Tunnelblick: Das geheime Leben der Straßenbahn

12.1.2007, 00:00 Uhr
Tunnelblick: Das geheime Leben der Straßenbahn

Die Entstehung der Straßenbahntunnel geht auf die NSDAP-Parteitage in Nürnberg zurück, zu denen während eines relativ kurzen Zeitraums riesige Massen von Menschen zwischen dem Bahnhof, beziehungsweise der Innenstadt, und dem Parteitagsgelände im Süden der Stadt befördert werden mussten. Außerdem war der normale Straßenraum immer wieder an vielen Stellen durch Aufmärsche beeinträchtigt.

Zwar hatte die damalige Straßenbahn bereits einen hohen Ausbau- und Leistungsstandard, doch kam es gerade im Bereich der (damaligen) mittleren Allersberger Straße zu Problemen mit den Verkehrsströmen. Abhilfe tat Not.

Die NSDAP wollte prestigeträchtige Verkehrsmittel

Aber die damalige politische Führung steckte in einer Zwickmühle: Prinzipiell stand die NSDAP dem Verkehrsmittel Straßenbahn ablehnend gegenüber. Vorrang sollten Prestigeprojekte und - im Hinblick auf Kriegsvorbereitungen - eine «Vollmotorisierung» haben, was sich in Details wie entsprechenden Änderungen der Straßenverkehrsordnung von 1935 niederschlug. So genoss fortan die Elektrische kein allgemeines Vorfahrtsrecht gegenüber dem Autoverkehr mehr. In Nürnberg jedoch konnte auf einen weiteren Ausbau der Straßenbahn zumindest im Südostteil des Netzes keinesfalls verzichtet werden.

Am 9. September 1936 wurde eine «störungsfreie Hochbahnstrecke» im Bereich Frankenstraße/Tiroler Straße/Allersberger Straße eröffnet. Die Bahnen fädelten nahe der Tiroler Straße aus Richtung Frankenstraße nach Süden aus, überbrückten die damalige südliche Allersberger Straße und mündeten in die bestehende Stadionlinie ein. Dieser Hochbahn war indes nur ein kurzes Leben vergönnt, sie hatte - wie auch der alte Tiergarten und dessen Straßenbahnanbindung - bald weiteren geplanten Bauten zu weichen. Damit verbunden war die Schaffung eines völlig neuen Verkehrsknotens in jenem Bereich.

Damals führte die Allersberger Straße von der Ecke Sperberstraße geradeaus weiter. Weil dort aber die Südkaserne entstehen sollte, mussten bisherige Straßen- und Straßenbahnführung aufgegeben und nach Osten verschwenkt werden. Südlich der Markomannenstraße sollte eine tiefer gelegene Straßenbahnhaltestelle mit zahlreichen Aufstellgleisen für Sonderzüge gebaut werden, wobei die Anschlüsse in die offene, tiefer gelegene «Wanne» durch Tunnel erfolgten. Die westliche Tunnelrampe begann in der Frankenstraße nach der Abzweigung Tiroler Straße, die nördliche Rampe in der Allersberger Straße nach der Abzweigung Tristanstraße. Im Tunnel näherten sich beide Streckenäste und führten in die freie «Wanne». An deren Osthang bog die Straßenbahn scharf nach Süden ab und lief in einem weiteren Tunnel bis hinter die Ingolstädter Straße.

Dann ging es oberirdisch auf eigenem Bahnkörper neben der damaligen südlichen Allersberger Straße (heute: Münchener Straße) in Richtung Bauernfeindstraße. Die drei Tunnelstrecken, jede etwa 250 Meter lang, wurden dann am 4. September 1938 rechtzeitig zum Parteitag in Betrieb genommen. Doch schon ein Jahr später sagte die NSDAP wegen des begonnenen Krieges den folgenden Parteitag ab - die Tunnelbauten hatten also nur eine einzige «Hochsaison» erlebt.

Während nach dem Krieg die Verbindung Wodanstraße-Bauernfeindstraße schon bald wieder betrieben wurde, führte man den planmäßigen Linienververkehr zwischen Bayern- und Frankenstraße erst wieder um 1955 ein. Im Hinblick auf den U-Bahn-Bau leitete die VAG in den frühen Siebziger Jahren das Ende von Teilen der Straßenbahntunnel ein. Bereits zum 31. Juli 1972 verkehrte die letzte Straßenbahn zwischen Bayern- und Frankenstraße. Während der Tunnel selbst mit den beiden Gleisen als Abstellanlage erhalten blieb, ließ man den westlichen Ausgang zumauern und den anschließenden Einschnitt verfüllen.

Übrigens leistete die Abstellanlage längere Zeit gute Dienste, als die VAG im Februar 2001 den Betriebshof Nordost aufgeben musste und sich der neue Betriebshof am Trafowerk noch im Bau befand. Zu diesem Zeitpunkt wurden auch die nördlichen Seitenwände des Tunnels völlig zugemauert, um unbefugtes Betreten der Anlage zu verhindern.

Das Ende des Tunnelbetriebs an der Münchener Straße war am 28. Januar 1978 mit Stilllegung der Straßenbahnverbindung Bayernstraße-Bauernfeindstraße gekommen.

Was ist nun heute noch von den Tunneln vorhanden? Nun, die eigentlichen unterirdischen Bauten bestehen nach wie vor, sind aber überwiegend nicht mehr allgemein zugänglich. Im vollen Betrieb zeigt sich der Tunnelteil zur Tristanstraße, den die Straßenbahnlinie 7 (kein Verkehr an Sonn- und Feiertagen) planmäßig nutzt. Der Tunnel unter der Frankenstraße besitzt noch bis zu seinem Ende in Höhe des westlichen Endes der Südkaserne die beiden Gleise. Innen sind Arbeitsfahrzeuge der VAG abgestellt, dazu gesellen sich einige historische Wagen, die noch aufgearbeitet werden müssten. Von oben, d.h. der Frankenstraße aus, lässt sich die Lage des früheren Einschnitts gut am Grünstreifen nachvollziehen; dort befindet sich auch ein verschlossener Notausstieg vom Tunnel. In Höhe der Abzweigung Kleestraße hatte die Straßenbahn das normale Höhenniveau erreicht.

Gleisreste neben dem Riesen-Möbelhaus

Das Bauwerk an der Münchener Straße ist abgeschlossen und wird von der Feuerwehr sowie als Trasse der Fernwärmeleitung nach Langwasser genutzt. Der nördliche Tunneleingang befindet sich hinter der Wartehalle der Linie 7 an der Endschleife Bayernstraße, der südliche Eingang unmittelbar unter der Ingolstädter Straße nahe der Einmündung in die Münchner Straße. Auch der Einschnitt existiert noch, ist aber recht zugewachsen. Von hier aus kann man nachvollziehen, dass der Tunnel zur Schleife Bayernstraße unmittelbar neben den Fundamenten des Möbelhauses Lutz verläuft.

Im Zusammenhang mit den künftigen Nutzungsplanungen zum Gebiet um die Brunecker Straße könnte überlegt werden, nach dort einen attraktiven ÖPNV-Anschluss per Straßenbahn herzustellen. Auf den ersten Blick böte sich dazu der nach Süden verlaufende Tunnel parallel zur Münchener Straße an, der zwei Kreuzungsbereiche unterquert. Wenn auch das recht enge Tunnelprofil wohl für Neubauten nicht mehr in Frage käme, sollte man eine teilweise Wiedernutzung für die Straßenbahn zumindest diskutieren. Dazu wäre auch zu klären, ob eine Neutrasse der gegenwärtig im Tunnel verlaufenden Fernwärmeleitung kostengünstiger ist als eine komplette Neutrassierung einer Straßenbahn. Es könnte also mit den Tunnelbauten nochmals spannend werden! Ulrich Rockelmann

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