. Dafür machen Fälschungen aus Kunststoff dem Interessenten das Leben schwer. Doch der Experte weiß sich zu helfen. «Sie müssen nur eine Nadel erhitzen und ins Gehäuse bohren», verrät Alexander Thekale den Trick. «Elfenbein hält das locker aus. Bei Kunststoff bohren Sie ein Loch.»

Keine Kommentare