Wiedereröffnung des Casablanca

21.10.2010, 17:32 Uhr
Wiedereröffnung des Casablanca

© Roland Fengler

All dies brach am Freitagabend mit Macht über die Brosamerstraße herein. Das Casablanca hat wieder eröffnet, wie eine Nova strahlt der Schriftzug über dem Eingang, und alle, alle Cineasten kommen zum „Filmkunsttheater“ (so der neue Beiname). Wer zur Feier im Saal 1 nicht mehr Platz findet, drängt sich im Innenhof, labt sich an Bier und Schmalzstullen, bestaunt im Schaukasten des Foyers die Fotos von der Renovierung, nimmt Platz an den Kneipentischen oder lagert in den Hauseingängen.

Für schlappe 20 Euro kann sich der Besucher ein speziell kreiertes „Casablanca“-Film-T-Shirt von Gerd Bauer über den Bauch ziehen. Darauf dumpft Humphrey Bogart als Rick an der Bar herum. Gesellschaft leistet ihm aber nicht Ilsa Lund (Ingrid Bergman), sondern ein Monster, eine Mischung aus King Kong und Godzilla. Man kann sich direkt die Unterhaltung vorstellen: „Mensch, Rick, vergiss die blöde Ilsa! Wenn die schwedische Schnalle einem farblosen Anzugträger nachläuft, soll sie doch mit ihm versauern. Jetzt saufen wir noch einen und dann bringen wir diesen Laden hier in Ordnung!“

Ja, das Casablanca ist wieder vorzeigbar. Saal 3 ist neu bestuhlt, die Wände frisch, aber im altbewährten Mattschwarz gestrichen. Auch der Filmvorführer schimpft herum, weil der Ton zwar kommt, nicht aber das Bild; soweit bleibt alles beim geliebten Alten. Ein junger Besucher staunt über den Filmprojektor: „Der schaut ja krass aus, wie ein Flakgeschütz!“ Tja, ein Projektor ist kein Videobeamer.

Der Saal 1 harrt noch seiner Renovierung, dafür leuchten Kneipe und Vorraum in Gelb und Orange, die Siebziger Jahre lassen grüßen. „Das habe alles ich gestrichen“, bekundet der 2. Vorstand und emeritierte Kinderarzt Helfried Gröbe. Die Toilette, einst „Dr. Terrors House of Horrors“ vergleichbar, erstrahlt in hellem Beige. Wo einst trübes Gefunzel die Notdurft in gnädiges Zwielicht hüllte, flammt Sonnenschein aus neuen Lampen auf milchweiße Schüsseln. Und statt beißenden Miasmen duftige Aprilfrische! Jetzt macht das Wasserlassen wieder Freude.

Der schöne Thekenschrank aus der Uckermark prangt als Tabernakel der Spirituosität in der Kneipe, ein würdiger Ersatz für seinen Vorgänger. Bloß das Jugendstilbild mit den Elfen in durchsichtigen Kleidchen hat offenbar einen Liebhaber gefunden.
Und das Publikum? Zum größten Teil Stammgäste und Eltern im „Endlich-sind-die-Bamsen-aus-dem-Haus“-Alter. Bildungsbürger, die abends vor dem Fernseher versackten und sich kaum noch zum Kinobesuch aufrafften. So wie wir auch (unser letzter Besuch im Casa datiert vom 19. Oktober 2006). Bis uns allen aufging, was wir mit dem Casablanca beinahe verloren hätten.

Den Elan von 1968 beschwören die Festredner Helfried Gröbe, Stadtrat Gebhard Schönfelder und die künstlerische Leiterin Tina Geißinger. Früher ging man zur Demo, dann traf man sich in Horst W. Blomes Theater am Kopernikusplatz, das Wolfram Weber 1976 zum Casablanca umbaute. Eben dieser Elan, den Weber 1976 an den Tag legte, sei nun auf die Casa-Freunde von heute übergegangen.

Merkwürdig: Die Revoluzzer von 1968 sind heute ihr eigenes Feindbild: etablierte Bürger, voll Sorge um ihre Rente. Doch die alte Tugend ist geblieben, die Lust, etwas auf die Beine zu stellen, sich todesverachtend den Marktzwängen, neuen Techniken und Ansprüchen entgegenzustemmen und das liebgewonnene Alte zu erhalten.
Aus Progressiv wird Konservativ, und dies Konservative im besten Sinne des Wortes erscheint wieder progressiv. Bloß heißt das jetzt nicht mehr „Revolution“, sondern „bürgerschaftliches Engagement“. Wenn es das Casablanca am Leben erhält, gerne!

Natürlich darf „Casablanca“, der Film, nicht fehlen. Doch der passendere Film ist „Cinema Paradiso“ in der Spätvorstellung. Der aber läuft auf DVD! Die Geschichte eines Dorfkinos, das abbrennt, wieder aufersteht, um endlich doch in die Luft zu fliegen, passt ganz wunderbar in diese Situation.

Und wenn am Ende des Films auf der Leinwand sämtliche Kuss-Szenen der Filmgeschichte laufen, die einst der Dorfpfarrer herauszensiert hatte, dann ist dies auch ein Sinnbild der neu erwachten Liebe der Kinobesucher. Hoffentlich hält die Liebe weiter an! In diesem Sinne: Tüt Tüt, Neng Neng, Jä Jä Jä!

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