Westernreifer "Tatort" aus Hessen mit literweise Kunstblut

12.10.2014, 21:45 Uhr
Dass Felix Murot in seiner Jugend anscheinend ein ganz schöner Feger war, erfährt man im HR-"Tatort".

© HR/Philip Sichler Dass Felix Murot in seiner Jugend anscheinend ein ganz schöner Feger war, erfährt man im HR-"Tatort".

Letzten Sonntag war am Bodensee noch dröges Stochern im "Winternebel" angesagt. Diesen Sonntag stand ein fulminantes Spektakel aus dem Land der Hessenköppe auf dem Plan. Mit Ulrich Tukur in einem Eifersuchts- und Rachemelodram von geradezu epischen Ausmaßen. Womit eindrucksvoll belegt ist, was in dieser Reihe alles möglich ist! Dass Felix Murot in seiner Jugend anscheinend ein ganz schöner Feger war, erfährt man darin. Dass er vor 30 Jahren lustvoll eine Ménage à trois auslebte, zu der sein alter Kumpel Richard Harloff aus Polizeischultagen gehörte. Und eine rothaarige Schönheit, die beide bezeichnenderweise im Kino im Truffaut-Klassiker "Jules et Jim" kennengelernt hatten.

Drei Leichen in den ersten Minuten

Spätestens da hätte man ahnen können, dass die Sache kein gutes Ende nehmen würde. Abgesehen davon, dass ohnehin gleich in den ersten Filmminuten drei Leichen angefallen waren. In bester "Spiel-mir-das-Lied-vom-Tod"-Manier - bei einer Schießerei auf einem abgelegenen Provinzbahnhof. Im Verlauf sollten weitere 44 Tote folgen. "Rache ist manchmal der einzige Grund, warum man lebt", prophezeite Ulrich Matthes, der diesen Harloff mit echsenhafter Kühle gab.Und der der Strippenzieher des perfiden Anschlags war. "Murot soll leiden", lautete sein Credo. Für enttäuschte und verratene Liebe. Vor allem aber für Murots "Bastard" (Golo Euler), den der Gedemütigte nach dem Tod des gemeinsamen Liebchens als seinen ausgegeben hatte.

Auch sonst passierte nicht viel Optimismusverheißendes: Es sei denn, man zählt filmische Stilmittel wie coolen Retro-Look, Technicolor, jede Menge Shakespeare-Zitate und die barocke Filmmusik vom Sinfonieorchester des HR dazu. Oder einen Gangsterboss (Alexander Held),der erst mit seinen bösen Jungs auf einer improvisierten Bühne Hamlet spielte, aber gleichzeitig als Kunstfigur aus dem Off die Handlung in Versform interpretierte. Doch inzwischen war das eh schon egal. Und die Macher setzten mit einem Massaker vor einer Spielbank zu Walzerklängen noch eins drauf.

Verhängnisvolle Dreierbeziehung

Fieses dramaturgisches Sahnehäubchen für Felix Murot zum Finale: Einer der Killer war eben jener Sohn, Ergebnis der verhängnisvollen Dreierbeziehung aus den wilden Jahren. Nur, dass Murot von seiner Vaterschaft nichts mehr erfahren sollte. Weil die gute Assistenten-Seele Magda Wächter (Barbara Philipp) in letzter Minute alle Beweise dafür vernichtete, um ihrem Chef den Schmerz zu ersparen ... So etwas muss einem erst mal einfallen!

Aber Regisseur Florian Schwarz und Autor Michael Proehl haben ja schon in den Folgen "Waffenschwestern" und "Weil sie böse sind" (Deutscher Fernsehpreis 2010) lässig bewiesen, dass sie "Tatort" können. Deshalb werden auch beide für den Einstand eines weiteren Hessen-Teams verantwortlich zeichnen: für den ersten Fall des neuen Frankfurter "Tatort"-Duos Margarita Broich und Wolfram Koch in "Liebe ist kälter als der Tod". Wie es scheint, ist in dieser TV-Region künftig also junges, ehrgeiziges Autorenkino angesagt. Und mit so manchem Widerstand auf den Zuschauerrängen dürfte zu rechnen sein. Aber auch wenn derartige Krimi-Experimente nicht jedermanns Geschmack treffen können - oder wollen: Thematische Nebelkerzen wie die der Konstanzer vom vergangenen Wochenende werden da sicher nicht mehr mithalten.

 

 

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