19-Jähriger droht Abschiebung

"Die Ukraine ist ein graues Land ohne Perspektive"

16.2.2018, 10:00 Uhr

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Ich erinnere mich noch gut an den Tag, als ich die junge Ukrainerin Karyna kennenlernte. Es war im Mai vor einem Jahr, dass sie und zwei andere junge Frauen mir von ihrer Förderung erzählten. Das Stipendienprogramm "Talent im Land – Bayern" unterstützt begabte und engagierte Schüler mit und auch ohne Migrationshintergrund.

Als ich die Gymnasiastin fragte, wie sie zu dem Stipendium gekommen sei, erzählte sie vom Empfehlungsschreiben ihres Schulleiters an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf). "Es ging um meinen Asylantrag. Leider wurde dieser abgelehnt. Da ich 18 bin, kann ich jetzt alleine abgeschoben werden", berichtete sie mit Tränen in den Augen, ihre Stimme zitterte.

Der Schock sitzt zu dem Zeitpunkt tief, die Bamf-Entscheidung ist gerade ein paar Wochen alt. "In dem Brief stand, dass wir Deutschland innerhalb von 30 Tagen verlassen sollen. Aber wir haben mit unserer Anwältin einen Widerspruch gegen die Entscheidung eingelegt", erzählt mir Karyna, als wir uns Ende des Jahres noch mal treffen, um über ihre Geschichte zu sprechen.

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Die mittlerweile 19-Jährige berichtet von ihrer Flucht aus der Ukraine: Karyna ist mit ihrer Mutter Natalia und ihrem Bruder Yaroslav Ende Dezember 2014 aus ihrem Heimatland geflohen. Ihr Vater ist schon ein halbes Jahr früher nach Deutschland gekommen. Karynas Oma lebt seit 18 Jahren in Nürnberg. Sie kam als sogenannter jüdischer Kontingentflüchtling hierher.

"Mein Vater hatte Probleme mit seiner Firma und sollte enteignet werden. Er wurde sogar gefoltert. Ihm wurden Verbrennungen zugefügt, seine Beine einbetoniert . . . Er konnte sich befreien und fliehen", erzählt die Schülerin. Aber als die zurückgebliebene Familie von den Leuten hörte, die ihnen drohten, packte sie alle Sachen und kam mit einem Reisevisum mit dem Bus nach Deutschland.

Wie auf heißen Kohlen

Hier geht Karyna zwischenzeitlich in die 11. Klasse am Willstätter-Gymnasium und arbeitet nebenbei in einer Software-Firma, in der sie beim Programmieren hilft. Sie möchte ihr Abitur in Deutschland machen und ein duales Studium zur Wirtschaftsinformatikerin anschließen.

Doch seit knapp einem Jahr sitzt sie wie auf heißen Kohlen und wartet auf die Gerichtsverhandlung. "Es ist ein schmerzhafter Gedanke, dass bald alles aus sein könnte. Wenn ich abgeschoben werde, kann ich für einen Zeitraum von 30 Monaten nicht mehr in die EU einreisen. Das wäre fatal, weil ich dann so lange in keinem EU-Land studieren könnte", meint die 19-Jährige.

Die Ukraine ist für die bestens integrierte Schülerin zwischenzeitlich ein "graues Land ohne Perspektive, in dem wir Angst vor den Leuten haben, die meinen Vater gefoltert haben. Das ist ein Albtraum!" Auch Mutter Natalia möchte sich in Deutschland einbringen und bemüht sich um die Anerkennung ihrer Diplome. "Sie hätte sogar einen Ausbildungsplatz zur zahnmedizinischen Assistentin bekommen, aber dieser wurde von der Ausländerbehörde nicht genehmigt, weil die Aussichten, dass sie in Deutschland bleiben darf, schlecht seien."

Kein Asylgrund

Kurz nach Karyna bekamen auch ihre Eltern Ablehnungsbescheide. Das Bamf begründet diese damit, dass "es in der Ukraine keinen Krieg mehr gibt und wir deshalb keinen Grund für Asyl haben. Die Drohung haben wir angeblich zu wenig nachgewiesen. Ich wurde nicht verletzt oder gefoltert, das stimmt. Aber mit der Flucht wollten wir verhindern, dass es überhaupt so weit kommt."

Karynas Anwältin Heinke Rötters wirft den Entscheidern im Bamf vor allem vor, dass sie den Menschen hinter dem Fall vergessen. "In korrupten Ländern wie der Ukraine ist der Staat nicht gewillt, Menschen wie Karynas Familie Hilfe zu leisten", sagt sie. Zudem sei es schon der erste Fehler im System, dass der Anhörer nicht auch der Entscheider des Falls war. "Der Entscheider weiß aufgrund des Protokolls nicht, wie sich Karyna in der Anhörung verhalten hat, welche Emotionen gezeigt wurden."

Mit dem Gerichtsverfahren rechnet die Anwältin erst im Mai. "Die Verwaltungsgerichte sind völlig überlastet. Ich habe mit den Richtern noch keine schlechten Erfahrungen gemacht. Alle entscheiden fair und kennen sich zum Glück aus – im Gegensatz zu den Leuten vom Bamf." Das gibt Karyna zumindest eines: Hoffnung.

© Stefanie Goebel

Das sagt die Ausländerbehörde

Olaf Kuch, Leiter der Nürnberger Ausländerbehörde, erläutert, wie ein Asylverfahren abläuft und wie er Karynas Fall einschätzt.

Es hat sich für Olaf Kuch bewährt, eine kleine Zeichnung anzufertigen, damit das komplexe Asylverfahren verständlicher wird: Am Anfang steht der Asylantrag, der von den Geflüchteten gestellt wird. Dieser wird vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bearbeitet. Es gibt eine persönliche Anhörung und eine Entscheidung.

Bekommt der Flüchtling einen positiven Bescheid, gilt er als anerkannt. Wird der Antrag abgelehnt, kann man eine Klage einreichen. Das bedeutet, dass sich der Asylbewerber bis zur Entscheidung des Gerichts weiter im Asylverfahren befindet und er eine Aufenthaltsgestattung hat.

Das ist momentan bei Karyna und ihrer Familie der Fall. In dieser Zeitspanne gilt das Asylgesetz, in dem auch geregelt wird, ob ein Asylbewerber arbeiten darf.

"Hier haben wir einen Ermessensspielraum", sagt Olaf Kuch. "Je höher die Wahrscheinlichkeit ist, dass die Person bleiben darf, desto eher genehmigen wir einen Ausbildungsplatz oder eine Arbeitsaufnahme. Es macht keinen Sinn, diese Leute warten zu lassen. Letztlich ist es aber eine Einzelfallentscheidung."

Bei Ukrainern sei jedoch die Anerkennungsquote sehr gering. Und wenn es dann noch einen ablehnenden Bescheid gebe, seien seiner Behörde rechtlich praktisch die Hände gebunden, meint der Leiter der Ausländerbehörde.

Wenn das Gericht negativ entscheidet, gilt der abgelehnte Asylbewerber als geduldet. Dann muss die Ausländerbehörde tätig werden und ihn zur Ausreise bewegen. "Das ist ein undankbarer Job", sagt Kuch, "und oftmals können wir Leute nicht abschieben, weil wir keine Papiere von ihnen haben. Welche zu bekommen, zum Beispiel aus dem Heimatland, ist ein enormer Aufwand."

Ukrainern empfiehlt er, aufgrund der mangelnden Bleibeperspektive freiwillig auszureisen, um dann legal etwa mit einem Ausbildungsvisum wiederzukommen. Das hätten viele aus dem Kosovo so gemacht. Kuchs Mitarbeiter stehen den Betroffenen auch beratend zur Seite.

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